Maja Ellmenreich: Heimat, Herkunft und Zugehörigkeit? Unbeschwert ist, wer ohne lange zu überlegen eine eindeutige Antwort auf diese Fragen geben kann. Doch Kriege und Kämpfe, politische Wirrungen und die Umwege der Zeitgeschichte sorgen dafür, dass es nicht immer solch eine eindeutige Antwort gibt - die aktuellen politischen Diskussionen sprechen für sich.
Auch Kulturgüter, Kunstwerke und -Schätze sind ebendiesen Unbeständigkeiten ausgesetzt. Die Frage, wo ein Werk "zu Hause" und wer der rechtmäßige Eigentümer ist - darüber gehen die Meinungen oft auseinander.
Man blicke nur in die Feuilletons dieser Tage - da finden sich mehrere Beispiele für Streitfälle und ihre Lösungen: Die berühmte Mars-Skulptur von Giambologna etwa wird nun doch nicht bei Sotheby's versteigert, sondern wird mit vereinten Kräften für Dresden angekauft. Und das wertvolle Cézanne-Gemälde darf im Kunstmuseum Bern bleiben, aber soll regelmäßig nach Aix-en-Provence ausgeliehen werden.
An der Universität Bonn wird zur Zeit ein interdisziplinärer Schwerpunkt für Provenienzforschung, Kunst- und Kulturgutschutzrecht aufgebaut. Zu Beginn dieses Sommersemesters haben drei Professuren ihre Arbeit aufgenommen.
Die Professur für Kunst- und Kulturgutschutzrecht hat der Jurist Matthias Weller inne, studiert hat er in Heidelberg und Cambridge - und wir wollen heute, quasi zum Ende des ersten Semesters, mal grundsätzlich werden.
Herr Weller, gilt bei Kulturgütern, was man auch aus dem alltäglichen Leben kennt: Ihre Disziplin, die Gesetze und die Rechtsprechung, sollten wirklich die allerletzte Möglichkeit sein. Viel besser ist es, wenn man außerhalb von Gerichtssälen eine Lösung für den Verbleib eines Kunstwerkes findet?
Matthias Weller: Kulturgüter unterliegen natürlich auch den Maßgaben des anwendbaren Rechts. Es handelt sich zunächst um Sachen. Und damit stellt sich die Frage: Wer ist der Eigentümer? Darüber hinaus sind Kulturgüter natürlich auch etwas Besonderes. Sie repräsentieren eben eine Kultur, eine Epoche, eine bestimmte Geschichte und können deswegen nicht unmittelbar nach denselben Regeln behandelt werden wie es für normale, sage ich mal in Anführungszeichen, Sachen gilt. Und deswegen hat sich eine ganz spezielle Rechtsmaterie, das Kulturgutschutzrecht herausgebildet, die sich mit diesen speziellen Regelungen zum Mein und Dein von Kunstwerken und Kulturgütern auseinandersetzt.
Suche nach gerechten und fairen Lösungen
Maja Ellmenreich: Und das Mein und Dein - das geht ja kreuz und quer durch die Geschichte. Vor einigen Jahren noch, da ging es bei uns im Land nur um NS-Raubkunst. Mittlerweile wird, wenn wir eben weiterhin nur auf Deutschland blicken, auch intensiv diskutiert über das koloniale Erbe zum Beispiel in ethnologischen Museen oder auch um Kunst, die zu DDR-Zeiten enteignet worden ist. Wird erst jetzt diese Unrechtmäßigkeit in ihrem ganzen historischen Ausmaß so richtig erkannt? Oder woher kommt dieser Boom, wenn ich ihn so nennen darf?
Matthias Weller: Wir befinden uns im 20. Jahr nach dem Beschluss der Washingtoner Prinzipien zum Umgang mit nationalsozialistischer Raubkunst - insofern haben wir in diesem Unrechtskontext weitreichende Erfahrung und müssen uns aber trotzdem nach wie vor mit den Verfahrensweisen und den Maßstäben zur Restitution auseinandersetzen. Dazu findet heute Abend eine erste Veranstaltung des neugegründeten Lehrstuhls statt mit dem Vorsitzenden der beratenden Kommission im Zusammenhang mit Kulturgutverlusten, insbesondere aus jüdischem Besitz. Und es wird Herr Altpräsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier sprechen und eine Bilanz ziehen: 15 Jahre Tätigkeit dieser beratenden Kommission. Man sieht also, hier hat sich einiges getan, aber längst ist dieser Unrechtskontext noch nicht befriedigend aufgearbeitet. Daneben treten zunehmend ins Bewusstsein weitere Unrechtskontexte: das koloniale Erbe, aber auch die ehemalige DDR. Das sind Bereiche, die zunehmend auch aufgearbeitet werden durch Bemühungen in der Provenienzforschung, also bei der Aufklärung der Herkunftsgeschichten der verschiedenen Objekte. Und dann stellt sich die Frage: Was ist eine gerechte und faire Lösung für die Frage "Mein oder Dein?" im jeweiligen Kontext.
