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Kulturinsel und Machtinstrument

Die Akademie der Künste wurde von der DDR-Regierung 1950 in Ost-Berlin etabliert. Zu ihren prominenten Gründungsmitgliedern zählten Johannes R. Becher, Bertolt Brecht und Arnold Zweig. Die Akademie sollte die höchste Institution der DDR im Bereich der Kunst sein. Welche Mitspracherechte die Künstler tatsächlich hatten beleuchtet das Buch über "Die Akademie der Künste, die Partei und die Staatssicherheit." Eine Rezension von Otto Langels.

    "Wenn unterschiedliche Meinungen aufeinander stoßen und einen heißen, leidenschaftlichen Streit auslösen, ist das nicht nur kein Übel, sondern gehört zu den progressiven Methoden unserer Entwicklung. Es erübrigt sich wohl anzumerken, dass sich in einer sozialistischen Gesellschaft Prinzipienfestigkeit, Offenheit und Kameradschaftlichkeit nicht gegenseitig im Wege stehen."

    Zum 25. Jahrestag der Akademie der Künste im März 1975 stimmte der Filmregisseur Konrad Wolf ein Loblied auf die freundschaftlichen Beziehungen zwischen der SED und den DDR-Künstlern an. Glaubt man den Worten des langjährigen Präsidenten der Ost-Berliner Akademie, dann konnte es zwischen Geist und Macht in der DDR nicht streitbar genug zugehen.

    Tatsächlich aber dachte die SED-Führung nicht ernsthaft daran, sich von den prominenten Kulturschaffenden beraten zu lassen. Der Literaturhistoriker Matthias Braun, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Birthler-Behörde, hat erstmals das Verhältnis zwischen Partei und Akademie untersucht.

    "Von Anfang an war es so, dass die SED in der Akademie der Künste ein Regulierungsorgan gesehen hat, und die Akademiemitglieder das auch von vornherein nicht in Frage gestellt haben, aber am Anfang zumindest davon ausgingen, dass sie ein Beratungsorgan sind. Das hat sich sehr schnell herausgestellt, dass die Beratung von der Partei und von der Regierung überhaupt nicht erwünscht war. "

    Die Akademiemitglieder selbst betrachteten sich als Hüter wahrhaftiger Kunst, die sie gegenüber Partei und Regierung verteidigen wollten, mit dem Risiko, zerrissen zu werden, wie Konrad Wolf einmal an die Schriftstellerin Christa Wolf schrieb. Die Realität sah anders aus, wie Matthias Braun in seiner Studie akribisch nachweist. Die übergroße Mehrheit der Künstler und Schriftsteller stimmte grundsätzlich mit den Ideen und Zielen der Staatsführung überein.

    "Man muss wissen, dass die Akademie eine staatliche Einrichtung gewesen ist, die von der Kulturabteilung des ZK angeleitet wurde, und dass es in der Akademie genau solche Strukturen wie in jedem sozialistischen Betrieb gegeben hat. Da hat es eine Parteigruppe gegeben, da hat es eine staatliche Leitung gegeben. Keiner wurde Akademiemitglied, wenn nicht das Politbüro seine Zustimmung dazu gegeben hatte. "

    Gleichwohl sahen sich manche Akademiemitglieder nach 1989 rückblickend als "Rebellen" und "Widerpart der Macht" und ordneten sich irgendwo zwischen "Komplizenschaft und Subversion" ein. Verklärend und beschönigend nennt Matthias Braun solche Selbstdarstellungen. Die überlieferten Quellen in den Archiven von Akademie, SED und Stasi sprächen eine andere Sprache.

    "Es haben sich im Verlaufe der Jahre verschiedene Spielräume für die Akademie ergeben. Man muss aber sagen, dass die Akademieleitung diese Spielräume viel zu wenig genutzt hat. Sie haben also nie versucht, die Partei zu umgehen, sondern sie haben immer versucht, wenn überhaupt, mit der Partei etwas zu lösen. Also von subversiv, das ist ein absolut frommer Wunsch. "

    Die Studie von Matthais Braun ist insofern bemerkenswert, als ein Wissenschaftler aus der Stasi-Unterlagen-Behörde nicht das Vorgehen des Ministeriums für Staatssicherheit in den Mittelpunkt stellt. Die Partei dirigierte den Kurs der Künstlergemeinschaft, und die Stasi musste sich den Vorgaben der SED unterordnen.

    "Das hatte zur Folge, dass die Staatssicherheit von vornherein in ihren Eingriffsmöglichkeiten begrenzt gewesen ist und sich darüber im Klaren war, dass eine Akademiemitgliedschaft sozusagen auch ein gewisser Schutz ist, ein gewisser Schutz auch gegen Repression."

