Donnerstag, 16. Mai 2024

Archiv


Kunstdünger kann Getreidekrankheiten auslösen

Landwirtschaft. - Im laufenden Forschungsrahmenprogramm der EU widmet sich ein eigener Schwerpunkt den Lebensmitteln und ihrer Fertigungskette. Die zwölf Einzelprojekte haben jetzt in Brüssel ihre End- und Zwischenergebnisse präsentiert. Mit dabei ein Freilandprojekt, das Methoden der ökologischen und der konventionellen Landwirtschaft objektiv vergleichen sollte und dabei auch die Auswirkungen künstlichen Mineraldüngers unter die Lupe nahm.

Von Volker Mrasek | 13.12.2006
    Newcastle liegt in Nordengland, an der Grenze zu Schottland. Also ein gutes Stück weit weg. Doch Freilandversuche, die dort laufen, sollten vielleicht auch uns interessieren:

    "Wir sind so klimamäßig wie Norddeutschland."

    Sechs Hektar Versuchsacker gibt es in Newcastle. Sie gehören der dortigen Universität, wo Carlo Leifert Agrarforschung betreibt, als Professor für Ökologischen Landbau. Der deutsche Mikrobiologe ist zugleich Sprecher eines EU-Forschungsprojektes, in dem es darum geht, die Methoden der ökologischen und der konventionellen Landwirtschaft objektiv zu bewerten:

    "Detaillierte und gute wissenschaftliche Studien zu dem Thema - im Großen und Ganzen gibt es die nicht."

    Das wollten Leifert und seine Kollegen ändern. Zwei Jahre lang rotierten sie emsig auf ihren nordenglischen Testparzellen mit dem norddeutschen Klima. Sie bauten Weizen, Gerste und Gemüse an, bestellten die Felder mal organisch nur mit Stallmist, mal konventionell mit Mineraldünger und synthetischen Pflanzenschutzmitteln. Dabei wurde akribisch Buch geführt: über die Vitalität der Pflanzen und die Krankheiten, die sich in den Kulturen einstellten. Diskussionen über die konventionelle Landwirtschaft entzünden sich meistens am Einsatz von giftigen Pestiziden. Das EU-Projekt unter Leiferts Regie lenkt die Aufmerksamkeit jetzt stärker auf die künstlichen Mineraldünger. Offenbar ist ihre Anwendung nicht minder kritisch zu sehen:

    "Wenn wir Mineralstoffdünger, besonders Stickstoff-Mineralstoffdünger, einsetzen, dann kriegen wir vier hauptsächliche Krankheiten in den Kulturpflanzen. Im Weizen haben wir dann sowohl Mehltau als auch Halmbruch. Was man manchmal so im September oder im August im Feld sieht, dass der Weizen ganz flach liegt. Das ist auch zum Teil durch Krankheiten hervorgerufen, die die Halmbasis angehen. Und wir haben Fusarien, Schimmelpilze, die zur Folge haben, dass unser Getreide mit Schimmelpilz- Toxinen belastet ist. Wir haben jetzt festgestellt, dass wir diese Probleme wirklich nur kriegen, wenn wir den Mineralstoffdünger einsetzen."

    Für Landwirte klingt schier unglaublich, was der deutsche Agrarforscher da behauptet. Mineralstoffdünger sollen Agrarpflanzen ja eigentlich stärken. Sie versorgen Böden und darin gedeihende Feldfrüchte mit wichtigen Nährstoffen. Nicht nur mit Stickstoff, sondern auch mit Phosphor und Kalium. Außerdem, davon sollte man eigentlich ausgehen, können Bauern einen solchen Kunstdünger wunderbar dosieren. Nämlich in den Wachstumsphasen, in denen die Ackerpflanzen die Mineralien auch benötigen. Doch das stimmt möglicherweise gar nicht:

    "Wenn wir Mineralstoffdünger einsetzen, ist alles ganz am Anfang, wenn die Pflanze noch ganz klein ist, verfügbar. Das heißt, wir geben zu viel Stickstoff. Und wenn die Pflanzen mit zu viel Stickstoff versorgt werden, wachsen sie zu schnell. Und dadurch gibt es physiologische Probleme mit der Stärke des Halms. Das ist recht fundiert mittlerweile schon. Und wenn der Halm aus recht weichem Material aufgebaut ist, ist es auch einfacher für Pilze, sich da einzunisten. Das heißt, die bodenbürtigen Schaderreger, die können dann an den Halm gehen, können sich da festsetzen, und dann, wenn der Wind bläst, fällt das Getreide um."

    Öko-Bauern verzichten auf den Einsatz von Kunstdünger. Stattdessen bauen sie in ihre Fruchtfolgen Klee, Bohnen oder andere Hülsenfrüchte ein. Die so genannten Leguminosen leben in Symbiose mit Bodenbakterien, denen es gelingt, Stickstoff aus der Luft einzufangen. Auch auf diese Weise reichert sich der Acker mit Nährstoffen an. Gedüngt wird auf den Öko-Feldern dann mit Stallmist. Wie Leifert sagt, kommen Kulturpflanzen mit dieser Form der Stickstoff-Versorgung viel besser zurecht:

    "Der wird erst verfügbar, wenn die Leguminosen-Substanz oder der Dünger im Boden durch mikrobielle Aktivität umgesetzt wird und abgebaut wird. Und dann langsam, langsam den Pflanzen zur Verfügung steht."

    In der Praxis wird es allerdings schwierig sein, auf mineralische Dünger zu verzichten. Um ihre Äcker auf natürliche Weise mit Stickstoff aufzupeppen, müssten konventionell wirtschaftende Bauern gleich mehrere Jahre lang Hülsenfrüchtler anbauen und kein Getreide. In dieser Zeit hätten sie dann notgedrungen keine Einnahmen.