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Kunst als Ort der Freiheit

Die arabische Welt emanzipiert sich immer weiter von westlichen Einflüssen und hat jetzt auch ihre erste eigene Kunstmesse: die MENASArt in Beirut. Westliche Arbeiten sind nicht zu finden, gezeigt wird ausschließlich arabische Kunst.

Von Kersten Knipp | 17.07.2011
    Still und lange Zeit unbemerkt hat sich in der arabischen Welt eine Kunstszene entwickelt, die sich von den Vorgaben der Tradition, insbesondere der islamischen Tradition längst emanzipiert hat. Seit im Zuge des Kolonialismus auch die ersten europäischen Künstler und Bilder in den Orient kamen, haben diese dort entschlossene Nachahmer gefunden – die sich zunächst an den europäischen Vorbildern orientierten, sich in den letzten 50 Jahren von ihnen aber lösten. Doch erst jetzt beginnt man im Westen, auf die Kunst aus dem arabischen Raum aufmerksam zu werden. Pascal Odille, künstlerischer Leiter von MENASArt:

    "Die Dinge entwickeln sich also sehr schnell. Bislang hatte der Markt an Künstlern aus dem Nahen Osten kein allzu großes Interesse gezeigt. Das ändert sich nun aber, da die arabische Welt im Zuge der Globalisierung ihre Position behauptet. Sammler und Investoren sind immer auf der Suche nach neuen Objekten und Anlagemöglichkeiten. Zunächst haben sie sich auf China konzentriert und anschließend die BRIC-Länder. Nach der Finanzkrise wurde es dort dann etwas schwieriger, während die Situation im Nahen Osten immer besser wurde. Die Künstler haben dadurch den Anschluss geschafft."

    Es ist kein Zufall, dass die Idee zu dieser Messe nicht von Arabern, sondern von Europäern ausging, genauer: von französischen Ausstellungsmachern. Denn so aktiv die Künstler auch sind: Die meisten von ihnen befinden sich noch in einer wenig komfortablen Situation, berichtet der Künstler und Kritiker Abdulaziz Ashour aus Saudi Arabien, dem diesjährigen Gastland von MENASArt.

    "Ich glaube, in der gesamten arabischen Welt können kaum einige Künstler von ihrer Arbeit leben. Es gibt einige, denen das gelingt, aber die meisten tun noch etwas anderes, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Aber für viele spielt das auch keine so große Rolle. Sie schauen vor allem auf die Kunst, wollen etwas machen, egal, ob sie davon leben können oder nicht. Es wird noch einige Zeit vergehen, bis das anders wird. Wir können uns nicht mit den europäischen Ländern vergleichen, da besteht noch ein erheblicher Unterschied."

    Kunst aus der arabischen Welt – ließe die sich irgendwie definieren, auf einen Nenner bringen? Gibt es also so etwas wie eine spezifisch "arabische" Kunst? Sáleh Barakat, Leiter der Beiruter "Agial Gallery", ist skeptisch.

    "Es gibt gute und weniger gute Kunst. Natürlich arbeitet jeder Künstler in einem bestimmten Umfeld, das ihn beeinflusst und dessen Kultur und Traditionen ihn prägen. Ich finde aber, es gibt keine spezifisch arabische Kunst – es gibt ja auch keine spezifisch deutsche Kunst. Natürlich schöpfen die Künstler aus bestimmten Traditionen, so, wie sich etwa Picasso mit afrikanischer Kunst beschäftigte. Worauf es ankommt, ist, dass die Künstler mit ihrem Material auf ganz eigene, persönliche Weise umgehen.""

    Und doch, eines könnte die Kunst der arabischen Welt vielleicht doch kennzeichnen: der starke politische Bezug sehr vieler Arbeiten. Die Libanesen blicken auf einen 15 Jahre dauernden Bürgerkrieg zurück; die Iraker haben immer noch unter den Folgen der amerikanischen Invasion zu tun, die Palästinenser leben mit den Folgen der israelischen Besatzung, und in vielen anderen arabischen Ländern erheben sich die Bürger gegen ihre Regierungen. Das, erklärt Pascal Odille, bleibt auch auf die Kunst nicht ohne Auswirkungen.

    "Es sind einige neue Dinge entstanden. Die libanesischen Künstler beschäftigen sich ja ohnehin sehr stark mit der Politik auf teils recht polemische Weise. Die Künstler aus dem Maghreb haben sich natürlich als Erste mit der Revolution auseinandergesetzt. Sie haben das Thema in allen denkbaren Formen aufgegriffen: in der Malerei, der Installation, in Videoarbeiten. Allerdings hat die Revolution auch Auswirkungen auf das Galeriegeschäft gehabt. Die marokkanischen, die tunesischen und die ägyptischen Galerien leiden unter den ökonomischen Auswirkungen der Revolutionen. Und so kann diese Ausstellung ihnen auch helfen, wieder Anschluss an den Markt zu finden."