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Kunstfälscher Beltracchi
Heldengeschichte statt zerknirschter Beichte

Wolfgang Beltracchi fälschte sich jahrelang einen feudalen Lebensstil in Südfrankreich zusammen, indem er Experten seine Bilder als echte Matisses, Heckels oder Ernsts unterschob. Nun bringt er zwei höchstwahrscheinlich selbstverfasste Bücher heraus. Niklas Maak, Kunstredakteur bei der "FAZ", hat Beltracchis Erinnerungen bereits gelesen.

Niklas Maak im Gespräch mit Beatrix Novy | 16.01.2014
    Beatrix Novy: Wolfgang Beltracchi, der Maler, der sich viele Jahre lang einen feudalen Lebensstil in Südfrankreich zusammenfälschte, der seine Bilder von Experten als echte Matisses, Heckels, Max Ernst, Derains, Campendonks zertifizieren ließ, bevor er sie auf den Kunstmarkt brachte – das ganze war ja ein Skandal -, Wolfgang Beltracchi und seine Frau wurden 2011 verurteilt. Die Strafe ist noch nicht abgesessen, aber die Phase der Selbstvermarktung schon eingeleitet. Im März soll ein Film fertig werden, „Die Zeit“ bringt heute ein Interview mit ihm, Einstimmung wiederum auf gleich zwei Bücher, die morgen herauskommen: der Gefängnisbriefwechsel mit seiner Frau und Beltracchis eigene Erinnerungen. Sind das nun wieder Rechtfertigungen eines selbst ernannten Robin Hood, oder ist das ein Buch von öffentlichem Interesse? Kann es also objektive Verhältnisse zum Beispiel des Kunstmarkts weiter erhellen? – Niklas Maak, Kunstredakteur bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, hat es jedenfalls schon gelesen. Ihn habe ich gefragt, ob er Neues darin gefunden hat.
    Einige Neuigkeiten
    Niklas Maak: Ja. Es gibt einiges an Neuigkeiten auch in diesem Buch. Ich sage extra auch, weil eigentlich seit der Verhaftung, seit der Verurteilung von den Beltracchis im Monatsrhythmus neue Werke auftauchen, die von Beltracchi stammen. Man kann inzwischen kaum mehr in ein Museum gehen, ohne nicht den Verdacht zu haben, man habe es hier und da vielleicht auch mit einem Beltracchi zu tun, zumindest mit einer Fälschung. Und auch in diesem Buch findet man wieder, allerdings, muss man sagen, versteckt Hinweise auf weitere Fälschungen. Zum Beispiel sind zwei neue Max-Ernst-Werke in diesem Buch aufgetaucht, "Die Vogelhochzeit II" und noch eine kleine Horde, die wir bisher nicht kannten, ein Apollinaire von Brancuse, und man merkt dem Buch an: Es ist von einem Fälscher geschrieben worden, der gerne spielt und seine Offenbarungen nicht hineinschreibt, sondern versteckt. Zum Beispiel haben sie eine große Liste aller Künstler, die er gefälscht hat, auf dem Cover, das sich unter dem Schutzumschlag verbirgt.
    Novy: Da spielt ja auch ein bisschen Stolz hinein, wenn er so was zugibt?
    Maak: Das kann man dem Buch auch ganz deutlich anmerken. Es ist ja nicht die zerknirschte Beichte von jemandem, der einsieht, dass er viele Menschen geschädigt hat und nun um Vergebung ersucht, sondern es ist ein Abenteuerroman, eine Heldengeschichte. Er tritt auf als der Candide der durchgedrehten Kunstwelt, der erstaunt über die Korruption und die Unkenntnis auf allen Ebenen dort eine Wanderung um die ganze Welt beginnt.
    Candide der durchgedrehten Kunstwelt
    Novy: Gab es denn für Sie noch etwas Erhellendes zu diesem Kunstmarkt, das Beltracchi so oder so, freiwillig oder unfreiwillig preisgegeben hätte?
