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Kunst-Installation
Wer's glaubt wird selig

Fangen Atheisten und Agnostiker an zu glauben, wenn ihr Wissen aufhört? Und wenn ja, was? Das haben sich zwei Künstlerinnen aus Berlin gefragt, die in der Hauptstadt das Labor für kontrafaktisches Denken gegründet haben und nun Pilgerwege für Ungläubige entwerfen.

Von Oliver Kranz | 05.12.2013
    Grau und laut sind die Straßen, an denen der Pilgerweg vorüberführt. Peggy Mädler und Julia Schleipfer haben zwei Strecken festgelegt, die Berlin durchqueren.
    "Einen agnostischen Pilgerweg - der beginnt Nordend an den Zinnerwiesen und endet am S-Bahnhof Berlin-Südende, und der atheistische Weg geht von Ost nach West."
    Peggy Mädler unterscheidet streng zwischen Atheisten und Agnostikern, also zwischen denen, die sich sicher sind, dass es Gott nicht gibt, und denen, die einfach nur sagen, dass sich die Existenz eines höheren Wesens nicht beweisen lässt. Religiös sind weder die einen noch die anderen. Und trotzdem gibt es Dinge, an die diese Menschen glauben. Das haben Peggy Mädler und Julia Schleipfer bei Umfragen festgestellt.
    "Die Welt- und Glaubensvorstellungen des Einzelnen zerfallen in viele Puzzleteile. Da kann jemand sagen: Ich verneine die Existenz Gottes, aber ich finde es trotzdem tröstlich, dass es nach dem Tod nicht ganz zu Ende ist. Ich lasse mir eine Option offen. Bei anderen - wenn es darum geht, gibt man Leid einen Sinn - kann jemand sagen: Nein, aber ich habe sieben Glücksbringer."
    Atheistische Reliquien
    Und gerade diese Widersprüche findet Peggy Mädler interessant. Man ist in der heutigen Gesellschaft nicht mehr so stark auf ein bestimmtes Rollenverhalten festgelegt, wie früher, sagt sie. Jeder kann seine Identität aus verschiedenen Bausteinen zusammensetzen.
    "Da kommen sehr schöne Mischformen raus: Katholische Atheisten oder Agnostiker mit buddhistischen Strömungen usw."
    "Wir zünden nie Kerzen in Kirchen an."
    "Aber wir lieben es, wenn in einer Kirche viele Kerzen brennen."
    "Wir denken, dass jede Kerze für einen Menschen steht."
    "Nein, das denken wir nicht."
    Meinungen aus einer Umfrage, die Peggy Mädler und Julia Schleipfer zurzeit als Videoinstallation in den Sophiensälen präsentieren, in einem lang gestreckten Raum mit Säulen, der etwas Kirchenähnliches hat. Dort werden in Schaukästen auch atheistische Reliquien ausgestellt.
    "Da ist hier zum Beispiel der Plastikfisch, der ist unter die Kategorie Schutzbringer eingeordnet und ist ein Schutz vor schlechten Einflüssen, vor Krankheiten, vor bösen Menschen und auf Reisen. Die Dame, die uns den geschickt hat, hat den tatsächlich immer dabei in ihrer Tasche."
    Pilgerwege für Ungläubige
    Deshalb ist im Schaukasten - wie Julia Schleipfer erklärt - auch nicht der Originalfisch zu sehen, sondern ein auf Ebay ersteigertes Duplikat. Doch warum interessieren sich die beiden Künstlerinnen, die vor ein paar Jahren das Labor für kontrafaktisches Denken gegründet haben, überhaupt für Glaubensrituale von Atheisten? Und warum haben sie Pilgerwege festgelegt, auf denen Interessenten kreuz und quer durch Berlin wandern können?
    "Es ist so diese Selbstbefragung. Viele Leute pilgern heute nicht mehr aus religiösen Gründen, sondern weil sie eher abschalten wollen - das funktioniert so ähnlich wie beim Joggen, dass der Kopf so ein bisschen leer wird - andere pilgern, weil sie irgendwas klären wollen."
    Peggy Mädler und Julia Schleipfer haben ein Heft herausgebracht, in dem sie nicht nur die Pilgerwege beschreiben, sondern auch Fragen auflisten, über die man beim Wandern nachdenken kann. Wo endet Abhängigkeit, wo beginnt Freiheit? So heißt es zum Beispiel am Beginn des atheistischen Wegs. Ein spannendes Problem. Wer wirklich darüber grübelt, merkt vielleicht gar nicht, dass die Straßen, durch die er geht, grau und unattraktiv sind.