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Kunst sucht Raum

Kultur hat in vielen afrikanischen Gesellschaften keinen Platz. Künstler werden toleriert, Raum wird ihnen jedoch nicht geboten. Dabei wächst die Kulturszene stetig. In vielen Städten nehmen die Künstler ihr Schicksal selbst in die Hand und bauen Kulturzentren auf.

Von Leonie March |
    Es ist ein lauer Abend in Lubumbashi, einer Bergbaustadt im Südosten der Demokratischen Republik Kongo. Auf der Bühne spielt eine Jazzband vor ein paar Dutzend Zuschauern. Nicht gerade beeindruckend könnte man denken, aber das Kulturzentrum "Centre d’Art Picha" gleicht einer Oase in einer kulturellen Wüste. Gegründet von den beiden Künstlern Sammy Baloji und Patrick Mudekereza.

    "Ein Leben als Künstler ist nirgendwo auf der Welt leicht, aber hier ist es besonders schwierig. Es mangelt an dem Bewusstsein, dass Künstler eine wichtige gesellschaftliche Rolle spielen. Sie werden zwar toleriert, aber man gewährt ihnen keinen eigenen Raum. Da es kaum Fördermittel gibt, haben wir gelernt, aus minimalen Ressourcen das maximale herauszuholen. Viel wichtiger als das Budget ist ohnehin das kreative Potenzial; Künstler, die bei uns arbeiten und hier den Grundstein für ihre Karriere legen. Nach diesem Modell haben wir "Picha" aufgebaut."

    In dem kleinen Gebäude, das mal als Büro, mal für Vernissagen oder Tagungen genutzt wird, hängen Fotocollagen von Sammy Baloji. Im Vordergrund historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der belgischen Kolonialzeit, ausgemergelte, nackte Körper, im Hintergrund die Industrieruinen von heute. Balojis Werke sind international gefragt, doch in seiner Heimat fehlen Ausstellungsräume. Eine Lücke, die das "Centre d’Art Picha" zu füllen versucht. Das Kulturzentrum ist eines von vielen auf dem afrikanischen Kontinent, das in den letzten zehn Jahren gegründet wurde. Die stetig wachsende Kulturszene nimmt ihr Schicksal damit selbst in die Hand. Eine Reaktion auf die chronisch schlecht ausgebaute kulturelle Infrastruktur, meint Katharina von Ruckteschell, Leiterin des Goethe-Instituts in Johannesburg, das die Arbeit in den Ländern Subsahara-Afrikas koordiniert.

    "Der formale Sektor, ich sag mal, die offiziellen Institutionen, also staatliche Museen oder Staatsgalerien sind oft, in vielen afrikanischen Ländern, eigentlich nicht "State of the Art". Und ich muss sagen, sie sind oft noch viel starrer in ihren Traditionen und in ihren kolonialen Strukturen oder hier in Südafrika ganz besonders in ihren Apartheid-Strukturen. Und die interessanten Entwicklungen passieren eigentlich in diesen unabhängigen Zentren."

    Hier können sich junge Künstler ausprobieren, dabei brechen sie zunehmend mit Afrikaklischees, traditionellen Formen und Inhalten. Videoinstallationen und abstrakte Malerei sind längst keine Ausnahme mehr. Fotografen aus Millionenmetropolen wie Johannesburg oder Lagos rücken die urbane Entwicklung in den Mittelpunkt. Mal humorvoll, mal gesellschaftskritisch. Welche Rolle die unabhängigen Kulturzentren dabei spielen und wie sie sich, je nach Land sehr unterschiedlich entwickeln, das ist Gegenstand eines Buchs, das gerade auf der Kunstmesse in Johannesburg vorgestellt wurde. Der "Condition Report" ist, wie der Name schon sagt, eine Bestandsaufnahme, das Resultat eines panafrikanischen Symposiums in Dakar. Dabei ging es auch um den Einfluss ehemaliger Kolonialmächte. In vielen afrikanischen Städten sind europäische Kulturinstitute prägend, unabhängige Einrichtungen sind überwiegend von westlichen Geldgebern abhängig. Es wäre jedoch zu einseitig, sich auf postkoloniale Kritik zu beschränken, betont Koyo Kouoh, die Herausgeberin des Buchs.

    "Ich denke, wir müssen es auch von der anderen Seite betrachten und fragen, was unsere Länder eigentlich für die Kulturförderung tun, was sie dazu beitragen, um unsere Kunst international bekannter zu machen. Die Frage ist also nicht, was der Westen bei uns zu suchen hat, sondern wie wir es schaffen in unserer Heimat ebenso stark vertreten zu sein, oder sogar tonangebend zu werden. Für diese Entwicklung sind wir selbst verantwortlich. Dabei muss die Regierung ebenso ihre Rolle übernehmen wie die Privatwirtschaft, die unabhängige Szene, Künstler und Intellektuelle. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, kommt es auf uns alle an."

    Noch treiben vor allem kleine, unabhängige Kulturzentren wie das "Centre d’Art Picha" diese Entwicklung voran, das momentan sogar eine panafrikanische Biennale veranstaltet. Es ist der zweite Anlauf, im vergangenen Jahr scheiterte sie an der Finanzierung. Kein Einzelfall. Die Zahl der Kunstsammler und Mäzene ist auf dem Kontinent noch überschaubar. Für viele Regierungen hat Kulturpolitik keine Priorität. Innerhalb der Afrikanischen Union gibt es nicht einmal eine Abteilung für Kultur. Selbst in einem Land wie Südafrika, in dem die Infrastruktur von Museen und Galerien im afrikanischen Vergleich sehr gut entwickelt ist, werde die Rolle der Kunst vom Staat noch sehr eng definiert, betont Katharina von Ruckteschell.

    "Das "Department for Arts and Culture" fördert vor allen Dingen Kunst als Mittel zum Zweck. Kunst als Mittel, seinen Geist zu bilden, Kunst als Mittel, wirtschaftlich Erfolg zu haben, Kunst als Mittel, seine Identität zu finden. Also Kunst als Wert an sich wird in der Regel nicht wahrgenommen."

    Eine Trendwende könnte das zunehmende Interesse internationaler Sammler, Galerien und Museen bringen. Die Kunstmesse in Johannesburg war in diesem Jahr so erfolgreich wie noch nie. Zeitgenössische Kunst wird zum Wirtschaftsfaktor. Viele Künstler hoffen, dass sich dies in Zukunft auch in Investitionen und den notwendigen Ausbau der kulturellen Infrastruktur auswirken wird.