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Kulturgeschichte
Wie das Feuer das Gehirn wachsen ließ

Als der Mensch in der Frühzeit lernte, das Feuer zu beherrschen, trug das entscheidend zu seiner Entwicklung bei. Er konnte nicht nur Raubtiere abwehren und Fleisch garen - das Feuer brachte dem Menschen zusätzlich nutzbare Zeit. Die US-Anthropologin Polly Wiessner glaubt, dass Gespräche am Lagerfeuer eine wichtige Rolle für die soziale und kulturelle Evolution des Menschen spielten.

Von Lucian Haas | 23.09.2014
    Menschen stehen nachts um ein Lagerfeuer herum.
    Die Beherrschung des Feuers brachte den Menschen nicht nur Wärme und Licht sondern ermöglichte auch die Entwicklung intelektueller Fähigkeiten (AFP / Elvis Barukcic)
    So klingt es, wenn eine ältere Frau vom Buschmann-Volk der !Kung in der Kalahari-Wüste nach Sonnenuntergang am Lagerfeuer eine Geschichte zum Besten gibt. Die ganze Sippe sitzt dabei, hört gespannt zu, lacht und gibt sich den Erzählungen hin. Aufgezeichnet hat diese Szene die US-Anthropologin Polly Wiessner von der Universität von Utah. Sie geht der Frage nach, wie die Zähmung des Feuers den Menschen einst nicht nur die Möglichkeit gab, Nahrung zu kochen und diese dann leichter zu verdauen, sondern wie das Feuer für die Menschheit auch in sozialer Hinsicht kulturprägend war.
    "Mit der Beherrschung des Feuers haben sich unsere Lebensrhythmen völlig verändert. Wir haben den nutzbaren Tag um rund vier Stunden verlängert. Affen gehen einfach schlafen, wenn die Sonne untergeht. Ich habe mich gefragt: Wenn wir an einen Tag vier Stunden dran hängen, in denen wir in der Dunkelheit aber nicht arbeiten, was macht das mit uns Menschen?"
    Noch vor 30 Jahren lebten die !Kung wie ein Volk traditioneller Jäger und Sammler. Polly Wiessner hatte sie schon in den 1970er Jahren besucht und damals viele ihrer Gespräche sowohl tagsüber als auch abends am Lagerfeuer aufgenommen. Diese alten Aufnahmen ließ sie nun mit Hilfe heutiger !Kung transkribieren, übersetzen und teilweise nacherzählen. Sie wollte wissen, ob und wie sich bei noch ursprünglichen Kulturen die Gesprächsinhalte des Tages von denen der Unterhaltungen am Lagerfeuer unterscheiden.
    Es ist sehr überraschend, wie deutlich verschieden die Themen am Tag und am Abend sind. Die Gespräche am Tag drehen sich vor allem um Wirtschaftliches und Sozialkontrolle. Wer hat wem was gegeben, wer war zu wem unfreundlich und so weiter. Nachts wiederum rücken die Menschen zusammen, sie werden milde, lassen derlei Geschwätz sein und geben sich Geschichten hin.
    Gespräche am Feuer waren wichtig für die Entwicklung des menschlichen Gehirns
    Bei den !Kung umfassten mehr als 80 Prozent der von Polly Wiessner analysierten Lagerfeuer-Gespräche Geschichten.
    Diese Geschichten regen die Fantasie an. Nachts machen die !Kung Reisen in Zeit und Raum. Sie reden über Menschen in früheren Zeiten, über die Seelen Verstorbener. Sie erzählen mythische Geschichten. Oder sie berichten von Partnern an weit entfernten Orten, die sie besuchen. Sie reden also über etwas, das ich virtuelle Gemeinschaften nenne.
    Nach den Erkenntnissen Wiessners spielen solche Gespräche am Feuer eine wichtige Rolle, um die sozialen Strukturen und Werte der !Kung weiter zu tragen. Sie wirken gemeinschaftsbildend, verstärken die Bindung der Menschen untereinander, auch über große Distanzen hinweg. Und in dieser Weise könnte das Feuer nicht nur für die !Kung, sondern für die gesamte Menschheit eine prägende Rolle gespielt haben.
    Ich glaube, dass wir unsere kognitiven Fähigkeiten auch durch diese vier oder fünf Extra-Stunden in der Nacht entwickelt haben. Das gab uns die Zeit und den Raum, um das zu entwickeln, was wir Theorie des Geistes nennen: Die Fähigkeit zu verstehen, was andere Menschen fühlen und was sie über andere Menschen denken. Es gab uns die Gelegenheit, Empathie und erdachte Gemeinschaften zu entwickeln. All das hängt stark mit dem Feuerschein zusammen.
    Polly Wiessner glaubt, dass das Feuer jenseits der verbalen Kommunikation auch eine physiologische Wirkung auf den Menschen hat, indem zum Beispiel im Feuerschein Hormone ausgeschüttet werden, die unsere Stimmung verändern und das Gemeinschaftsgefühl stärken. Solche möglichen Zusammenhänge will sie als nächstes am Beispiel des Volkes der !Kung untersuchen.