Im Hintergrund liegen Hirsche und Rehe herum, ihre Leiber aus weißem weichem Kunststoff sehen aus wie Leichenberge. Die Schauspieler der needcompany tragen große Kunststoffohren und Fransenröcke, manche haben sich mit Hirschgeweihen geschmückt und tänzeln jetzt wie nordische Schamanen durch den Raum. Das wirkt etwas lächerlich, weil Viviane de Muynck gerade ihre tote Tochter Inge betrauert. Während die Hirschmasken merkwürdige Kreiselspiele veranstalten, fängt Inge plötzlich an zu sprechen. Dann überlegen alle, ob man sie, in Stücke geschnitten, draußen an einen Baum hängen sollte, schließlich ist Weihnachten. Kurz darauf hat Viviane einen leichten Schlaganfall, während der Rest der Truppe mit Hirschen um sich wirft.
Jan Lauwers gehört zu jenen Stars der belgisch-niederländischen Szene, die in den 80er und 90er Jahren als "Erneuerer" des Theaters bekannt wurden. Als ausgebildeter Künstler hat er mit seiner "needcompany" seit jeher die Spartengrenzen gesprengt und die Problematik von Theater als Repräsentationsmaschine auch in der Formensprache ausgelotet. Im "Hirschhaus" trägt deshalb (Achtung: wirkliches Leben!) jeder der Schauspieler-Tänzer-Sänger seinen eigenen Namen, und die Geschichte hat die allertiefste philosophische Dimension. Sie beginnt mit einer Theaterprobe, in der in den ersten Minuten in vier Sprachen von fünf Todesfällen erzählt wird. Und sie endet versöhnlich, mit Gesang, nachdem Vivianes zurückgebliebene Tochter Grace die Hirschherde vor einem Eissturm gerettet hat.
Dazwischen liegt die Geschichte von Benoît, dem Kriegsfotografen, der im Kosovo gezwungen wird, eine Frau zu erschießen, es ist Inge. Er schlägt sich bis ins "Hirschhaus" mit der Leiche durch, wo er von Inges Mann im Affekt erschlagen wird. Das "Hirschhaus" ist Symbol für einen Rückzugsort, doch die Familie selbst ist von unausgesprochenen Geistern und mehreren Toten verfolgt. Lauwers erzählt von einer Gesellschaft, die vor sich selbst und der Barbarei flieht und dem "Krieg" dabei nicht entgehen kann.
Das alles ist eine merkwürdige Mischung aus Trauer-Ritual und gruppendynamischem Selbstverständigungsprozess, der immer wieder von poetischen Momenten wie Gesang und Tanz oder von Viviane gebrochen wird; sie ist die reflektierende Instanz im Stück. Ganz von fern winkt das antike Theater herüber, mit seinen chorischen Beschwörungen und der kathartischen Reinigung durch Trauer und Buße. Doch es geht auch ganz zeitgenössisch um die Frage danach, welche Geschichten erzählt werden, von wem, wer sie überhaupt braucht und was wir an ihnen drehen können.
Der zweistündige Abend, der nicht ganz wie geplant ablaufen konnte, weil sich eine Schauspielerin verletzt hatte, ist natürlich auch eine Zumutung. So viel schräger Aufwand für die schlichte Einsicht, dass das Private immer noch politisch ist. Was mit gutem Willen als politisch-poetisches Gesamtkunstwerk durchgeht, sieht mit weniger gutem Willen wie eine jener privatistisch-postmodernen Performance-Kopfgeburten aus, die ihre beste Zeit länger hinter sich haben.
"Watch out, the world is not behind you", kommt als Graffiti und als Schlüsselsatz im Stück vor. Die Frage, ob die Welt wirklich vor uns liegt und mit welchem Fokus wir sie betrachten, ist nicht nur für den Kriegsfotografen die maßgebliche. Der Satz ist auch das Bindeglied zum zweiten Teil der Trilogie, die auf der Pernerinsel in Hallein in ein paar Tagen vollständig zu sehen ist. Mit "Sad Face/Happy Face" erzählt Lauwers "Drei Geschichten über das Wesen des Menschen". Dann wird sich der Kosmos "needcompany" in voller Schönheit - hoffentlich - genießen und erschließen lassen.
Jan Lauwers gehört zu jenen Stars der belgisch-niederländischen Szene, die in den 80er und 90er Jahren als "Erneuerer" des Theaters bekannt wurden. Als ausgebildeter Künstler hat er mit seiner "needcompany" seit jeher die Spartengrenzen gesprengt und die Problematik von Theater als Repräsentationsmaschine auch in der Formensprache ausgelotet. Im "Hirschhaus" trägt deshalb (Achtung: wirkliches Leben!) jeder der Schauspieler-Tänzer-Sänger seinen eigenen Namen, und die Geschichte hat die allertiefste philosophische Dimension. Sie beginnt mit einer Theaterprobe, in der in den ersten Minuten in vier Sprachen von fünf Todesfällen erzählt wird. Und sie endet versöhnlich, mit Gesang, nachdem Vivianes zurückgebliebene Tochter Grace die Hirschherde vor einem Eissturm gerettet hat.
Dazwischen liegt die Geschichte von Benoît, dem Kriegsfotografen, der im Kosovo gezwungen wird, eine Frau zu erschießen, es ist Inge. Er schlägt sich bis ins "Hirschhaus" mit der Leiche durch, wo er von Inges Mann im Affekt erschlagen wird. Das "Hirschhaus" ist Symbol für einen Rückzugsort, doch die Familie selbst ist von unausgesprochenen Geistern und mehreren Toten verfolgt. Lauwers erzählt von einer Gesellschaft, die vor sich selbst und der Barbarei flieht und dem "Krieg" dabei nicht entgehen kann.
Das alles ist eine merkwürdige Mischung aus Trauer-Ritual und gruppendynamischem Selbstverständigungsprozess, der immer wieder von poetischen Momenten wie Gesang und Tanz oder von Viviane gebrochen wird; sie ist die reflektierende Instanz im Stück. Ganz von fern winkt das antike Theater herüber, mit seinen chorischen Beschwörungen und der kathartischen Reinigung durch Trauer und Buße. Doch es geht auch ganz zeitgenössisch um die Frage danach, welche Geschichten erzählt werden, von wem, wer sie überhaupt braucht und was wir an ihnen drehen können.
Der zweistündige Abend, der nicht ganz wie geplant ablaufen konnte, weil sich eine Schauspielerin verletzt hatte, ist natürlich auch eine Zumutung. So viel schräger Aufwand für die schlichte Einsicht, dass das Private immer noch politisch ist. Was mit gutem Willen als politisch-poetisches Gesamtkunstwerk durchgeht, sieht mit weniger gutem Willen wie eine jener privatistisch-postmodernen Performance-Kopfgeburten aus, die ihre beste Zeit länger hinter sich haben.
"Watch out, the world is not behind you", kommt als Graffiti und als Schlüsselsatz im Stück vor. Die Frage, ob die Welt wirklich vor uns liegt und mit welchem Fokus wir sie betrachten, ist nicht nur für den Kriegsfotografen die maßgebliche. Der Satz ist auch das Bindeglied zum zweiten Teil der Trilogie, die auf der Pernerinsel in Hallein in ein paar Tagen vollständig zu sehen ist. Mit "Sad Face/Happy Face" erzählt Lauwers "Drei Geschichten über das Wesen des Menschen". Dann wird sich der Kosmos "needcompany" in voller Schönheit - hoffentlich - genießen und erschließen lassen.