Beatrix Novy: Wie lebte es sich eigentlich in den ersten Jahrhunderten nach unserer Zeitrechnung im Nordosten Galliens und im rechtsrheinischen Obergermanien, als ungefähr zwischen Trier und Stuttgart beziehungsweise auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und ein bisschen Hessen? Das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart bringt das spätantike Lebensgefühl dieser Region auf diesen Begriff: „Ein Traum von Rom". So heißt die große Ausstellung dort. Dass in den römischen Provinzen die Sitten und die Annehmlichkeiten Roms gepflegt wurden, das ist bekannt. Deswegen habe ich die Kuratorin Nina Willburger gefragt: Was zeigt Ihre Ausstellung Anderes und Neues?
Nina Willburger: Na ja, die Ausstellung beschäftigt sich jetzt weniger mit diesem alltäglichen Leben in den Provinzen, sondern die Fragestellung ist ganz gezielt: Wie groß war die Strahlkraft der Stadt Rom? Was hat man hier quasi von Rom übernommen und direkt auch kopiert? Man hat Rom nachgeeifert. Der Traum von Rom soll heißen, in den Städten und Siedlungen gab es den Wunsch, das Streben, Rom so nahe wie möglich zu kommen, also Rom als Vorbild.
Novy: Aber eine typische römische Stadtgründung in den eroberten Gebieten war doch ein rechteckiges Raster. Das war ja nun kein Abbild von Rom.
Willburger: Nein. Rom war in der Tat keine Planstadt, sondern eine gewachsene Stadt, und in den Nordwestprovinzen gibt es richtige Planstädte, zum Beispiel Trier. Die wurde 17 vor Christus als solche angelegt. Aber es gibt auch gewachsene Städte, die nicht die Größe von Rom hatten, aber sich ähnlich letztlich dann auch entwickelten.
Novy: In welcher Beziehung orientierte man sich nun auch städtebaulich oder auch sonst an Rom?
Willburger: Die Leitgedanken der römischen Architektur, die waren auch hier prägend. Sehr wichtig für das Stadtbild waren die sogenannten repräsentativen Großbauten, zum Beispiel Form-Basilika-Komplexe oder Stadtmauern, Stadttore, Thermen, Badeanlagen und Tempel, und da orientierte man sich in der Tat an der Architektur in Rom selbst. Es finden sich in Trier sehr viele dieser großen Gebäude, weil Trier einfach eine sehr wichtige Stadt war, war die größte Stadt nördlich der Alpen und eine der fünf größten Städte des ganzen Römischen Reiches. Aber auch hier in Baden-Württemberg gibt es in der Tat diese römische Architektur, Großbauten, auch wenn sie heute oberirdisch nicht mehr sichtbar ist.
Novy: Was können Sie davon zeigen?
Willburger: Wir zeigen einen Film, einen computeranimierten Film, der eigens für die Ausstellung hergestellt wurde, und wir zeigen, wie Rom prägend war für den öffentlichen wie auch für den privaten Raum. Der öffentliche Raum sind zunächst mal die Großbauten, aber auch dann die Verwaltung. Dann geht es um die Waren, das große Warenangebot, welches man in den Städten bekommen hat. Alles, was man nicht vor Ort angebaut hat, hat man importiert aus anderen Teilen des Römischen Reiches, oder sogar von darüber hinaus. Und dann geht es natürlich auch um die Innenausstattung von römischen Häusern, weil da manifestiert sich dieser Traum von Rom, dieser Wunsch, zu leben wie die Römer, am besten.
Novy: Und lebten sie wie die Römer, wie die wohlhabenden Römer, jedenfalls die wohlhabenden Einwohner dieser Provinzen?
Willburger: Die Elite in den Provinzen lebte wirklich wie in Rom. Die hatten ihre Häuser ausgestattet mit Fußbodenmosaiken, mit marmornen Skulpturen und auch mit Wandmalereien. Aber es lässt sich auch beobachten, dass die weniger wohlhabenden, ich möchte mal sagen, so die Mittelschicht, die einfacheren Handwerker und Händler, dass die auch in ihren ein bisschen einfacheren Wohnbauten Malereien durchaus an ihren Wänden hatten, und das ist ein ganz schönes Phänomen mit diesen Wandmalereien. Die hat man nicht unbedingt ausgesucht, weil man jetzt schöne Wände haben wollte, sondern damit wollte man seine Romanita, seine Anpassung an die römische Kultur und Lebensweise zum Ausdruck bringen.
Novy: Wer waren denn diese Leute, die sich da angepasst haben? Wir denken natürlich immer an eine einheimische Bevölkerung. Aber, ich glaube, ohne Zuwanderung waren diese Stadtgründungen doch kaum möglich. Waren das dann nur Veteranen und Legionäre?
Willburger: Wir haben ja uns bewusst begrenzt auf das Gebiet von Mosel bis an den Neckar, und hier liegen links und rechts des Rheins völlig unterschiedliche Rahmenbedingungen vor. Links des Rheins, also in Trier, da gibt es eine einheimische Bevölkerung, als die Römer kamen, und diese einheimische Bevölkerung, das waren Kelten vom Stamm der Treverer. Das waren auch die, die in Trier lebten. Als die Römer nach Baden-Württemberg gekommen sind, da haben sie keine nennenswerte Bevölkerung vorgefunden. Die Kelten, die hier mal lebten, die waren nicht mehr da. Im ersten Jahrhundert nach Christus kommen die Römer und mit den Römern kommen Menschen aus allen Gebieten des Römischen Reiches, die sich hier dann niederlassen. Es waren ganz viele Gallier dabei, also Kelten aus dem heutigen Frankreich, aber es gibt auch Nachweise für Menschen aus Spanien, aus Großbritannien, vom Balkan, aus Israel, der Türkei. Es war wirklich ein richtiger Schmelztiegel verschiedener Ethnien, der dann hier in Baden-Württemberg gelebt hat.
Novy: Keine Stadt ohne Migration - „Ein Traum von Rom" heißt die Ausstellung, „Römisches Stadtleben in Südwestdeutschland", zu sehen jetzt im alten Schloss in Stuttgart, und das war Nina Willburger. Vielen Dank!
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