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Kunstgewerbliches erhöht den Trivialitätsfaktor

Vor sieben Jahren wurde am Staatstheater Stuttgart das Schauspiel "Die arabische Nacht" von Roland Schimmelpfennig (Jahrgang 1967) uraufgeführt - ein Konversationsstück, in dem das aktuelle Zusammenleben im multikulturell besetzten Wohnhochhaus aufgerissen wurde. Nun hat der in Berlin lebende Tonsetzer Christian Jost aus der "Arabischen Nacht" eine Kammeroper entwickelt - und das Publikum in Essen war bei der Premiere sichtlich angetan.

Von Frieder Reininghaus |
    Hart ist des Hausmeisters Los. Treppauf und treppab muss er sich mühen, um nach der Beleuchtung zu schauen, am defekten Aufzug einen Hinweiszettel anzubringen und sich um das im achten, neunten und zehnten Stock ausbleibende Wasser zu kümmern. Und das in einer Hochsommernacht, in der alles Fleisch zerfließen will, jedes Kleidungsstück zuviel ist und die sexuellen Notstände den Höchstmarken entgegensteigen!

    Thomas Möwes ist auf glaubhafte Weise die gute Hand im Haus und auf den Beinen, um nach dem Rechten zu sehen. Bis ihn, nachdem das Rauschen in den Wänden und die Turbulenzen zwischen verschiedenen Bewohner der Wohnwaben zugenommen hatten, die Erinnerungen an die erste Frau einholen, zu der die große Liebe auch mit einem Wasserschaden begann. Das Spiel mit den Trivialitäten besitzt eine gewisse Raffinesse.
    Arabische Nacht fürwahr: Temperaturen wie tags in der Wüste. Und wie dort, so kann auch hier einer ertrinken. Schneller als man denkt. Es geht wie im wirklichen Leben: Er gerät nicht nur an den süchtigmachenden süffigen Stoff, sondern - ein bisschen 1001-Nacht muss sein - buchstäblich in die Cognacflasche. Er kommt da nicht mehr heraus und zerschellt am Ende.

    Roland Schimmelpfennig produziert wie am laufenden Band Theaterstücke für ein Publikum, dem das konzentrierte Zuhören schwerfällt. Daher sagen seine Figuren gerne das, was sie ohnedies gerade tun oder zu treiben beabsichtigen. Vom Film hat er sich die ständige Verschränkung der Spielebenen geholt und sorgt so auf ansprechende Art mit vor- und zurückspringender Handlung sowie eingelagerten Traumsequenzen für Auflockerung und Irritationen.

    Christian Jost hat etwas durchaus Gefälliges geliefert: eben keine "Erschrecker"-Musik, sondern ordentlich sangbare Melodie, gelegentlich instrumentale Erkennungsmarken und hübsche Sequenzen, diskrete und deutliche Begleitung zu den ohnedies redundanten Dialogen und Szenen. Jost kennt seinen Mahler und weiß immer wieder malerische, pittoreske Momente zu etablieren. Zu Wege gebracht und von Soltesz mit heftig-intensivem Bemühen dirigiert wurde ein Konversationsstück, bei dem nur die Musik gelegentlich zu aufdringlich wirkt. Denn eigentlich ist sie ganz unnötig. Man fragt sich ja nicht nur beim Hausmeister Möwes, sondern auch bei der allzu blonden Träumerin Franziska oder der aus dem Orient gekommenen Fatima, warum sie so bemüht und etwas umständlich singen, wenn sie ihre Trivialitäten auch kurz und knapp aufsagen könnten.

    Wie manch anderes Schimmelpfennig-Stück so kündet auch die "Arabische Nacht" in der sauber-glatten Inszenierung von Anselm Weber davon, dass "Liebe und Vernunft sich ausschließen" - und alle kräftige Liebe allemal früh Entfremdung, Verrat und Enttäuschung in sich trägt. Auch die Kammeropern-Version enttäuscht diese Erwartung nicht. Doch wirkt sie gegenüber dem Schauspiel denkwürdig dünn. Sie verschärft durch das musikalisch Kunstgewerblerische den Trivialitätsfaktor. Solche Vergefälligung ist offensichtlich der notwendige Preis, wenn derart Subventionen mit Auftragsarbeiten abgeschöpft werden und die musikalische Konfektionsware keiner Notwendigkeit entspringt.