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Kunst in Eis und Schnee

Der wiedereröffnete Palazzo Madama ist nur einer von zahlreichen kulturellen Höhepunkten, die dem Turinbesucher während der XX. Winterolympiade geboten werden. Die Stadt Turin hat sich, zeitgleich zu den Wettkämpfen, für eine regelrechte Kulturolympiade entschieden.

Von Thomas Migge |
    Aus versteckten Lautsprechern ertönen barocke Klänge. Fast fühlt man sich um drei Jahrhunderte zurückversetzt in jene Zeit, als im Palazzo Madama der König von Piemont residierte und regierte. Nach jahrelangen aufwendigen Restaurierungsarbeiten ist eine der prächtigsten Palastresidenzen Norditaliens wieder der Öffentlichkeit übergeben worden. Ein Palazzo, an dem die berühmtesten Künstler des 17. und 18. Jahrhundert wirkten, und der mit seinen Deckenfresken und Goldstukkaturen, seinen riesigen Sälen und Kunstsammlungen fasziniert. Der wiedereröffnete Palazzo Madama ist aber nur einer von zahlreichen kulturellen Höhepunkten, die dem Turinbesucher während der XX. Winterolympiade geboten werden. Die Stadt Turin hat sich, zeitgleich zu den Wettkämpfen, für eine Kulturolympiade entschieden, erklärt Alberto Vanelli, Direktor der piemontesischen Kulturgüter:

    " Diese Kulturolympiade ist der erste und entscheidende Schritt, um aller Welt zu zeigen, was Turin zu bieten hat. Wir sind längst nicht mehr die angestaubte und graue Wirtschaftskrisenstadt mit hoher Arbeitslosigkeit, in der nichts los ist und um die Italientouristen in der Regel einen großen Bogen machen."

    Für die Zeit der Olympiade bietet Turin ein Kulturprogramm wie keine zweite Stadt des Landes. Die Stadtväter konnten auf die Hilfe und vor allem auf das Geld zweier Bankenstiftungen zählen, die zu den reichsten Europas gehören. Diese beiden Stiftungen investierten rund 200 Millionen Euro in Kulturprojekte. Damit lässt sich viel auf die Beine stellen, meint Maria Leddi, Generalsekretärin der Stiftung der Cassa di Risparmio di Turino:

    " Wir versuchen mit einer Reihe von Veranstaltungen, 52 an der Zahl, alle Aspekte der komplexen Kulturszene unsere Stadt vorzustellen. Darüber hinaus gibt es 150 Kleinkunstveranstaltungen."

    In der Städtischen Kunstgalerie für Moderne Kunst wird anhand von 130 Gemälden der Avantgarden aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhundertes die Idee der modernen Stadt thematisiert. Die Werke von Grosz, Dix, von Balla und Picasso zeigen das als chaotisch und gleichzeitig als ungemein anregend empfundene Leben in den modernen Metropolen. Wie das Altertum den gutgebauten Athletenkörper zum Kunstobjekt umdeutete, zeigen Skulpturen aus der griechischen und römischen Epoche im Antikenmuseum. Die königliche Bibliothek stellt zum ersten Mal überhaupt ihre kompletten Bestände an Zeichnungen von Leonardo da Vinci aus, und in der Pinakothek von Gianni e Marella Agnelli, die Renzo Piano auf dem Dach der ehemaligen Autofabrik Lingotto errichtete, werden Landschaften von Poussin und Canaletto gezeigt.

    Eine besonderer Höhepunkt der Turiner Kulturolympiade sind die über 300 Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Alltagsgegenstände, die das Mäzenatentum der Dynastie der Familie Savoia im 15. und 16. Jahrhundert demonstriert. Dazu Ausstellungskurator Enrico Castelnuovo:

    " Diese Schätze, hier in der Palazzina della Promotrice delle Belle Arti, verdeutlichen, dass Turin und das Piemont in diesen beiden Jahrhunderten die kulturelle Schnittstelle zwischen Italien und den französischsprachigen Länder Nordeuropas war. Die Savoia standen durch verwandtschaftliche Bande in engen Kontakten mit dem König von Frankreich und seinen Verbündeten. So hängen in unserer Kunstschau Gemälde von italienischen Malern wie Gregorio Bono neben den Werken von Rogier van der Weyden und Antoine de Lonhy. Wir zeigen hier die Wurzeln der multikulturellen Kunstszene des Piemont."

    Die olympischen Spiele waren Anlass zum Bau neuer Sportanlagen. Dafür holte man international bekannte Architekten nach Turin, wie Arata Isozaki, Benedetto Camerana und die Mailänder Stararchitektin Gae Aulenti.

    Unter den vielen Veranstaltungen in den Theatern Turins fasziniert vor allem "Domani", ein von Luca Ronconi in Szene gesetzter monumentaler Schauspielzyklus nach der Trilogie "Warplays" des Briten Edward Bond. Dazu die Theaterkritikerin Ada Macini:

    " Es war eine Menge Geld nötig, um dieses gigantische Projekt zu realisieren. Ronconi führt 5 Dramen von Shakespeare auf. Mit den besten Schauspielern Italiens. Beeindruckende und riesige Bühnenbilder und 5 Stunden Theater an einem Stück. Das Projekt kostet ganze sieben Millionen Euro. Anscheinend hat man in Turin zuviel Geld."

    Und so ist Ronconis Theaterprojekt bereits Thema einer heftigen Polemik, denn, so die Repräsentanten kleiner und von der Stadt unabhängiger Theater: mit 7 Millionen Euro hätte man viele kleine Bühnen vor dem finanziellen Aus bewahren können. Aber diese Kritik stößt bei den Kulturverantwortlichen auf taube Ohren: bei der Kulturolympiade will man nicht kleckern, sondern klotzen.