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Kunst statt Kinder, Küche, Kirche

Herder nannte die Barockmalerin Angelika Kauffmann die intelligenteste Frau Europas. Wenn man ihre Selbstporträts zugrundelegt, war sie auch ausnehmend hübsch. Im November 1807 starb die Künstlerin, der die europäische Gesellschaft zu Füßen lag, in Rom. Aus Anlass dieses Jahrestags zeigen sowohl das Heimatmuseum im österreichischen Schwarzenberg als auch das Vorarlberger Landesmuseum in Bregenz Gedenkausstellungen. Letzteres verfügt über die größte Sammlung ihrer Bilder.

Von Wolf Schön |
    Angelika Kauffmann, die Engelsgleiche, die Hochbegabte und Vielgeliebte: Als Powerfrau im späten 18. Jahrhundert hat sie Kunstgeschichte ohne Vergleich geschrieben. Über ganz Europa strahlte ihr Ruhm. Gekrönte Häupter zählten zu ihren Auftragebern, ein Kurienkardinal sprach bewundernd von der "zehnten Muse Roms".

    Miss Angel, wie sie Londons Akademiepräsident Reynolds nannte, kam 1741 in Chur als Wunderkind zur Welt, das anfing zu zeichnen, bevor es malen lernte. In Italien, wo ihr Vater, ein weitgereister Freskomaler, die eigene Palette an den Nagel hängte, um ihr als Manager zu dienen, gelang der frühreifen Tochter ansatzlos der Aufstieg zum gefeierten Szenestar. Vor allem britische Grand Tour-Touristen waren von ihren einfühlsamen Porträts begeistert. Dabei wäre die Doppelbegabte auch gerne Sängerin geworden. Später verarbeitete sie die Entscheidung für die Kunst zu dem programmatischen Gemälde "Selbstbildnis am Scheideweg zwischen Musik und Malerei". Vordergründig zitiert das Bild die Geschichte vom unschlüssigen Herakles und meint in Wahrheit einen unerhörten Triumph weiblichen Selbstbewusstseins: Eine Frau wagt es, in die Rolle des antiken Helden zu schlüpfen.

    Den märchenhaften Aufstieg der Künstlerin in der Männerdomäne zeichnet die üppig bestückte Doppelausstellung zum 200. Todestag nach. Den größten Teil der mehr als 180 Exponate zeigt in Bregenz das Vorarlberger Landesmuseum, beginnend mit einer Serie von Selbstbildnissen, einem künstlerischen Tagebuch, das die Karrierefrau in alpenländischer Tracht beginnt und mit der Büste der Minerva zum Höhepunkt des Bildungsweges führt. Hier präsentiert sich die Malerin 40-jährig stolz als belesene Intellektuelle, die nach den Sternen der künstlerischen Königsklasse greift. Die Historienmalerei mit ihren mythologischen Stoffen ist es, die ihren Ehrgeiz fortan beschäftigt. Das Kauffmann-Museum im Alpendorf Schwarzenberg, dem väterlichen Geburtsort, der ihre Seelenheimat blieb, beherbergt dagegen das religiöse Spätwerk sowie die Anfänge in Gestalt der Freskoentwürfe für die dortige Pfarrkirche.

    Ertrag- und ereignisreich ist das Londoner Intermezzo. Die Gemahlin des britischen Gesandten hatte die bezaubernde Pinselvirtuosin an die Themse entführt, wo ihr nach dem Atelierbesuch der Queen der finanzkräftige Adel zu Füßen lag. Zahlreiche Amouren wurden der koketten Österreicherin angedichtet, verbürgt immerhin ist die Eroberung durch einen schwedischen Heiratsschwindler, was dem Kapitel Swinging London nach 15 Jahren ein abruptes Ende setzte. Zur Hochform lief Angelika Kauffmann auf, nachdem sie sich an der Seite des Vedutemalers Antonio Zucchi endgültig in Rom niederließ. Zum legendären Salon im prächtigen Palazzo strömte die Elite der Ewigen Stadt, verstärkt durch illustre Besucher wie Kaiser Joseph II. und Herder, für den die Gastgeberin "vielleicht die kultivierteste Frau in Europa" ist. Und dann steht 1786 Goethe vor der Tür, liest beim Mittagessen aus seiner "Iphigenie" vor. Von seinem Bildnis, das er als "hübsches Bürschchen" verspottet, ist der Dichterfürst ziemlich enttäuscht und lässt sich zu einem tückischen Lob herab. "Sie hat", schreibt er, "als Weib wirklich ungeheures Talent."

    Hier irrte Goethe nicht, als er der Seelenfreundin den Status des Genies verweigerte. Denn künstlerisch war die Ausnahmeerscheinung im männlich herrschten Metier alles andere als ein Rebell. Mit ihren Bildern bestätigte sie, was traditionell von einer Frau erwartet wurde: Anmut und zarte Gefühle. Liebreizend ist die antike Weiblichkeit, sanftmütige Softies sind die wilden Kerle aus der Dichtung Homers, umflossen von einem warmen Farblicht, das schmeichelnde Schönheit erzeugt. Die harmoniegesättigte Malerei gipfelt in der Bilderzählung "Hektor wirft Paris Weichlichkeit vor", einem unfreiwilligen Eingeständnis der eigenen Schwäche, die nun aber gerade das Erfolgsgeheimnis der Angelika Kauffmann war. Mit dem weiblichen Blick traf sie punktgenau den Geschmack im Zeitalter der Empfindsamkeit.