Christoph Reimann: Die Deutschen und ihre Autos – das ist eigentlich eine ganz große Liebesgeschichte. Eigentlich, denn Abgaswerte und Autokartell lassen uns jetzt schon einmal über unser Verhältnis zum PKW nachdenken und das wollen wir jetzt auch tun, hier in Corso mit Stephan Rammler. Er forscht zu Verkehrs-, Energie- und Innovationspolitik an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Gerade ist sein neues Buch "Volk ohne Wagen" erschienen. Hallo zum Corsogespräch, Herr Rammler!
Stephan Rammler: Ja, hallo, guten Tag!
Der goldene Käfig der Automobilität
Reimann: Tja, Autos gibt es ja überall – genutzt als Fortbewegungsmittel. Aber die Deutschen haben noch einmal eine ganz besondere Beziehung zu ihrem Fahrzeug. Also: Wir passen besonders gut darauf auf, wir pflegen das Auto, am liebsten besitzen wir eines und auf der Straße fühlen wir uns wie kleine Könige und Königinnen, jeder von uns ist sowieso der beste Autofahrer überhaupt. Woher kommt diese Auto-Liebe?
Rammler: Also ich kann da nur drüber spekulieren. Wir können es vielleicht ein Stückweit historisch herleiten und sagen: Deutschland ist der Ort, an dem das Automobil erfunden wurde. In Deutschland hat es in der Zeit des Nationalsozialismus eine massive Politik, auch eine Propaganda für dieses Fahrzeug gegeben und letztlich dann in den 50er Jahren, in der Nachkriegszeit, bis heute eine im Grunde mehr oder minder automobil-orientierte, den Funktionsraum des Autos unterstützende und ausweitende Politik gegeben.
Und in dem Maße, wo wir uns immer mehr – ich sage das immer so formuliert – in den goldenen Käfig der Automobilität begeben haben, indem wir Raum- und Siedlungsstrukturen angepasst haben, das Auto im Grunde als Gerät in unsere ganzen Alltagsvollzüge eingebaut haben, im Grunde gar kein Alltag mehr in manchen Teilen Deutschlands denkbar ist ohne Automobil.
Und ich kann mit dem Fahrzeug, das ist die symbolische Dimension, auch zeigen, wer ich bin oder wer ich sein möchte, was mir wichtig ist, welche Persönlichkeit ich habe. Und ich kann natürlich auch ein Liebhaber sein eines Autos, denn Autos sind ja Ikonen im Grunde des Designs gewesen und haben das Design ganz weit nach vorne gebracht. Also die Dimensionen spielen sicherlich eine ganz wichtige Rolle, warum die Deutschen so am Auto hängen, warum sie es so pflegen, warum sie es so wichtig finden. Aber wir müssen auch sagen: In anderen Teilen der Welt ist das Auto auch zentral für die Alltagsbewegung.
"Weil ich es kann!"
Reimann: Jetzt ist es aber an der Zeit, mal über eine Trennung vom Auto nachzudenken. Denn wir wissen: So, wie es jetzt läuft, geht es eigentlich nicht mehr weiter. Aber trotzdem kaufen die Leute, auch in den Städten, immer größere PKWs, SUVs haben Hochkonjunktur. Warum diese Unvernunft?
Rammler: Naja, weil wir es können. Das ist der interessante Punkt. Mir ist das auch ein Rätsel. In ländlichen Regionen, in Regionen wo der öffentliche Verkehr schlecht angebunden ist, kann ich das sehr gut verstehen. Und da brauchen wir auch in Zukunft eine andere und moderatere Politik der Transformation. Und da müssen wir ein Stück weit andere Wege gehen als in den Städten. Warum in den Städten gerade die Menschen auf diese großen Fahrzeuge setzen, die ja enorm disfunktional sind. Wenn Sie mal in den Berliner Parkhäusern sich das anschauen: Oft ist es so, dass ein großer SUV anderthalb Parkplätze einnimmt und man selbst kaum reinkommt in die Parklücke oder rauskommt. Also ich kann es mir nur so erklären, dass einerseits diese symbolische Funktion eine wichtige Rolle spielt.
