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Kulturelles oder Göttliches Phänomen

Jahrzehntelang hielt sich die Ansicht, wir seien auf dem schnurgeraden Weg in eine säkularisierte Welt, in der Religion höchstens ein Randphänomen darstelle. Außerdem könne man religiöse Phänomene auch erklären, ohne sich dabei notwendigerweise auf "Göttliches" oder "Übernatürliches" zu beziehen.

Von Susanne Poelchau |
    Heute ist klar - und dass nicht zuletzt durch die politische Entwicklung - dass Religion keinesfalls eine Nebenrolle spielt. Auch die Frage nach dem Transzendenzbezug der Religion wird jetzt neu aufgerollt, so der Religionsphilosoph Professor Ingolf Dalferth von der Universität Zürich:

    " In den USA können wir seit einigen Jahrzehnten eine Rückkehr und emphatische Betonung einer theistischen Metaphysik beobachten im Rahmen der Religionsphilosophie. In Europa ist man an der Stelle viel skeptischer und stellt mehr Fragen. Und aus dieser Spannung heraus ist dieses Thema entstanden, deshalb haben wir's für unsere Gesellschaft gewählt, weil es ein Kontroversthema gegenwärtig ist. "

    Einen weiteren Grund dafür, dass jetzt auch in Europa das Interesse an metaphysischen Dimensionen von Religion zunimmt, nennt der Tübinger Theologieprofessor Hans- Peter Großhans:

    " Wir haben ja ein interessantes Phänomen in Europa: Durch die Migrationsbewegungen sind wir konfrontiert mit intensiver Religiosität - und da kollidieren zwei Prinzipien: Einmal, dass durch die Aufklärung Religion reduziert wird, auf der anderen Seite das Toleranzprinzip -und da gehört zur Authentizität der Fremden, dass sie ihr eigenes als R. definieren- und da gibt es auch hier so eine Rückbewegung: Wo tauchen diese Elemente eigentlich bei uns auf ...und an diesen Punkten muss die metaphysische Diskussion stattfinden. "

    Wie will man überhaupt nach Antworten auf die so genannten "letzten" Fragen suchen ohne Metaphysik - fragen die einen: Etwa was nach dem Tod mit der Seele geschieht, was uns zur Erkenntnis befähigt, oder ob es einen freien Willen gibt? Die anderen argumentieren, dass die Menschen scheinbar die Früchte der Aufklärung nicht ernten wollen. Weil sie die Realität nicht ertragen und nicht auf das "Opium" der Religion verzichten wollen, um ihr Elend besser zu ertragen. Die Metapher hängt allerdings nach Auffassung von Ingolf Dalfehrt:

    " Nun kann man ganz deutlich zeigen, dass R. in vielerlei Hinsicht im 20. Jahrhundert zum Motor wurde, um sich kritisch gegen bestehende Verhältnisse aufzulehnen: Südamerika, Osten, Vorderer Orient - was wir so leicht als Fundamentalismus abtun, hat ja durchaus diesen Aspekt - aber auch das andere Moment, dass R. nur Ausdruck von Elend sein, ist eine Übervereinfachung. R. ist in vielerlei Hinsicht auch mit einer Haltung der Dankbarkeit, der Überraschung über die Vielfalt der Welt verbunden, so dass sie eine Dimension hat, die man mit diesem Aspekt noch nicht erfasst hat. "

    Nach Ansicht so genannter Neuro- Theologen stellen neuere Ergebnisse der Hirnforschung eine übernatürliche Dimension in der Religion nun vollends in Frage: In einem Experiment hatte der amerikanische Radiologe Andrew Newberg untersucht, was sich im Gehirn von buddhistischen Mönchen und Franziskanernonnen abspielt während diese in ihrer Meditation beziehungsweise ins Gebet vertieft sind. Im Computertomographen zeigte sich, dass während der Versenkung bei allen Testpersonen Funkstille in einem bestimmten Teil des Gehirns herrscht. Dieser Bereich sorgt normalerweise dafür, dass wir uns orientieren und zwischen unserem Körper, dem Ich, und der äußeren Welt unterscheiden können. Ist Religion also eine bloße Frage von Neuronen und Gott ein "Hirngespinst"?

