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Kunst und Kommerz

Treviso ist eine kleine Stadt in der Region Venetien. Es gibt einige alte Palazzi zu besichtigen, damit hat es sich aber auch schon. Venedig liegt nicht weit entfernt und so fällt Treviso bei fast allen Touristen unter den Tisch. Immer dann aber, wenn Marco Goldin lockt, dann kommen die Touristen in Scharen. So viele, dass das Städtchen aus den Fugen gerät. Es gibt nicht ausreichend Parkplätze für PKW und Reisebusse. Es gibt nicht genügend Stühle in Restaurants und Trattorien und vor allem an den Wochenende ist die Hölle los. Der 41jährige Unternehmer ist der Deus ex machina dieses Rummels. 1996 gründete er ein Unternehmen, das Ausstellungen organisiert. Zwei Jahren später stellte er die Superschau "Von Van Gogh zu Bacon auf" auf die Beine und zog auf einen Schlag 120.000 Besucher an. Es folgten drei weitere Ausstellungen, die immer wieder Maler des Impressionismus zum Thema hatten. Ein Riesenerfolg. Für seine Monet-Schau vor einem Jahr kamen über 400.000 Besucher. Zahlen, so der französische Kunsthistoriker Jean Clair, von denen selbst Ausstellungsmacher in Paris, London und Berlin nur träumen können:

Ein Beitrag von Thomas Migge |
    Goldin ist von Leuten umgeben, die ein ausgezeichnetes Gespür für den Zeitgeist in Sachen Kunst haben. Für die neue Ausstellung gingen, bevor sie überhaupt ihre Pforten öffnete, 200.000 Vorbestellungen für Eintrittskarten ein. Das ist ein internationaler Rekord. Aber Sie dürfen nicht vergessen: hier werden absolute Meisterwerke gezeigt.

    Meisterwerke, die man nur selten in so geballter Quantität zu sehen bekommt. Ausstellungsmacher Marco Goldin hat jetzt "Der Impressionismus und die Zeit Van Goghs" auf die Beine gestellt. Zwei Ausstellungen in einer: zum einen 120 Werke von Meistern des Impressionismus, zum anderen ganze 40 Gemälde von Vincent Van Gogh. Darunter Hauptwerke des holländischen Malers, die in der Regel nie ausgeliehen werden. "Das Weizenfeld von Auvers" zum Beispiel. Diese herrliche Bild mit ungewöhnlich kraftvollen Farben vermachte die Stiftung Garengo dem Genfer Musée d'Art e d'Histoire mit der Auflage, es niemals für Ausstellungen auszuleihen. Es ist Marco Goldins raffiniert-geschicktem Verhandlungstalent gelungen, dieses Bild trotzdem nach Treviso zu bekommen. Die "Blumenvase" aus der Zürcher Stiftung Bührle wurde das letzte Mal 1914 in Berlin in einer Ausstellung gezeigt. Ein drittes Werk von Van Gogh, "Säender Bauer im Sonnenuntergang", das erst kürzlich auf 75 Millionen Euro geschätzt wurde, kommt ebenfalls aus Zürich. Zuletzt verließ es 1961 die Schweiz.

    Diese Bilder wurden entliehen, weil man Goldin und seinen Mitarbeitern absolute Professionalität attestiert. Der Mann gilt heute als einer der wichtigsten Ausstellungsmacher weltweit. Die großen Erfolge seiner Projekte zeigen das. Denn: wo bitteschön werden Kunstliebhabern so viele Meisterwerke präsentiert? Das ist schon sehr interessant.

    Das wird aber auch kritisiert. Nicht wenige Kunstexperten rümpfen ihre Nasen angesichts der, so ihre Kritik, allzu gefälligen Impressionimusschauen in Treviso. Da werde, so der Vorwurf, immer wieder dasselbe in einem neuen Aufguss präsentiert.

    Wie auch immer man über diese Kritik denken mag: die neue Schau "Der Impressionismus und die Zeit Van Goghs" fasziniert mit ihren vielen Highlights. Die Ausstellung ist in fünf Sektionen aufgeteilt. Die ersten vier beschäftigen sich mit dem Impressionismus, der Van Goghs Schaffen vorausgeht. Da sind Werke von Monet und Renoir, von Degas und Toulouse-Lautrec zu sehen. Eine Sektion stellt Werke von Signac und Seurat aus der Spätzeit des Impressionismus vor und schließlich werden Zeichnungen und Marmorskulpturen von Rodin gezeigt. Und dann, so Jean Clair, der Gipfel der Ausstellung: die Bilder Van Goghs:

    Angesichts der Bekanntheit dieses Malers aber auch der anderen Künstler ist ein Erfolg einer solcher Ausstellung mehr als garantiert. Stellen Sie sich vor: geplant ist bereits, dass Samstags und Sonntags an diejenigen, die in langen Warteschlangen auf Einlass warten, warme Suppe in Plastiktellern ausgegeben wird. Für feingeistige Kunstliebhaber ist das natürlich nichts und die protestieren auch gegen den Gebrauch von Kunst für solche Massenveranstaltungen.

    Ausstellungsmacher Marco Goldin stört diese Kritik in keiner Weise. Ihm geht es um Kunst und Kommerz. Um das Geldverdienen mit gutgehenden Schauen und um die Verbreitung des Interesses an Malerei. Beides gelingt ihm perfekt. Schade nur, dass man immer wieder zu viele Besucher auf einmal in die Räume der "Casa dei Carraresi" hineinlässt. Sie stauen sich vor den Bildern, sie drücken und drängeln und der eigentliche Grund des Besuchs einer Kunstschau - das ruhige Betrachten eines Bildes, das Genießen - das ist so gut wie unmöglich. Schade, aber das ist der Nachteil, den man in Kauf nehmen muss, wenn Kunst und Kommerz gepaart mit einer internationalen Werbekampagne Hand in Hand gehen.

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