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Kunstbiennale Venedig
Viel Politik und Religion

Die Biennale Venedig gilt als eines der wichtigsten Kunstereignisse der Welt. Wenn dann auch noch Syrien, die Ukraine, Iran und Armenien vertreten sind, dann erhoffen sich manche Beobachter von den Ausstellern künstlerische Schlüsselereignisse, die den Zustand der Welt in ein aufrüttelndes Symbol fassen. Doch ist das 2015 nur teilweise der Fall.

Von Carsten Probst | 25.05.2015
    Die große Hoffnung der diesjährigen Biennale Venedig ruhte auf Island. Der Pavillon dieses keinesfalls als Krisenstaat bekannten Landes befindet sich dieses Jahr in einer ausgedienten, heute in Privatbesitz befindlichen Kirche. Hierhin war der in Island lebende Schweizer Künstler Christoph Büchel eingeladen worden, der für seine pointierten Umgestaltungen von Kunstorten bekannt ist. In Kassel hatte er aus einem Museum einmal einen McGeiz-Supermarkt gemacht, in Wien einen Swinger-Klub.
    Aus der ehemaligen venezianischen Kirche Santa Maria della Misericordia, die nun also der isländische Pavillon ist, machte Büchel eine Moschee, und es dauerte nicht lange, bis das wertkonservative Feuilleton darin eine ungeheure Provokation witterte und den Pavillon prompt zum Favoriten für die Biennale erkor, weil man glaubte, hier wieder ein epochales Symbol für oder wider den Untergang des Abendlandes zu erblicken.
    Widersprüchliche Zeichen der Provokation
    Ganz so einfach ließ sich Büchel dann doch nicht vereinnahmen, er treibt nur wie üblich seinen Schabernack mit der öffentlichen Wahrnehmung. Die betreffende Kirche war ja nicht nur entweiht, er hatte auch noch einen Mecca-Cola-Automaten darin aufgestellt. Lauter widersprüchliche Zeichen also.
    Am Ende bekam der Armenische Pavillon den Goldenen Löwen, weniger allerdings für die Kunst aus der armenischen Diaspora, die dort gezeigt wird, als für die Sache selbst, denn in ihm wird des Völkermordes an den Armeniern gedacht.
    Wettbewerb der Krisenregionen
    Politische Symbolik allerorten auf dieser Biennale, ein Wettbewerb der Krisenregionen um Aufmerksamkeit. Der Ukrainische Pavillon hat sich ganz nah an die Lagunenpromenade geschoben, in unmittelbare Nähe der Milliardärsjachten. Äußerlich wirkt der Glaskubus eher wie ein Informationsbüro für das vorüberströmende Touristenpublikum. Drinnen jedoch erzählen Videos und Installationen vom Zerfall des Landes und der zerrissenen Gesellschaft.
    Etwas Ähnliches sollte man eigentlich auch vom Syrischen Pavillon erwarten – dort hingegen erhält der Besucher eine Lektion in kulturell verbrämten Zynismus. In verschwurbelten Andeutungen wird die multikulturelle Zivilisation des Zweistromlandes beschworen und dazu Künstler von verschiedenen Kontinenten mit mehr oder weniger nichtssagenden Bildern gezeigt, die die vermeintlich gute Absicht illustrieren sollen. Dass sich mitten auf dem Biennalen-Gelände selbst die Vereinigten Arabischen Emirate dafür für feiern, seit vierzig Jahren inmitten der Gegenwartskunst ihre Wüstenromantik präsentieren zu dürfen, hat wiederum beinahe schon FIFA-Qualitäten.
    Zwischen allen Stühlen
    Deutlichen Unmut zieht die Biennale mit ihren beiden von Okwui Enwezor kuratierten Hauptausstellungen im Arsenale und im Biennalen-Pavillon auf sich – ebenfalls aus mehr oder weniger politischen Gründen, denn Enwezor, der gebürtige Nigerianer mit US-amerikanischer Ausbildung, steht seit vielen Jahren mit seinen großen Ausstellungen zur jüngsten Kunstgeschichte Afrikas für eine Hinterfragung des westlichen Kunstbetriebes. Nun scheint er sich mit seiner Biennale zwischen alle erdenklichen Stühle gesetzt zu haben. Vielen hatten mit Enwezors Berufung nach Venedig erwartet, einen Bruch mit den Ritualen des westlichen Kunstmarktes zu erleben.
    Sie fühlen sich enttäuscht von den vielen etablierten Namen, die sich hier wiederfinden, teils von Künstlern wie Georg Baselitz, die man eher nicht als Vertreter des Anti-Chauvinismus kennt. Es war also nur eine Frage der Zeit, dass Enwezor Anbiederung an den Kunstbetrieb vorgeworfen wird, seine Biennale bestehe aus nichts als aus hübsch drapierter Polit-Folklore und diene nur noch seiner persönlichen Eitelkeit. Ganz ähnlich sehen das übrigens auch Vertreter der konservativen Gegenseite, wenn auch unter anderen Vorzeichen.
    Ihnen biedert sich Enwezor viel zu sehr an den diffusen Zeitgeist an. Die schönen historischen Räume des Arsenale würden mit unübersichtlichen Installationen vollgestellt und verschandelt. Man wisse gar nicht mehr, wo ein Werk anfange und aufhöre, und überall diese Videobildschirme. Außerdem werde zuviel Nicht-Kunst ausgestellt. Karl Marx auf einer Kunstbiennale?
    Das gehe doch gar nicht. Vom Kunsthändler-Netzwerk artnet kam schließlich der Vorwurf, Enwezor bevormunde die Besucher, indem er sie ideologisch bekehren wolle, anstatt dem Publikum einfachen Kunstgenuss zu gönnen. Wenn man Blut und Gewalt sehen wolle, brauche man schließlich nur die Nachrichten einzuschalten. Enwezor mit seiner im Übrigen sehr sehens- und diskussionswürdigen Biennale ist jedenfalls eines gelungen: Er hat die gesammelten allergischen Chauvinismen der angeblich so demokratisch gesinnten Kunstkritik herausgefordert.
    So etwas schafft sonst eigentlich nur noch die documenta.