Dann die Verkehrssicherheitsfunktion: Wenn alle miteinander sich hochmotorisieren und aufrüsten, dann sind diejenigen, die höher sitzen und mit mehr Blech umgeben sind, natürlich sicherer. Das mag sicherlich eine Rolle spielen. Und weil, ich sagte ja gerade, "Weil ich es kann!" Es ist immer noch ein Ausdruck von Kompetenz, von Fähigkeit, von Einkommen, von "Ich habe was erreicht", ein großes Auto zu fahren. Irrationalität ist in der Geschichte der Automobilität weitverbreitet und, glaube ich, in Deutschland besonders ausgeprägt, nach wie vor.
"Es gibt keinen anderen Weg als den nach vorne"
Reimann: Jetzt muss ja aber ein Mentalitätswechsel her. Unser Verhältnis zum Auto muss sich ändern! Viele schreien im Moment nach der Politik, die soll das irgendwie regeln. Aber darum geht es ja nicht nur. Es muss ja bei jedem Einzelnen ankommen. Wie funktioniert das? Kann das allein die Aufgabe der Politik sein?
Rammler: Nein. Wenn wir sagen, wir leben in einer automobilen Kultur, dann heißt das, es geht eben um die gesamte Kultur. Und da sind die Unternehmen mit im Spiel, das ist die Nachfrageseite, die Verbraucher, die ja durch ihre Nachfrage ein Stück weit auch Produktpolitik determinieren und festlegen. Und es ist die Politik. Und alle miteinander haben sich in den letzten quasi 150 Jahren in diesen goldenen Käfig der Automobilität begeben. Die Politik mit Infrastrukturleistungen, die Nachfrageseite, indem sie Autos gekauft hat, indem es kommod war. Und die Unternehmen letztlich haben das Ganze auch mit einem lachenden Auge gesehen und viel Geld verdient. Das ist normale Marktwirtschaft.
Wir haben noch länger mit Stephan Rammler gesprochen -
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Und jetzt sind wir in einer historischen Situation. Das ist das, was ich eben auch versuche, zu erläutern: Niemand will jemandem etwas wegnehmen oder will jemanden regulieren oder seine Freiheit einschränken. Ich plädiere dafür, dass wir versuchen, miteinander zu verstehen, dass es gar keinen anderen Weg gibt als den Weg nach vorne und die Transformation der Mobilitätswirtschaft. Weil die Frage der Nachhaltigkeit, der Digitalisierung, vor allen Dingen der urbanen Transformationen der Welt massiv die Rahmenbedingungen für Automobilität, so wie wir sie heute kennen, verändern. Die Automobilkultur Deutschlands ist definiert durch den Verbrennungsmotor, durch den Privatbesitz und das Selberfahren.
Und in all diesen drei typologisch kennzeichnenden Dimensionen der modernen Automobilität verändert sich in anderen Teilen der Welt massiv etwas! China setzt auf das Elektroauto, die Technologiefirmen im Silicon Valley und in Kalifornien setzen auf das Elektroauto und alle großen Risiko-Kapitalgeber und das Finanzkapital setzt mittlerweile, zumindest in Nordamerika, auch auf das Elektroauto. Nur in Deutschland tun wir uns noch ein bisschen schwer damit.
"Ein Elektroauto macht nur Sinn, wenn wir es teilen"
Reimann: Und schlagen Sie das auch für Deutschland vor, den Elektromotor?