    Zwar konnte die Stasi sowohl unter den Mitgliedern wie unter den Mitarbeitern der Akademie Informanten anwerben, um unabhängige Geister bei der SED zu denunzieren. Aber es gab weniger inoffizielle Mitarbeiter als in anderen vergleichbaren Institutionen - was nicht nur an der hohen Reputation der Künstler lag. Es war auch gar nicht notwendig, weil die Sozietät in ihrer 40jährigen Geschichte nie zu einer Keimzelle widerständigen Geistes wurde. Auch verteidigte sie kritische DDR-Bürger nicht gegen Übergriffe des Staates und stellte sich nicht an die Seite der Schwachen und Mutigen. Immerhin hätten die prominenten Künstler aufgrund ihres Status‘ und ihres internationalen Ansehens intervenieren können, ohne sofort Sanktionen fürchten zu müssen.

    "Zum Beispiel in Resolutionen zum Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten 1968 in der Tschechoslowakei, oder zur Biermann-Ausbürgerung."

    Die Akademie blieb nicht nur bei diesen Anlässen stumm, sie protestierte auch nicht, als Gerichte die Literaturredakteure Walter Janka und Gustav Just zu hohen Gefängnisstrafen verurteilten, sie schwieg, als Funktionäre den Schriftsteller Peter Huchel abstraften.

    Minuziös zeichnet Braun den Fall des parteilosen Lyrikers nach, der seit 1952 Mitglied der Akademie war. Sein Vergehen: so genannte "Westverbindungen" und insbesondere die Annahme des Fontanepreises der West-Berliner Akademie der Künste. Der Kulturchefideologe Alfred Kurella drohte Huchel, er habe schon manchen aus falschem Stolz in den Tod gehen sehen. Huchel musste sich als "Klassenfeind", "Volksverräter" und "Nuttendichter" beschimpfen lassen. Sein Archiv wurde geräumt und in einen alten Schuppen verbracht, wo das Wasser von den Wänden lief. "Früher gab es Bücherverbrennung, heute Bücherverschimmelung", erklärte Huchel dazu. Niemand aus der DDR-Akademie der Künste setzte sich für den bedrängten Dichter ein, bis dieser schließlich 1971 mit seiner Familie die DDR verließ.

    "Der sozialistische Künstler lebt in keiner selbst gewählten Isolation. "

    stellte Akademie-Präsident Konrad Wolf 1975 klar.
    Warum ordnete sich der Geist so bereitwillig der Macht unter? Die Angst vor Repressionen war ein wichtiger Faktor, um Menschen einzuschüchtern. Auch renommierte Künstler waren dagegen nicht immun. Insoweit unterschieden sie sich nicht vom Durchschnitt der DDR-Bevölkerung. Außerdem standen die Zugehörigkeit zu einer elitären Gemeinschaft und nicht zuletzt Privilegien auf dem Spiel. Ein Akademiemitglied konnte mit festen monatlichen Zuwendungen, exklusiven Ausstellungsangeboten, besonderen Reisemöglichkeiten, großzügigem Wohnraum und hochwertigen Autos rechnen. Braun spricht von einer Loyalitätsfalle.

    "Und das ist, glaube ich, ein ganz großes Problem, was wir uns heute relativ schwer vorstellen können, dass wirklich eine Angst geherrscht hat, sich gegen das Machtmonopol der Partei wirklich zu äußern. "

    Seid Euch bewußt der Macht!
    Die Macht ist euch gegeben,
    Dass ihr sie nie, nie mehr
    Aus euren Händen gebt.


    schrieb Johannes R. Becher in einer Lobeshymne auf die Partei. Der Dichter, in den 50er Jahren Kulturminister der DDR, war von 1953 bis 56 zugleich Präsident der Akademie der Künste.

    Manfred Wekwerth, einer seiner letzten Nachfolger, malte selbst 1985, als die Zeichen der Krise in Ostdeutschland unübersehbar waren, noch das Bild eines rundum erfolgreichen Landes. "Wir sind ein Teil der DDR", erklärte Wekwerth, und "wir reden von uns, wenn wir von der DDR reden." Matthias Braun nennt den zur Schau gestellten Optimismus der Akademie "Fassadenpolitik".

    "Wenn wir in die späten 80er Jahre gehen, dann gibt es auch mal den ein oder anderen Fall, wo die Akademieleitung, wo der Präsident sich dafür eingesetzt hat oder interveniert hat, dass zum Beispiel sowjetische Filme, die verboten worden sind, wieder gezeigt werden. Aber das sind sehr punktuelle Ereignisse. Ganz zentrale politische Ereignisse, wo es um Richtungsentscheidungen ging, wo es um Entscheidungen ging, einen klaren politischen Standpunkt dafür oder dagegen zu beziehen, da hat sich die Akademie immer stromlinienförmig verhalten."

    Als im Juli 1990 Manfred Wekwerth das Amt des Präsidenten an Heiner Müller übergab, stellte er fest, dass es Jahre brauchen werde, um das Muster der Verstrickung aufzurollen. Es hat 17 Jahre gedauert, bis der Literaturhistoriker Matthias Braun den ersten grundlegenden und differenzierten Beitrag dazu vorgelegt hat.

    Otto Langels über Matthias Braun: Kulturinsel und Machtinstrument. Die Akademie der Künste, die Partei und die Staatssicherheit. Erschienen bei Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen; das Buch umfasst 464 Seiten und kostet 31 Euro und 90 Cent.