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Kunst als Objekt

Die Rauminstallationen der vielfach ausgezeichneten Künstlerin Christiane Möbus, 1947 in Niedersachsen geboren, gelten als surrealistisch. In ihrer Ausstellung "Chausseestrasse" im Neuen Berliner Kunstverein sind vor allem Mäntel zu sehen. Auch hier will die Künstlerin Dinge zeigen, die eigentlich etwas verbergen.

Von Carsten Probst |
    Christiane Möbus zählt zu den Zeitgenossinnen, die schon dadurch subversiv sind, weil sie kaum etwas wegwerfen. Es heißt, es gäbe kaum etwas, das ihr nicht wert wäre, aufbewahrt zu werden. Die aufbewahrten Dinge enthalten merkwürdige Botschaften aus anderen Zeiten, die man nie ganz durchschaut. Die berühmte in Tee getunkte Madeleine in Marcel Prousts "Suche nach der Verlorenen Zeit" erforderte bekanntlich ein siebenbändiges Romanwerk, um den Erinnerungen, die ihr Geschmack hervorruft, halbwegs nahe zu kommen, aber auch das blieb letztlich Stückwerk.

    Christiane Möbus hat diesen enzyklopädischen Anspruch des Romanciers nicht, im Gegenteil: Sie würdigt die gesammelten Hinterlassenschaften der Zeit gerade in ihrer Unvollständigkeit, in ihren fragmentarischen Andeutungen, die sie selbst auf die eine oder andere Weise durch Manipulationen verstärkt. Das gibt ihrem Werk einen einzigartigen subtilen Charakter, manche Rezensenten benutzen dafür gern das Wort "poetisch". Andere sehen die Rauminstallationen der 1947 in Niedersachsen geborenen vielfach ausgezeichneten Künstlerin gern als "surrealistisch" an. Aber auch das sind Etiketten.

    Das spezielle Wagnis in Möbus Kunst besteht in etwas anderem, in der heiklen Balance zwischen dem Erscheinen und dem Verschwinden eines Kunstwerks. In Zeiten, in denen angeblich alles sichtbar wird und angeblich auch alles abbildbar ist, wagt es Möbus, Dinge zu zeigen, die etwas verbergen, an das wir nicht herankommen.

    In der Retrospektive des Neuen Berliner Kunstvereins sind vor allem Mäntel zu sehen, alte Mäntel verschiedener Zeiten und Herkunft, die in großen Vitrinen hängen. Die Vitrinen wirken dabei weniger wie Gefäße der Zurschaustellung, denn als Schutzhüllen, die den Betrachter auf Distanz halten und die Aura des Objekts unangetastet lassen sollen. Kleidung beschäftigt Möbus schon seit Jahrzehnten. Die Künstlerin zielt dabei weniger auf konkrete Erinnerungen, wer wann welchen Rock oder welche Jacke getragen hat. Die Kleider sind selbst Gefäße mit einer völlig eigenen Zeichensprache, mit einem Eigenleben. Dieses Eigenleben ist allerdings rätselhaft und verborgen und entspricht damit gewissermaßen der Kunst selbst. Möbus versucht, wie eine Schamanin, dieses Eigenleben heraufzubeschwören und sichtbar zu machen.

    Sie versieht die Mäntel mit Farben oder Perlenstickereien, sie gibt ihnen Titel wie "Die Väter" oder "Annathea, wo ist dein Cowboyhut", die wie Zaubersprüche einen bestimmten Geist aufrufen, der zum verborgenen Eigenleben der Objekte gehört. Wem das zu verstiegen erscheint, kann sich an eines der bekanntesten Werke der Künstlerin handeln, das buchstäblich handfest daherkommt. Die "Möbustasche" ist eine von der Künstlerin entworfene, kompakt-sportliche Tasche in Orange und Blau, auf dem in weißer Schrift wie ein Label der Name "Möbus" zu lesen ist. Mehrere dieser Taschen stehen in einer Reihe in der Ausstellung, sie sind verschlossen, aber man weiß, dass sie Kokosnüsse enthalten. Wer die Kokosnuss sucht, kann sich darauf verlassen, sie ist da, niemand hat sie geklaut, die Tasche bewahrt sie, aber die Kokosnüsse bleiben trotzdem unsichtbar, das offene Geheimnis sozusagen.

    Wie in den achtziger Jahren, als Möbus sogar Teile von ganzen LKW-Lastzügen in geheimnisvolle Gefäße für subtilste Inhalte verwandelt hat, haben auch die Möbus-Taschen den Anspruch, dass man als Betrachter lernt, auf das Unsichtbare zu vertrauen, auch wenn es vielleicht keinen zusammenhängenden Sinn ergibt.

    In der Generation ihrer Kolleginnen mit Isa Genzken, Hanne Darboven, Rebecca Horn oder Katharina Sieverding ist Christiane Möbus vermutlich diejenige, die einem breiteren Kunstpublikum noch am wenigsten bekannt ist. Vielleicht aber ist das nur ein Hinweis darauf, dass ihr Werk über all die Jahrzehnte sich eine einzigartige Konsequenz einen echten Anteil an subversiver Energie erhalten hat.