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Kunst
Gesten statt Gegenstände bei Karl Otto Götz

Als Vorreiter der Abstraktion gilt der Maler Karl Otto Götz. Kurz vor seinem 100. Geburtstag widmet ihm die Neue Nationalgalerie in Berlin eine Werkschau.

Von Carsten Probst | 13.12.2013
    Karl Otto Götz im Alter von 85 Jahren in einem Atelier, im Hintergrund einige Gemälde.
    Er beeinflusste viele bekannte Künstler: Karl Otto Götz (picture alliance / dpa / Dieter Klaas)
    Was haben beispielsweise die Maler Sigmar Polke, Gerhard Richter, Franz Erhard Walther und Gotthard Graubner miteinander gemeinsam? Sie prägten die Malerei in Westdeutschland seit den 70er-Jahren, und sie waren Schüler von Karl Otto Götz. 20 Jahre lang, zwischen 1959 und 1979, hat Götz an der Düsseldorfer Kunstakademie gelehrt und gilt bis heute als der erfolgreichste oder vielmehr folgenreichste Kunstprofessor nach dem Zweiten Weltkrieg. Darin vielleicht nur noch von Joseph Beuys erreicht, den Götz lange Zeit unterstützte, auch dann, als Beuys sich für seine Kunstprofessur in Düsseldorf bewarb, sich später dann, als sich Beuys' Konflikte mit dem damaligen Kultusminister Johannes Rau zuspitzten und Beuys entlassen wurde, von ihm distanzierte.
    Viele dieser Details aus Karl Otto Götz' langem Leben und Wirken sind wichtig zu wissen. Zum einen, weil er eben zu den wichtigsten Künstlern und Zeugen der deutschen Nachkriegskunstgeschichte zählt und eigentlich überall irgendwie beteiligt war, wo diese Kunstgeschichte stattfand. Zum anderen, weil sich sein Wirken eben nicht nur auf die Malerei des Informel reduzieren lässt, die ihn eigentlich bekannt machte. Götz' Art, informalistisch zu malen – das unterstreicht auch noch einmal die Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie – zielte weniger darauf, den bürgerlichen Kunstbegriff nach dem Niedergang des Dritten Reiches wieder herzustellen. Götz war und ist bis heute ein großer Experimentator, ein Künstler-Forscher. Seine Malerei, die auf den ersten Blick gestisch und wild erscheinen mag, ist tatsächlich eine stetige Folge von Erprobungen, von gezielten Versuchen mit Farben, Farbmaterialien und Bildträgern, von psychologischen und naturwissenschaftlichen Wechselwirkungen und Bild-Raum-Konzepten.
    Kleine Skizzenblätter, in Vitrinen ausgelegt, konfrontieren den Betrachter mit dem Umstand, dass selbst komplex verschlungenen, spontan anmutenden Malschwüngen eines Bildes exakte Entwürfe vorausgehen, in denen eine bestimmte Formen- und Farbzusammenstellung in ihrer Wirkung vorausgedacht wird.
    Götz' berühmtes "Letztes Ölbild", von ihm selbst akribisch datiert mit dem 7.9.52, verweist darauf, dass nun, da Götz sich mit 38 Jahren allmählich der vermeintlichen Mitte der Karriere nähert, für ihn etwas völlig Neues beginnt. Durch Zufall entdeckt er eine mit Kleister vermischte Malmasse, die bei ihrem sofortigen Wiederentfernen von der Fläche erstaunliche, halb gegenständliche und halb abstrakte Strukturen erzeugt. In den folgenden Jahren entwickelt er zahlreiche Variationen und Farbabmischungen in solchen sogenannten Rakel-Werken, immer getrieben von der Faszination eines nicht von Menschenhand erzeugten Ausdrucks, nach einer Eigensprache des Malmaterials, die aus Zufall und Berechnung gleichermaßen erwächst.
    Und auch, wenn seine mehr oder weniger berühmten Schülerinnen und Schüler später in ihrer künstlerischen Handschrift ganz eigene Wege gegangen sind, lässt sich in ihrem Werk doch die eine oder andere Spur dieses Ansatzes wiederfinden – wie etwa in Sigmar Polkes populär-ironischer Replik in dessen Gemälde "Höhere Wesen befahlen: Rechte obere Ecke schwarz malen" von 1969.
    Götz forscherischer Grundansatz setzte sich über das konkrete Bildexperiment hinaus stets fort, etwa in Beschäftigung mit der Informationstheorie, einer eigenen Bild-Bedeutungslehre und Ansätzen von malerischen Film-Experimenten, die ihrerseits einen Nam June Paik zu seiner künstlerischen Bearbeitung des Fernsehens animiert haben sollen.
    Wie eigen und zugleich offen dieses Werk in sich stets geblieben ist, zeigt sich auch daran, dass es sich trotz seiner zahllosen Ehrungen nie für eine bestimmte Deutung oder Haltung vereinnahmen lässt. Und zwar vom Frühwerk bis heute, in das Spätwerk, an dem Karl Otto Götz, dieser in jeder Hinsicht erstaunliche Maler, mit seinen 99 Jahren und fast erblindet nach wie vor arbeitet.