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Kunst im öffentlichen Raum

Wenn eine kleine Stadt wie das schwäbische Heidenheim in Kunst machen will, dann muss sie sich was einfallen lassen, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Der rührige Direktor des Heidenheimer Kunstmuseums, René Hirner, hat da etwas sehr Sinnvolles auf den Weg gebracht: Es gibt einen Wettbewerb mit Nominatoren und Juro-ren, an dessen Ende Aufträge an fünf, in diesem Jahr sechs Bildhauer stehen, die ihre Kunst in den öffentlichen Raum stellen. Das hat zur Folge, dass die Heidenheimer sich an konzeptuelle Werke gewöhnen müssen, die eben nicht die gängige Wahrnehmung einer fertigen Skulptur bestätigen, sondern die Fragen stellen, als Fremdkörper oder als Raumergänzung wirken, die also ein Problem sind.

Von Christian Gampert |
    Schon die Schulkinder, die in der Heidenheimer Fußgängerzone he-rumsitzen, äußern vor der von Thorsten Goldberg installierten Bushal-testelle zu imaginären Zielen Meinungen, die auch von ihren Großel-tern stammen könnten: Heidenheim habe offenbar zu viel Geld, das sei doch keine Kunst. Und erst wenn man diesen Teenies mal den Fahrplan zeigt, der aus der Hohmannschen utopischen Weltkarte "Ac-curata Utopia Tabula" von 1716 besteht, dämmert ihnen was: Es könnte ja Spaß machen, im Kopf zu Orten wie Milch und Honig, Wechselbalg, Schlampenmorast, Finger-in-den-Hals, Zahl-nit zu rei-sen, mit welchem Vehikel auch immer. Und der Künstler Thorsten Goldberg steht dabei und grinst sich eins:

    - Im Grunde fühle ich mich durch diese Reaktionen bestätigt. Wenn die erst mal den Fahrplan lesen…Es ist dieses spielerische Element, das in allen meinen Arbeiten vorkommt.

    Die Künstler werden von Heidenheimer Firmen gesponsert; einzige Auflage: sie müssen Materialien verwenden, mit denen auch die Fir-men arbeiten. Carsten Gliese hat mit seinen gerasterten Blechen eine Außenfassade neu verkleidet, und das Künstlerpaar Hörner/Antlfinger gibt an das Publikum Brillen aus, mit denen man auf LCD-Displays verborgene Botschaften lesen kann. Die Heidenheimer können so ihre eigene Stadt neu entdecken: Die Displays mit so schönen Sätzen wie Martin Kippenbergers "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken" stehen nicht nur vor dem Kunstmuseum, sondern auch vor der Marienkirche, dem Altenzentrum, dem Arbeitsamt, vor Kreissparkasse, Krankenhaus, Gymnasium und Bahnhof.

    Dann wird man vor eine riesige ovale, vom Zubringer zu einer Schnellstraße umschlossene Brach-Fläche geführt, die der ansonsten gern labyrinthische Garten-Künstler Olaf Nicolai mit grell eingefärb-tem Mulch neu belegt hat. Wer schwindelfrei ist, und als Journalist hat man das zu sein, darf sich auf einer Feuerwehrleiter 30 Meter hoch über das Kunstwerk hieven lassen – und sieht nun, dass in den "Ca-mouflage" genannten Mustern, die den militärischen Tarnjacken nach-empfunden sind, auch kleine Pflanzen sprießen, die die popfarbenen Pseudo-Blumenbeete irgendwann überwuchern werden.

    Den Schlusspunkt bildet oben über der Stadt, beim Waldfriedhof, ei-ne Art Nekropole des weitgereisten Klaus Simon. Er hat 160 massive Holzbalken mikado-artig oktogonal zusammengebaut, so dass eine mit vielen Durchblicken und Schlitzen versehene Toten- oder Meditati-ons-Stätte entsteht. Gehalten wird das Ganze von einem innen aufge-hängten, also schwebenden, tonnenschweren Altar aus einer sinniger-weise nicht mehr gebrauchten Kirche im rheinischen Kommern. Er ist der Schlussstein, sagt Klaus Simon, für diesem hölzernen Käfig, für eine Gestalt gewordene Frage:

    - Es ist im Grunde genommen eine doppelte Arbeit: eigentlich schwebt der Altar, aber er zieht auch nach unten, er hält durch den puren Druck ein Gebäude zusammen. Also ein Okotogon, ein Achteck, das durch die Kraft, die archaische Kraft dieses Al-tars zusammengehalten wird. Der Titel dieser Skulptur ist: Be-lastung. Der Altar ist eine Last, aber er hält auch das Gebäude zusammen. Es sind natürlich ambivalente Fragen, die da auftau-chen – wir sind ja direkt neben dem Waldfriedhof in Heiden-heim: soll ich mich durch Glauben belasten?