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Kunst als Spiegel der Gesellschaft

In ihrer Ausstellung "Grade der Gewissheit" im Krefelder Museum Haus Esters richtet die Künstlerin Alicja Kwade den Blick auf unterschiedliche Aspekte der Globalisierung: die Finanz- und Währungsmärkte, den Geldfluss oder die wechselnden Werte von Rohstoffen. Sie versucht, sie in eine künstlerische Geste umzuwandeln.

Von Georg Imdahl | 05.10.2013
    Wie viele Künstler geht auch die Berliner Bildhauerin Alicja Kwade auf die klare, schnörkellose Formensprache des Bauhaus-Meisters Mies van der Rohe ein. Doch Kwade widmet sich im Haus Esters eher den ideellen Folgen der einst beschworenen Moderne. Die 1979 im polnischen Kattowitz geborene Künstlerin richtet den Blick auf unterschiedliche Aspekte der Globalisierung wie die Finanz- und Währungsmärkte, den Geldfluss oder die wechselnden Werte von Rohstoffen.

    Den trockenen Titel "02.07.2013" trägt eine Bodenskulptur mit acht Metallplatten unterschiedlicher Größe, die sorgfältig gestapelt aufeinander liegen. Ganz oben ein kleines Rechteck aus Gold, es wiegt genau acht Gramm, wie man in einem Begleitzettel erfährt. Darunter ein etwas größeres Rechteck aus Silber, es folgen weitere, immer größere Platten aus den Industriemetallen Aluminium, Zink und Blei, Kupfer, Nickel und Zinn. Insgesamt versinnbildlicht der flache Stapel den Handelswert der acht Metalle, die an besagtem Tage im Juli 2013 für acht Gramm Gold zu kaufen waren. Sieht aus wie klassische Minimal Art. Doch der Widerschein der Oberflächen steht nicht für sich selbst, er symbolisiert eine ökonomische Realität.

    In einem anderen Zimmer der Villa liegen drei wiederum polierte, attraktiv schimmernde Metallringe auf dem Boden. Es handelt sich um die eingerollten Stanzreste, die übrig bleiben, wenn unterschiedliche Cent-Münzen geprägt werden, und paradoxerweise ist der Wert der Metallreste höher als jener der Geldstücke. Um die Bedeutung des Fetischs "Geld" noch zuzuspitzen, streut die Bildhauerin vergoldete und versilberte Tollkirschen in eine der Stanzrollen, eine Pflanze, deren Genuss für den Menschen tödlich enden kann.

    Wie absurd wir bisweilen auf die Zeit fixiert sind, zeigt eine Wanduhr mit analogem Zifferblatt. Deren Lauf folgt einer eigenen Logik: Der Sekundenzeiger der Uhr verharrt nämlich konsequent oben auf der Zwölf, während sich das Zifferblatt gegen den Uhrzeigersinn nach links dreht. Dennoch lässt sich die richtige Zeit mühelos ablesen.

    "Grade der Gewissheit" nennt Kwade ihre Krefelder Ausstellung. Der Titel bezieht sich auch auf eine riesige Installation, die aus einem der Wohnräume von Haus Esters gleichsam in den Garten hinüberflutet. Vor der Fensterbank sind im Innern einige Hundert kleine und winzige Kieselsteine in der Form eines Trichters auf dem Parkettboden ausgelegt.

    Draußen, hinter dem Fenster, setzt sich der Strom des Gerölls bis weit ins Grüne fort, wobei die Steine immer größer werden und schließlich die Ausmaße von Findlingen annehmen. Wie ein wogendes Meer bedecken sie den Rasen und umspülen eine hier angestammte Stahlskulptur von Richard Serra. Die insgesamt 1417 Steine symbolisieren jene Anzahl an Asteroiden, welche die NASA derzeit als mögliche Bedrohung für die Erde ausmacht.

    Was immer Alicja Kwade in Krefeld an Phänomenen und Auswüchsen der heutigen Kapitalwirtschaft in abstrakte Form bringt - es erinnert unmittelbar an die jüngeren künstlerischen Avantgarden wie eben die Minimal Art oder auch die Land Art und die Concept Art. Diese Neubesetzung früherer Ausdrucksformen ist in der Gegenwartskunst durchaus üblich; viele Künstler bedienen sich ästhetischer Lösungen, die andere vor ihnen gefunden haben, und stellen sie unter eigene Vorzeichen.

    So geschickt Alicja Kwade aber mit dem Erbe der Kunst seit den 60er-Jahren auch umgeht, ihre Werke über die ökonomischen und kulturellen Systeme von heute bergen wenig Rätsel oder Überraschung. Sie erschöpfen sich weitgehend in einer Übertragung bestimmter Erscheinungen der Realität in abstrakte Formen, ohne Fragen aufzuwerfen: Fragen nach Globalisierung, Kapitalismus, Verteilungsgerechtigkeit. Stellung zu diesen Themen bezieht die Künstlerin nicht. Deshalb bleiben ihre Arbeiten so neutral wie all die statistischen Erhebungen, Prognosen oder Zahlenreihen, mit denen unser Leben angeblich erfasst wird.