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Kunst aus dem Kopf

Im Bonner Arithmeum, der Name sagt es schon, geht es um Mathematik, ''Rechnen einst und heute'' steht im Logo, dazu kann man sich hier alles ansehen, jetzt wird hier eine Kunstausstellung angekündigt: Adolf Fleischmann heißt der Künstler, geb. 1892, gestorben 1968, er firmiert unter der Richtung der Op-Art.

Christiane Vielhaber im Gespräch |
    Novi: Da kann man sich schon wieder etwas darunter vorstellen, und da wird es dann mit dem Rechnen schon klarer, Christiane Vielhaber?

    Vielhaber: Nein, eigentlich gar nicht. Ich habe bisher alle Ausstellungen im Arithmeum gesehen, und das waren bisher immer Ausstellungen, wo ich dachte, ah ja, das hat irgendwie mit Mathematik, Zirkel und Lineal zu tun. Das Ganze hatte weniger mit Malerei zu tun, sondern das, was man sich im Kopf ausdenkt und dann übersetzt, und dieser Fleischmann ist für mich so überzeugend als Maler gewesen, dass ich gedacht habe, es ist eigentlich schade, dass er in diesem strengen Institut ist. Und dann entdeckte ich ganz spät ein Bild von 1963 - das heißt Metamorphosen. Das war kurz vor seinem Schlaganfall in New York, bevor er gar nicht mehr malen konnte, und das sieht aus wie ein Schaltplan. Man könnte jetzt erst mal naiv sagen, es sieht aus wie ein Labyrinth. Es ist merkwürdigerweise schwarzweiß, obwohl er sonst sehr tonig, sehr farbig ist, ein wirklicher Kolorist, was ja auch selten ist in dieser Sparte von Künstlern, und dann habe ich gedacht, von diesem Blickwinkel macht es Sinn, ihn hier zu zeigen, denn es fehlt wirklich dieses Harte, dieses Kalte, dieses Nebeneinandersetzen von Farben oder von Strichen, dass man immer das Gefühl hat, hier ist kein Maler am Werk, sondern jemand, der etwas sich vorher ausdenkt, ein Konzeptpapier, der etwas errechnet, und das stimmt alles bei Fleischmann nicht.

    Novi: Aber die Geometrie spielt doch eine Rolle.

    Vielhaber: Die kommt aber erst spät. Das Werk von Fleischmann gilt eigentlich erst ab 1950, wo er so eine Art Heureka-Erlebnis hat. Es ist auch überliefert, dass er dann aus seinem Atelier in New York kam und zu seiner Frau Elli gesagt hat, ich hab's, ich hab's, und jetzt hatte er den rechten Winkel erfunden, zwar nicht unbedingt für sich erfunden, aber doch diese L-Form, mit der man unheimlich viel machen kann. Die kann man ineinander verzahnen, aus der kann man Brücken bauen, also aus der kann man sehr viel machen. Zuvor hatte er zunächst mal mit dem Pinsel immer Linien gezogen, und sie sehen aber auf allen Bildern, da ist jemand, der teilweise sogar mit ein bisschen wackeliger Hand zunächst die vertikalen Linien zeichnet, dann manchmal ein paar horizontale, manchmal fügen sie sich zu Flächen und manchmal setzt er so Stäbe rein, also vertikale Stäbe, die dem Ganzen so eine Tiefe geben. Das Merkwürdige ist, dass diese Bilder, obwohl sie auf der Fläche bleiben, vibrieren. Darum hat man ihn auch den Vater der Pop-Art genannt, aber er ist nie jemand, der mit seiner Malerei täuschen wollte, der uns also vorspielen wollte, das Bild bewegt sich, sondern wir haben das Gefühl, dass die Bilder in ihrem Rhythmus durch diese Streifen, durch diese Stäbe oder letztlich nachher auch durch diese L-förmigen Gebilde, die er zur Komposition zusammensetzt, in sich bewegt sind, aber nicht sich vor unseren Augen bewegen.

    Novi: In seiner Biografie, die ja übrigens stark von der Immigration während der Nazizeit geprägt ist, ist ja davon die Rede, dass er als wissenschaftlicher Zeichner am Anfang und am Ende seines Lebens beziehungsweise seiner Karriere gearbeitet hat.

    Vielhaber: Das spielt in dieser Ausstellung eigentlich keine Rolle. Es sind in dieser Ausstellung ein paar frühe Guaschen zu sehen, wo man sieht, er hat bei Hölzen in Stuttgart von 1911 bis 1913 studiert, unter anderem mit Schlemmer und Baumeister zusammen, wo er dann so kurvige Ornamente malt, das Ganze so ein bisschen abstrakt. Also man kann sich schon vorstellen, dass er auch Bucheinbände gemacht und so was, aber im Grunde seines Herzens war er wohl wirklich ein Maler, der das Ganze hinter sich gelassen hat, der aber alles erlebt hat. Er hat sich für Franz Marc in München begeistert, also für die deutschen Expressionisten. Er hat dann den Orphismus über Deloné kennen gelernt, dann Michel Seffort, der ja auch gleichzeitig nicht nur Maler, sondern ein Theoretiker war. Er hat Malevic kennen gelernt. Dann kommen ein paar frühe Arbeiten, wo man merkt, dass er auf ganz klare Formen zurückgreift, aber dann wird er ab 1950 der Fleischmann, der wirklich eigentlich noch zu entdecken ist als Maler und als Einzelfigur in der deutschen Kunstgeschichte.

    Novi: Vielen Dank für das Gespräch.

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