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Kunstaktion "Bewegtes Land"
Lob der Landschaft

Das Reisen, früher Inbegriff der Begegnung mit dem anderen, ist zu einer virtuellen Überbrückung von Strecke geworden. Mit schnellen Zügen dahinrasen, ohne Verbindung zur durchquerten Landschaft. Das Kunstprojekt "Bewegtes Land" will dafür wieder die Aufmerksamkeit schulen.

Von Claudia Euen | 25.08.2017
    Ein Geschäftsmann schaut sitzend auf seinem Laptop, der Zug in dem er sitzt ist herausretuschiert, er ist nur von Landschaft umgeben (Bild: Bewegtes Land)
    "Bewegtes Land" will die Augen der Fahrgäste für ihre Umwelt öffnen (Bewegtes Land)
    Endstation Jena Paradies. An den Gleisen warten Reisende auf den einfahrenden Zug, als plötzlich ein Malheur passiert. Eine Frau mit Kinderwagen stürzt. Schock. Entsetze Blicke. Doch Ria Hirsch steht schnell wieder auf, wischt sich die Knie sauber und lächelt.
    "Ich spiele eine junge Mutter, die sich um ihr Kind kümmert als sie nach dem Weg gefragt wird von einem Mann, der eine Leiter auf dem Rücken trägt. Ich erkläre ihm den Weg, woraufhin er mich dann mit der Leiter in meinen Kinderwagen schubst", sagt die 16-jährige Jenenserin. Ihren Sturz hat sie geübt. Er ist kein Zufall, sondern Slapstick in der Dauerschleife - eine von rund 40 Mini-Inszenierungen im Kunstprojekt "Bewegtes Land". Zwei Tage lang wird die Zugstrecke zwischen Jena Paradies und Naumburg mit Theater bespielt, eine 40 Kilometer lange Freilichtbühne sozusagen. Die Zuschauer sitzen im Zug und sehen durchs Fenster Dinge, die sie sonst eher aus Science-Fiction-Filmen kennen: Menschen fliegen durch die Luft, ein Hai springt aus der Saale, Büsche rennen davon, Bäume stehen plötzlich im Nebel. Ein Läufer nimmt einen Wettlauf mit dem Zug auf oder ...
    "Dem erteilen wir mal eine Lektion! Stehenbleiben! / Wieso dass denn? Was soll das werden? / Du kommst hier nicht mehr durch. / Der Weg ist für alle da? / Lass das Fahrrad fallen. / Der Weg ist für alle da."
    Landwirte versus Biker
    Wenn der Zug in Jena-Porstendorf vorbeifährt, gehen plötzlich Passanten aufeinander los. Eine Schlägerei zwischen Stoppelfeldern, für Sekunden bloß und doch sichtbar. Landwirte versus Biker heißt die Szene und soll den Clash moderner Lebenswelten spiegeln: Techno-Partys oder Fahrradfahrer zwischen Maisfeldern auf der einen, Bauern, die hier ihre Arbeit machen, auf der anderen Seite.
    "Es geht natürlich um Geschwindigkeit und wie wir heutzutage mit kurzen Aufmerksamkeitsmomenten die Welt wahrnehmen und es geht ganz klar um diesen Stadt-Land-Konflikt. Und der spiegelt ja auch genau das wider: Was hab ich für ein Bild vom Land. Wenn man Berlin und München mit einem Schnellzug verbindet, das finde ich gut, das finden viele gut, das ist wunderschön. Gleichzeitig ist es auch ein Trenner. Schnelle Autos, Flugzeuge oder Züge verbinden die Städte, aber lassen das Land aus",
    sagt Jörn Hintzer. Gemeinsam mit Jakob Hüfner hat er "Bewegtes Land" initiiert. Seit 15 Jahren produzieren die beiden Medienkünstler Filme und Formate für Fernsehen und Internet, sind Juniorprofessoren für experimentelle Television an der Bauhaus-Uni in Weimar. Ihr Ziel: Den Blick im Detail verhaften, die Perspektive auf den "Sehnsuchtsort Land" verschieben. Für Hintzer liegt die Crux in der fehlenden Schnittmenge zwischen Städtern und jenen, die in Dörfern leben. Mit superschnellen Verkehrsmitteln rasen wir durch die Landschaft. Das Draußen bleibt nur eine Ahnung, drinnen eröffnet das Smartphone eine ganze, eigene und vermeintlich interessantere Welt. Die Qualität des Reisens sei eben eine andere geworden, sagt Hintzer:
    "Früher und eigentlich heißt es immer noch so, dass Reisen neue Horizonte öffnet und die Begegnung mit Fremden möglich macht. Es gibt da draußen eine Landschaft, die vorbeizieht und nicht mehr Landschaft, in der Menschen stehen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Also Gasthof zur Post: 'Ich wechsel die Pferde', das ist mindestens ein Aufenthalt von mehreren Stunden, wenn nicht sogar eine Nacht. Man hat den Austausch mit anderen Mitreisenden et cetera, das ist sozusagen diese romantische Vorstellung von einem Reisen durch so eine Landschaft wie hier."
    "Einfach mal genießen"
    Doch auch die Regionalzüge, die durch das "Bewegte Land" fahren, sind zu schnell, um mit den Menschen draußen in Kontakt zu kommen. Aber vielleicht wird der ein oder andere Zugreisende durch die absurden und komischen Kunstaktionen öfter nach draußen gucken, sich wundern, seine Gedanken machen und mit seinem Gegenüber ins Gespräch kommen. Die rund 200 Freiwilligen aus Jena und Umgebung, die beim Projekt mitwirken, sind schon mittendrin.
    "Ich finde es witzig. Mir gefällt es sehr gut, wenn Leute aufeinandertreffen, die vorher noch nichts voneinander gehört haben, die teilweise noch nicht mal was von der Sache gehört haben, die sie da machen. Da kann oftmals viel Interessantes bei zustande kommen, Witziges. Das ist eine schöne Aktion, auch mal weg von den ganzen sozialen Medien, von der ganzen Technik, hin zur Natur, einfach mal genießen, was um einen herum passiert, das auch wahrnehmen. Das ist glaube ich auch ganz wichtig, dieses bewusste Wahrnehmen, das findet heutzutage meiner Meinung nach ganz wenig statt",
    sagen Ria Hirsch und Konstantin Berkovych. Der 28-Jährige und seine Freunde vom Boxverein Jena prügeln sich freiwillig am Feldrand, mit Schaumgummihämmern und Luftpumpen - alles nur gespielt natürlich. Am Bahnhof Jena Paradies empfängt ein Laienchor Zuggäste singend an den Gleisen - Musik als kurzer Moment zum Innehalten und Anreiz zum Aussteigen und Verweilen. Denn nur dann kann man wirklich irgendwo ankommen.
    "Lauf, lauf, lauf, denn diese Noten sind nun mal die schnellen Läufer. Doch jetzt musst du schön im Schritt gehen."
    Die Aktion "Bewegtes Land" findet am 26. und 27. August statt. Am Samstag von 10:30 Uhr bis 18:30 Uhr, am Sonntag von 13:30 Uhr bis 17:00 Uhr. Reisende müssen keine besonderen Tickets kaufen, ein normales Zugticket reicht.