    " Man hat schon immer wieder versucht, den Ort der Religion im menschlichen Leben und Körper zu lokalisieren: Im Herz, im Gemüt, im Magen, im Gewissen - und gegenwärtig eben im Gehirn - das ist kein neuer Versuch insofern. Das Problem ist, dass solche Versuche immer mit einer doppelten Akzentsetzung einhergehen: Auf der eine Seite will man die Religion im menschlichen Leben verorten... auf der anderen Seite ist die Verortung an bestimmten Punkten, immer auch ein Versuch sie auf bestimmte Bereiche zu beschränken und damit genau den Punkt zu verfehlen, dass Religion kein Teilbereich sondern eine Totalbestimmung wird, die alle Bereiche des Lebens mitbestimmen kann. "

    Warum die neuen Ergebnisse der Gehirnforscher so viel Aufregung verursachen, kann Hans- Peter Großhans nur schwer nachvollziehen. Denn dass Körper, Geist und Seele untrennbar miteinander verflochten sind, sei schließlich auch Theologen nicht fremd. Außerdem, sagt er, müsse man klar unterscheiden zwischen dem was sich im Gehirn beobachten lässt und den Erfahrungen, die die Betreffenden dabei machen:

    " Es ist ein Unterschied, ob man religiöse Aktivität im Gehirn widergespiegelt findet oder ob man Gott im Gehirn lokalisiert und die Ergebnisse spiegeln nur die Erfahrung von Menschen wider, dass sich religiöse Aktivitäten in irgendeiner Form in der Leiberfahrung widerspiegeln,. gerade die großen Sondergestalten aller Religionen, Heilige haben ja die Beherrschung des eigenen Leibes praktiziert.. also Religion hat immer eine leibliche Dimension. "

    Dass das Thema trotzdem so heftige Diskussionen auslöst, hat wohl mit einem weiteren Forschungsergebnis zu tun: Züricher Bewusstseinsforscher konnten zeigen, dass dieselben Hirnaktivitäten die sich bei Meditation und Gebet beobachten lassen, auch bei epileptischen Anfällen und beim LSD- Rausch stattfinden. Ist religiöses Erleben also doch nicht mehr als ein Hirnphänomen, das man mit Drogen sogar gezielt erzeugen kann?

    " Auch das ist keine neue Einsicht, man hat immer schon sehr intensiv mit Drogen in der Religion gearbeitet, vom Weihrauch bis zu Pilzen. Und ich glaube an der Stelle muss man einfach sagen, das Thema Bewusstsein - wie da die Vernetzungen laufen zwischen Gehirn ... das sind alles so offene Fragen im Augenblick, dass jede Art von großartiger Schlussfolgerung aufgrund der jetzt durchgeführten Experimente eine Überinterpretation darstellen - bei der man sehr viel vorsichtiger sein müsste. "

    Fazit der Kongressteilnehmer: Die neurowissenschaftlichen Ergebnisse tragen einen kleinen - durchaus ernst zunehmenden - Baustein dazu bei, dem Bewusstsein auf die Schliche zu kommen. Beschrieben wird ein Teilaspekt religiöser Erfahrung auf Hirn- Ebene. Auch wenn religiöse Empfindungen im Gehirn zum Teil messbar sind, so weiß man deshalb aber noch lange nichts über ihren Ursprung und Sinnzusammenhang.

    Und dass man jetzt den Sitz der Religion im Gehirn lokalisieren kann oder gar ein "Gottes- Modul" im Gehirn gefunden haben will, ist eine völlig "hirnverbrannte" Folgerung.