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Kunst für die Ohren

Der Hörspielpreis der Kriegsblinden wurde in diesem Jahr zum 60. Mal vergeben. Laut Juror Frank Olbert könne man heutzutage keinen wirklichen Trend mehr bei dem Wettbewerb feststellen. Es sei eher "die Vielfalt, die heute wichtig ist".

Der Juror Frank Olbert im Gespräch mit Karin Fischer | 31.05.2011
    Karin Fischer: Der Hörspielpreis der Kriegsblinden ist die in Deutschland renommierteste Auszeichnung für das gesamte Genre. Heute wurde er in Köln zum 60. Mal verliehen, Grund genug, einen Blick zurückzuwerfen auf die Geschichte und vor allem auf seine Entwicklung in ästhetischer Hinsicht. Frank Olbert ist Mitglied der Jury des Preises und stellvertretender Feuilletonchef beim Kölner Stadtanzeiger. Herr Olbert, Günter Eich ist kanonisierter Hörspielautor. Aber das junge oder zumindest das nach dem Krieg neu definierte Medium Radio war ja eine großartige Plattform auch für alle möglichen Experimente damals schon.

    Frank Olbert: Das kann man so sagen. Wenn Sie Günter Eich erwähnen – er hat den Preis ja für sein Stück "Träume", was ja wohl sein experimentellstes gewesen ist, zumindest in dieser Anfangszeit, nicht bekommen. Stattdessen wurde damals für den Hörspielpreis der Kriegsblinden Erwin Wickert bevorzugt, ein sehr christlich angehauchtes, formal sehr konventionelles Hörspiel. Aber in der unmittelbaren Nachkriegszeit war es eigentlich so: Es wurde quer Beet durch sämtliche Genres, durch sämtliche Stile produziert, sehr volkstümlich, und dem hat sich der Hörspielpreis der Kriegsblinden auch oft angeschlossen, denn die Maxime lautete so in den ersten Jahren, wir suchen das Hörspiel, das uns vom Menschlichen her anredet.

    Fischer: Sie spielen an auf die vielen Auseinandersetzungen auch zwischen Kriegsblinden und Hörspielexperten in den ersten Jahren in der Jury. Es gab aber in der Geschichte des Preises auch einfach wichtige gesellschaftliche Wendepunkte wie zum Beispiel das neue Hörspiel.

    Olbert: Ja. Das neue Hörspiel 1969 mit Jandl und Mayröcker, "Fünf Mann Menschen", markierte eigentlich so einen Punkt, wo der Hörspielpreis der Kriegsblinden, aber auch das Hörspiel überhaupt auf so der Höhe der Zeit angekommen war. Vorher war das Hörspiel relativ konventionell, sehr erzählerisch, jetzt wurde mit Montage gearbeitet, die Popmusik fand plötzlich auch im Hörspiel statt. Die konkrete Poesie haben Jandl und Mayröcker in das Hörspiel hineingebracht. Mit dieser Entscheidung war auch der Preis dann plötzlich so ein bisschen in der neuen Programmpolitik wichtig, denn der machte dann dieses neue Hörspiel auch in den Sendern wieder salonfähig, sodass in der Folge dann auch viele neue Hörspiele ausgezeichnet worden sind.

    Fischer: Man war dann sozusagen gesellschaftliche Avantgarde, auch mit einem damals eher als konservativ betrachteten Medium.

    Olbert: Ja Avantgarde vielleicht nicht. Es gab ja schon die Nouvelle Vague in Frankreich, es gab literarische Versuche von Búton und so weiter, die schon sehr viel früher solche Experimente gewagt haben. Das Hörspiel war da tatsächlich ein bisschen spät, ist dann aber regelrecht explodiert. Um dieses Jahr 1968, 1969, 1970 herum sind dann plötzlich Formen ausprobiert worden, die vorher undenkbar gewesen sind. Auch Komponisten sind dann als Hörspielmacher aufgetreten.

    Fischer: Wenn Sie die Motive und Stücke von damals bewerten und sie mit der Produktion von heute vergleichen, inklusive der ganzen neuen Formen, mit denen auch in den neuen Medien derzeit experimentiert wird, wo steht das Hörspiel gerade ästhetisch und wo auch, was seine Wirkmächtigkeit betrifft?

    Olbert: Ästhetisch steht es sicherlich vor einer großen Palette möglicher Formen. Mit diesem neuen Hörspiel ist eben alles möglich und alles erlaubt, wie Helmut Heißenbüttel das formuliert hat. Und heute, glaube ich, haben die Autoren vom erzählerischen Hörspiel bis hin zu improvisatorischen Formen, bis hin zu Happening wie bei Schlingensief, der ja vor ein paar Jahren auch ausgezeichnet worden ist, eigentlich alles zur Verfügung, was so da ist. Ich glaube, man kann keinen wirklichen Trend tatsächlich feststellen. Es ist eher die Vielfalt, die heute wichtig ist.

    Fischer: Der in diesem Jahr ausgezeichnete Beitrag "Schicksal, Hauptsache Schicksal" klingt erst mal traditionell, denn es handelt sich um eine Improvisation über Joseph Roths Legende vom heiligen Trinker, und klingen tut das so:

    O-Ton Hörspieleinspielung

    Fischer: Herr Olbert, was ist das Besondere, was ist das Preiswürdige an dieser Produktion des HR?

    Olbert: "Schicksal, Hauptsache Schicksal" ist eigentlich ein sehr erstaunliches Stück, weil es eine enge Symbiose darstellt zwischen dem Regisseur Robert Schoen und dem Sprecher Lorenz Eberle. Der hat den Text nämlich, ohne irgendein Manuskript zur Verfügung zu haben, improvisiert. Er hatte bestimmte Grundmotive aus der Legende des heiligen Trinkers von Joseph Roth, aber er formuliert praktisch diesen Text aus dem Stand heraus, und das Irre ist eigentlich, dass man fast denkt, das ist dokumentarisch, da ist tatsächlich ein Alkoholiker, der von seinem Niedergang erzählt. Es ist aber tatsächlich alles natürlich im Studio aufgenommen und ist alles kalkuliert. Es hat auch sehr spannende Diskussionen in der Jury gegeben um authentisch sein und um Literatur, inwieweit kann Literatur wirklich so authentisch sein, dass man glaubt, hey, das ist echt.

    Fischer: Danke an Frank Olbert für diesen Bericht über 60 Jahre Hörspielpreis der Kriegsblinden. Heute war die Verleihung in Köln.

    Mehr Informationen:
    Hörspielpreis der Kriegsblinden