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Kulturpolitik
Peking will Künstler ideologisch auf Linie bringen

Kunst und Kultur unterliegen in China strenger Zensur. Aber das, so scheint es, reicht dem Einparteienstaat noch nicht. Chinas Staatspräsident Xi Jinping will die Künstler des Landes jetzt ideologisch auf Linie bringen und hat sie aufgefordert sozialistische Grundwerte und chinesische Traditionen in den Vordergrund zu stellen. Applaus gab es dafür auch von Literaturnobelpreisträger Mo Yan.

Von Ruth Kirchner, Peking | 26.12.2014
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    Künstler sollen in China künftig dem "richtigen Weg" folgen. (picture alliance / dpa / How Hwee Young)
    Staats- und Parteichef Xi Jinping hatte den Ort bewusst gewählt. Im Oktober versammelte er Künstler, Schauspieler und Schriftsteller in der Großen Halle des Volkes, im politischen Zentrum des Einparteienstaates, um ihnen den „richtigen" Weg zu weisen. Die Kunst, sagte Xi, müsse dem Volke und dem Sozialismus dienen. Genaue Arbeitsanweisungen hatte er gleich dabei. "Mit Realismus und romantischem Geist solle das wahre Leben beleuchtet werden", so Xi. "Benutzt Licht um die Dunkelheit zu vertreiben, Tugend und Sanftmut gegen das Böse. Lasst die Menschen das Gute sehen, die Hoffnung und die Träume der Zukunft."
    Applaus vom Literaturnobelpreisträger
    Die anwesenden Künstler applaudierten brav – darunter Literaturnobelpreisträger Mo Yan. Sicherlich nicht zufällig fühlten sich viele an Mao Zedongs Reden zur Kultur von 1942 erinnert. Damals hatte Mao Kunst und Kultur in den Dienst der Kommunistischen Partei und der Propaganda gestellt. Wie solche Kunst aussieht kennt man: Glückliche Bauern, fröhliche Arbeiter, Loblieder auf die KP. Chinas Schriftstellerverband ist bis heute eine Parteiorganisation, Bücher und Filme werden streng zensiert. Die Freiräume bleiben gering, sagt der Cartoonist Li Xiaoguai über die neue Kulturoffensive der KP: "Sie wollen alles kontrollieren. Alles soll ihren Regeln folgen. Dabei ist es heutzutage doch unmöglich so wie früher die Menschen zu kontrollieren."
    Auch Chinas Filmemacher sind irritiert. Sie sehen sich der stärksten Zensur ausgesetzt, sollen gleichzeitig der Partei dienen und Hollywood Konkurrenz machen, also kommerziell erfolgreich sein. Diese Quadratur des Zirkels führe schon jetzt zu Selbstzensur, absurden Drehbuchänderungen und einer Verleugnung der Realität, sagt der Regisseur und Künstler Zhang Bingjian: "In diesem Internetzeitalter kannst du doch nicht wie ein Vogel Strauß den Kopf in den Sand stecken und so tun als siehst du nichts. Das ist unmöglich. Die Leute wissen doch Bescheid. Mit wirtschaftlicher Macht sollte man doch das Selbstbewusstsein haben auch den Problemen, den negativen Dingen ins Auge zu sehen. Ein Film sollte beides zeigen."
    Künstler sollen auf dem Land "richtige Ansichten" über Kunst lernen
    Doch das dürfte jetzt noch schwieriger werden. Xis Rede hat zwar keine bindende Wirkung, aber wie schnell sie vom Partei-Apparat aufgegriffen wurde, zeigte sich kurz nach dem Auftritt in der Großen Halle. Die oberste Medienbehörde kündigte an, Künstler aufs Land schicken zu wollen. Sie sollten „unter den Volksmassen" leben, hieß es und dort die, so wörtlich, „richtigen Ansichten" über Kunst lernen. Der Sozialwissenschaftler Jean Pierre Cabestan sieht darin nicht nur einen Rückgriff auf Maos Kampagnen der Kulturrevolution, sondern auch den eher hilflosen Versuch die Widersprüche des modernen China in den Griff zu bekommen: "Viele traditionelle Ideen und Werte sind ja gerade durch die Reformen der KP in den letzten 30 Jahre in Frage gestellt worden. China ist heute urban, offen, hat Internet, ist verrückt nach Geld, Mode, Marken, nach Dingen, die mit den alten sozialistischen Werten nichts zu tun haben. Und jetzt wollen sie beides: den Wohlstand, die Vorteile der Globalisierung behalten und gleichzeitig die Werte und die Nostalgie der Mao-Zeit restaurieren."
    Nur: gute Kunst und Kultur bringt das wohl kaum hervor. Der Schriftsteller Yan Lianke, gerade in Prag mit dem Franz-Kafka-Preis ausgezeichnet, ist dennoch vorsichtig optimistisch, dass sich China weiter öffnen wird: "Ich sage immer wieder, die chinesische Kultur geht drei Schritte vorwärts und zwei zurück. Aber immerhin macht sie Fortschritte. Wir haben daher so eine Art 'langsame Hoffnung'". Erfahrene Schriftsteller, sagt Yan, werden sich auch weiterhin den Widersprüchen des Daseins widmen. Auch auf dem Land. Yan Lianke weiß wovon er spricht. Er hat vor einigen Jahren einen Roman über ein Dorf in seiner Heimatprovinz Henan geschrieben. Es ging um Aids, skrupelloses Profitstreben und die Abgründe der menschlichen Seele. Nicht gerade die Erbauungsliteratur die Xi Jinping jetzt wiederbeleben will. Kein Wunder daher, dass das Buch weiter auf dem Index steht.