Archiv


Kunst und Karossen

Im neuen Daimler-Benz-Museum in Stuttgart können sich die Besucher auf spiralförmigen Rampen zu einer Architekturpromenade aufmachen, die im Dienst einer Automobilparade steht. Mit seinem Sichtbeton hat das Gebäude etwas von einem Parkhaus oder einer Endlosunterführung. Doch mit seinen enormen gestalterischen Ambitionen weist es weit darüber hinaus.

Von Christian Thomas |
    Ganz ohne Frage hat der Fahrstuhl etwas von einem Helm. Nicht weniger als 50 Meter ragt die Betonwand im Gebäudekern auf, an der der silberpfeilfarbene Lift aufsteigt. In ihm darf sich der Museumsbesucher aufgenommen fühlen wie von einem Rennfahrerhelm. Ohne Schutzhaube kein Zugang zu den Schatzkammern des Mercedes-Benz-Museums. Ben van Berkel, Caroline Bos und ihr Amsterdamer UN Studio haben es errichtet. Das Ergebnis lautet: Ohne Aufstieg kein Eintritt in die Mercedes-Welt. Und wer weiß, vielleicht handelt es sich, wenn man in dem Fahrstuhl so etwas wie eine Himmelsleiter erkennen möchte, bei diesem Museum gar um eine Kathedrale.

    Und doch ist das Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart nicht vom Himmel gefallen. BMW ist mit der Errichtung einer Glaskonstruktion mit Geschäften, Restaurants und Eventheimstätten beschäftigt. In Leipzig ließen sich die Bayerischen Motorenwerke von Zaha Hadid ein Fabrikgebäude errichten. Porsche baut in Stuttgart-Zuffenhausen ebenfalls ein Museum. Und in Dresden ließ sich der VW-Konzern schon vor einigen Jahren eine seiner Produktionsstätten als automobile Präsentationshalle in Szene setzen.

    Im jetzt neuen Mercedes-Museum können sich die Besucher auf spiralförmigen Rampen zu einer Architekturpromenade aufmachen, die im Dienst einer Automobilparade steht. Mit den Rampen hat UN Studio den Wanderweg von Frank Lloyd Wrights New Yorker Guggenheim Museum aufgegriffen, um dieses Erschließungsprinzip als eine "ununterbrochene Schleife" (so Ben van Berkel) weiter zu entwickeln. Denn es sind zwei Pfade, die dem Promenierenden wie eine Doppelhelix-Struktur eine chronologische Präsentation eröffnen.

    Schon von außen fährt durch das Gebäude die Bewegung. Zwischen Stadion, Messehallen, Mercedes-Werk und sechsspuriger Schnellstraße behauptet es sich auf einem Plateau. Der silberpfeilfarbene Baukörper hat etwas von einem Bizeps, den breite, umlaufende Fensterbänder einzuschnüren scheinen, während die weithin strahlenden Aluminiumbleche der Außenhaut gleichsam die Muskeln spielen lassen. Dieses Haus scheint wirklich nicht ganz ungefährlich.

    Tatsächlich ist es konzeptionell, technisch, gestalterisch und strukturell ein Hybrid. Mit seinem Sichtbeton hat es etwas von einem Parkhaus oder einer Endlosunterführung. Doch mit seinen enormen gestalterischen Ambitionen und seinem handwerklichen Finish weist es weit darüber hinaus. Das Gebäude, dessen Grundriss sich als ein dreiblättriges Kleeblatt liest, hat keinen Ort, an dem nicht deutlich würde, welche gewaltigen Kräfte auf den Beton einwirken.

    Nicht auszumachen, was in diesem Haus noch Wand ist, was bereits Decke, was in diesem Gehäuse lastet, was es stützt. Das Gebäude, für das das Büro HG Merz das Ausstellungskonzept entwickelt hat, erlaubt zwei unterschiedliche Promenaden, die eine führt durch sieben so genannte Mythos-Räume, die die Geschichte der Automobilmarke inszenieren. Daneben sind es fünf Kollektionsräume, die die Produktentwicklung thematisch gliedern, etwa unter dem Aspekt des Reisens, des Rettens oder des Rasens.

    Wenn der Blick auf die automobilen Einzelstücke geht, darunter den 230 SL, die so genannte Pagode mit ihrer Eleganz ohnegleichen, den unvergleichlich schneidigen 300 SL-Flügeltürer, den bulligen SSK von 1928 oder den plumpen V12, umgebaut für Arnold Schwarzenegger: Wenn sich also der Besucher auf Ausstellungsplateaus befindet, deren Spannweite 33 Meter misst, dann fällt die Inszenierung der Exponate dennoch durchaus moderat aus. Nein, keine grelle und glitzernde Aufgeilerei nach Art von Automobilausstellungen. Das heißt nicht, dass auf protziges Vokabular verzichtet worden wäre. Mythos, Ikone, Aura und noch drei, vier weitere Grundbegriffe, nein: Gernegroßbegriffe heutigen Marketings sollen helfen, die Fahrzeuge als Traumwagen zu nobilitieren.