Rammler: Jede Form von Mobilität der Zukunft – wenn sie eine nachhaltige Mobilität sein will und soll – muss postfossile Mobilität sein. Das heißt, wir müssen irgendwie Wege finden, regenerative, alternative Energien auch in den Mobilitätssektor zu bringen. Das bedeutet, dass wir den Verbrennungsmotor irgendwann abschaffen müssen. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, die in Paris verhandelt worden sind, dann müssten wir im Grunde 2025 aufhören, Autos mit Verbrennungsmotor zuzulassen, damit wir 2035 an einem Punkt sind, wo gar kein Auto mit Verbrennungsmotor fährt. Nur dann könnten wir im Grunde die Klimaziele einreichen. Das heißt, wir müssen auf den Elektromotor setzen. Aber 40 Millionen Verbrenner durch 40 Millionen Elektrofahrzeuge zu ersetzen, ist nun auch mal erstens nicht trivial, das bedeutet einen enormen Infrastruktur-Ausbau. Und außerdem ist es wahrscheinlich so, dass - gemessen an der aktuellen Nutzungsstruktur von Fahrzeugen - es so ist, dass der ökologische Rucksack eines Elektroautos womöglich größer ist, wenn wir ihn so nutzen, wie wir heute verbrennungsmotorische Fahrzeuge nutzen. Das heißt, ein Elektroauto macht wahrscheinlich nur Sinn, wenn wir es teilen, wenn wir Ridesharing oder Carsharing betreiben. Und wenn wir das Ganze einbinden in sogenannte inter- und multimodale Nutzungsstrukturen, wo das Auto als Autobaustein in Kombination mit dem öffentlichen Verkehr, mit dem Fahrradverkehr in gut ausgebauten Infrastrukturen, anbietet. Das ist ein weiter Weg. Manche Hörer, die das hören, denken: Der spinnt doch total! Ja, es ist ein weiter Weg. Und gerade, weil es ein weiter Weg ist, müssen wir heute schon anfangen. Oder aber wir sagen ganz ehrlich: Wir haben mit Nachhaltigkeit nix am Hut. Uns ist das alles egal. Dann müssen wir uns auch nicht ändern. Aber wenn wir das an der einen Stelle sagen, dann sollten wir an der anderen Stelle – wenn wir nicht bigott und verlogen sein wollen – auch was tun dafür.
"Der Deutsche wird sich nur ungern bewegen"
Reimann: Entwerfen Sie doch mal ein Zukunftsszenario: Wie sieht die Stadt der Zukunft aus, was Mobilität angeht?
Rammler: Wir haben eigentlich die technologischen Möglichkeiten alles schon mehr oder minder. Es fehlt nur der politische Wille, sie wirklich als Innovation in den Markt zu bringen. Wir haben in Berlin - oder auch in Hamburg oder auch in München – sehr gut ausgebaute öffentliche Verkehrssysteme. Die sind nur miteinander noch nicht so richtig gut vernetzt. Und die nutzerseitige Bequemlichkeit ist noch nicht so, wie wir sie eigentlich haben könnten, wenn wir das ganze ein Stück weit mehr digitalisieren würden. Wir können es kombinieren mit Fahrradflotten. Also, wenn wir nach Kopenhagen schauen können wir sehen, dass die Kombination von öffentlichem Verkehr und Fahrradflotten wunderbar funktioniert, um große Teile der Bevölkerung jeden Tag von A nach B zu bringen!
Reimann: Wann werden wir so weit sein, dass wir das Fahrrad- und Carsharing genau so lieben, wie heute das Auto?
Rammler: Meine Prognose was die Wahrscheinlichkeiten angeht ist, dass der Deutsche, gerade der deutsche Konsument und Nutzer, noch lange im Auto sitzen wird und sich sehr ungern bewegen wird. Also ich würde sagen, das kann noch zehn, zwanzig Jahre dauern – wenn es überhaupt passiert!
Reimann: Stephan Rammler, Soziologe und Mobilitätsforscher. Sein aktuelles Buch heißt "Volk ohne Wagen: Streitschrift für eine neue Mobilität".
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