Maja Ellmenreich: Ja, diese gerechte und faire Lösung, die Sie gerade ansprechen, die steht ja wortwörtlich so in der Washingtoner Erklärung von 1998. Kommt da also auch die Moral und der gesunde Menschenverstand womöglich mehr ins Spiel als die Rechtsprechung?
Matthias Weller: Das ist die Grundidee. Die Wahrnehmung war, dass das geltende Recht, das Eigentumsrecht, zu eng gefasst ist, insbesondere häufig an Verjährungsfragen scheitert, auch an Beweisfragen scheitert. Und deswegen ist eine Grundidee der Washingtoner Prinzipien, jenseits des geltenden Rechts gerechte und faire Lösungen zu finden, insbesondere auf moralisch-ethischer Ebene. Und bei dieser Entscheidung, die natürlich sehr schwierig zu fällen ist, fließen eben gerade auch Momente der historischen Verantwortung, der moralischen Verpflichtung ein. Genau das ist die Zielrichtung dieser Prinzipien.
Maja Ellmenreich: Nun hat man also zwischen den Staaten miteinander zu tun. Und wir erleben gerade Zeiten der Abschottung von Staaten, also Zeiten, in denen wir in vielen Ländern erstarkenden Nationalismus erleben. Hat das auch Auswirkungen auf die Klärungen von solchen umstrittenen Fällen?
Matthias Weller: Vielleicht nur sehr mittelbar. Es geht ja derzeit eher um Handelsbeschränkungen, neue Zölle, die im Warenwirtschaftsverkehr errichtet werden. Und in unserem Themenbereich geht es um Wiedergutmachung, um die Befriedigung moralischer Erwartungen und Ansprüche. Das liegt erst einmal relativ weit auseinander. Letztlich geht es aber, jedenfalls bei der Frage der Wiedergutmachung, auch um Befriedung der Völker untereinander - gerade, wenn Sie jetzt an den kolonialen Kontext denken. Und insofern ist jedenfalls diese Aufgabe eine sehr wichtige für die Völkerverständigung.
Beutekunst-Verhandlungen stocken
Maja Ellmenreich: Ja, aber ich könnte mir vorstellen, zum Beispiel bei Diskussionen mit Russland, wenn es da um Kriegsraubgut geht, dass da aktuelle politische Querelen durchaus auch durchmischen können mit solchen historischen Streitfällen.
Matthias Weller: Das ist natürlich immer auch der Fall. Manchmal stocken Verhandlungen, das ist im Kontext der sogenannten Beutekunst zu beobachten. Da stehen die Verhandlungen derzeit still. In anderen Bereichen ist es dynamisch geworden, gerade was das koloniale Erbe anbelangt, aber auch, was die nationalsozialistische Raubkunst anbelangt. Hier tut sich vieles, hier tut sich immer mehr.
Maja Ellmenreich: Sie sagen, da tut sich vieles, und da tut sich immer mehr. Auch der Schwerpunkt an der Universität Bonn spricht ja dafür. Sie arbeiten dort mit Provenienzforschern und mit Kunsthistorikern zusammen. Warum ist das Interdisziplinäre bei Ihrem Arbeitsgebiet so wichtig?
Matthias Weller: Das ist deswegen so segensreich, weil beispielsweise eine moralische Entscheidung darüber, ob ein Kunstwerk, das sich gegenwärtig in einem deutschen Museum befindet, restituiert werden sollte, ganz maßgeblich beruht auf der Geschichte dieses Kunstwerkes, auf der Provenienz dieses Werkes. Da gibt es eigenständige Methoden, zum Teil ist schon von einem "provenance turn" die Rede in der Kunstgeschichte. Das alles drängt nachgerade dazu, diese beiden Fächer interdisziplinär zu verzahnen - so wie es die Universität Bonn jetzt getan hat.
Maja Ellmenreich: Und dort lehrt Matthias Weller als Professor für Bürgerliches Recht, Kunst- und Kulturgutschutzrecht - vielen Dank für das Gespräch jetzt, zum Ende der ersten Vorlesungszeit dieser neuen Professur in Bonn.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.