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Kunst oder Krempel?

Mehr als Tausend Kunstwerke sind auf Kölner Straßen, Plätzen und Gebäuden zu entdecken. Doch viele der Objekte sind beschädigt oder inzwischen zugebaut. Die Stadt hat die Kunst im öffentlichen Raum daher auf den Prüfstand gestellt.

Von Burkhard Müller-Ullrich |
    Was die Leute nur immer haben! Kaum legt man ihnen einen großen Stein in den Weg, regen sie sich auf. Oder ein paar rostige Stahlplatten. Oder eine Holztreppe ohne Funktion, nur zum Anschauen. Die Aufregung kommt von altbackenen Geschmacksvorstellungen, an denen die Leute hartnäckig festhalten. Das ist ein großes Glück für Künstler, die nach eigenem Bekunden eine "Strategie des Störens" verfolgen, "gesellschaftliche Zusammenhänge offen legen" und "sich ins Zeitgeschehen einmischen" wollen.

    Da eine moderne Demokratie vor allem als Erregungsgemeinschaft funktioniert, ist auf diesen Reflexbogen weitgehend Verlass: Der Künstler provoziert, das Volk protestiert. Zahllos sind die Beispiele in deutschen Innenstädten, die berühmtesten tragen Namen wie Metzel, Lüpertz oder Lange, aber auch ihre weniger bekannten Kollegen dealen gern mit der öffentlichen Hand und stellen den öffentlichen Raum mit absurden Aphroditen, einem androgynen Mozart oder getürmten Absperrgittern voll.

    Regelmäßig kommt es dann zu nächtlichen Beschädigungen, die als Beweis für das Banausentum der Gegner solcher Werke gelten. Denn so verschieden die Werke im einzelnen ist, ihre Grundhaltung deckt sich: Es ist die arrogante Herrschaftsgebärde, das Publikum mit Wonne vor den Kopf zu stoßen, ästhetische Ausnahmezustände zu schaffen und diejenigen, die sich dagegen auflehnen, als geistig minderbemittelt zu erachten. Kunst ist längst zum integralen Bestandteil politischer Machtdemonstration geworden, gerade in der Bundesrepublik. Indem Politiker sich mit besonders anstrengenden, irritierenden und schwierigen Kunstwerken umgeben, indem sie nicht nur ihre Büros, sondern auch den öffentlichen Raum damit bepflastern, zeigen sie ihre vermeintliche Souveränität im Umgang mit dem Abgründigen.

    Solche Coolness wird dann auch von der Gesellschaft erwartet. So kommt es, dass "man lieber die Augen schließt und den Mund hält, bevor man sich als Spießer bezeichnen lässt" – ein Satz, der interessanterweise von einem anderen bedeutenden Maler, nämlich Gerhard Richter, stammt und just auf Lüpertz’ Salzburger Mozart gemünzt war (von dem er nicht viel hält).

    Dieser allgemeine Gestus von Liberalität und Nervenstärke wird allerdings gelegentlich durch Manifestationen von Volkszorn unterbrochen. Das kommt daher, dass man Monumente auf Straßen und Plätzen beim besten Willen nicht übersehen kann. Anders als manches, das auch nicht gefällt, aber in Galerien und Museen hängt, die man nicht besuchen muss, ist Kunst im öffentlichen Stadtraum für die Bürger unausweichlich. Wegschauen geht nicht, wenn man auf den Weg schauen muss.

    Aber wie ist es mit dem behutsamen Versetzen eines Denkmals an einen anderen, weniger prominenten Ort? Führt das zu einer künstlerischen Entstellung oder Beeinträchtigung? Mit dieser Frage hatten sich schon zahllose Gerichte zu befassen, weil die Künstler meist darauf beharren, ihre Skulpturen nur für einen ganz bestimmten Platz geschaffen zu haben - was freilich der gleichzeitig vertretenen Idee vom "autonomen Kunstwerk" ein bisschen widerspricht.

    Wahr ist, dass Denkmäler und Skulpturen schon immer gelegentlich versetzt wurden. Es gibt sogar Versuche, den regelmäßigen Platzwechsel zu einer Tugend zu machen und durch zeitlich befristete Auf- und Ausstellung für Abwechslung zu sorgen. Das geht allerdings nur mit einer bestimmten Kategorie von Objekten, die wie Meteoriten in den öffentlichen Raum einschlagen und ihm letztlich fremd bleiben.

    Richard Serras "Terminal" ist so ein Fall – nur dass die vier zwölf Meter hohen trapezförmigen Stahlplatten heute noch vor dem Bochumer Hauptbahnhof stehen und weiter Rost ansetzen, zum Zeichen dafür, dass auch der heftigste Widerwille der Bevölkerung irgendwann erlahmt. Einst Wahrzeichen der "dokumenta 6" in Kassel wurde das Werk des amerikanischen Künstlers 1977 für 350.000 Mark von der Ruhr-Stadt gekauft und 1979 aufgestellt. Unverständnis und Empörung brandeten auf und führten zu einer politischen Plakatkampagne. Serras Ruhm, der Meister ist inzwischen 72, war das nicht abträglich.

    So führt die zeitgenössische Erziehungsdiktatur der Künstler immer wieder zu dem paradoxen Resultat, dass sich die Ablehnung der Leute allemal als Aufmerksamkeitsgewinn ausmünzen lässt. Landauf, landab läuft es nach demselben Prinzip, von Erlangen bis Saarbrücken und von Weimar bis Zirndorf.