    Maak: Ja. Es findet sich ja eine sehr präzise Auflistung, die auch mit unseren Recherchen übereinstimmt, in diesem Buch, was die Wertsteigerungskette von Kunst betrifft. Beltracchi möchte ein Derain-Gemälde in den Kunstmarkt bringen, er bietet es dem Händler Blondeau an, der möchte aber nur unter einer Million zahlen, weil er schon Probleme hatte, was zu verkaufen, daraufhin bietet man das Bild der Galerie Dickinson an und von denen bekommt auf Umwegen Beltracchi zwei Millionen, Dickinson verkauft es aber für fast sechs Millionen an die Hilti Foundation weiter. Das heißt, da sind in kürzester Zeit mal vier Millionen Gewinn gemacht worden. Das sind nachher Summen, da wird dann nicht mehr so genau hingehorcht, ob das überhaupt sein kann, was man da erzählt bekommt und eingeliefert bekommt.
    Novy: Und in dieser ganzen Gesellschaft gibt es aber nur einen Beltracchi, der sich einerseits auf dieses Strukturproblem beruft, jedenfalls im „Zeit“-Interview, und sich selbst als einen weniger Schuldigen hinstellt, weil die Verhältnisse ja eben so sind, auf der anderen Seite, wenn er aus dem Gefängnis kommt, wahrscheinlich gar nicht so schlecht dasteht, wozu auch dieses Buch beitragen könnte oder jedenfalls soll. Eigentlich ist er doch ganz gut weggekommen?
    Maak: Das würde er wahrscheinlich anders sehen, und andere würden sagen, er ist noch viel zu gut weggekommen. Das ist immer eine Frage der Perspektive. Das Ausland wundert sich auch immer über den offenen Vollzug, dass man als Verurteilter mit einer Gefängnisstrafe tagsüber herumlaufen kann und nur im Gefängnis schläft. Ich glaube, das Grundärgernis an diesem Prozess war, dass es so schnell einen Deal gab zwischen der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern, dass also ganz vieles, was in einem langen, mühseligen, auch kostspieligen Prozess hätte aufgeklärt werden können und sichtbar geworden wäre, nicht aufgeklärt wurde und nicht sichtbar werden konnte, weil man sich vorher geeinigt hat.
    Entschlossene Selbstdarstellung des Fälschers
    Es kam ja wirklich nur ein Bruchteil der Beltracchi-Fälschungen überhaupt zur Sprache, die da relevant waren in diesem Fall, aber man hätte sich natürlich gewünscht aus unserer Perspektive, sehr viel mehr noch zu erfahren über das, was da geschehen ist, auch über die Akteure auf der anderen Seite. Was mir in dem Buch sehr fehlt, sind die Namen von prominenten Galerien, die verwickelt waren in diesen Fall, auf sehr, für sie ungünstige Weise. Das Auktionshaus Lempertz ist ein Beispiel für ein Auktionshaus, was überhaupt nicht vorkommt, mehrere Galerien werden nicht erwähnt, und da wüsste ich natürlich schon gerne, wie es kommt, dass in einem so detaillierten Buch, wo sehr viele Jugendfotos und sehr viele private Geschichten auf sehr unterhaltsame Weise ausgebreitet werden, plötzlich so ein großes schwarzes Loch an den interessantesten Stellen des Kunsthandels und des Auktionswesens entsteht. Es ist eine sehr entschlossene Selbstdarstellung des Fälschers. Man würde sich wünschen, dass da auch von anderen Seiten und auch über andere Aspekte mehr zu hören wäre, und ich glaube, das nächste Buch, was ich gerne zu dem Fall lesen würde, müsste sich vor allen Dingen auch mit der Rolle der Auktionatoren und der Galeristen in diesem Spiel noch mehr beschäftigen, als das in diesem Buch stattfindet. Man muss eben sehen: Das ist geschrieben worden von einer Partei in dem ganzen Spiel, die kein Interesse daran hat, dass alles auf einen Schlag herauskommt, zumal einige Dinge sicherlich noch nicht verjährt sind und auch jetzt nach der Haftentlassung den beiden Fälschern größere Probleme bereiten könnten.
    Novy: Der Fall Beltracchi also noch lange nicht zu Ende – das war Niklas Maak.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.