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Kunsthistoriker und Sammler

Aus heutiger Sicht würde man Sulpiz Boisserée einen Kunsthistoriker nennen. Er versuchte, die Gotik der Kathedralen zu erfassen und gilt als Initiator der vergleichenden Stillkritik. Gemeinsam mit seinem Bruder Melchior erwarb er eine kostbare Gemäldesammlung mit Werken, die den Grundstock für die Alte Pinakothek in München bilden sollten.

Von Sigrid Nebelung | 02.08.2008
    Ausgerechnet einem "Aussteiger", der sich in seinem erlernten Beruf als Kaufmann im väterlichen Handelshaus langweilte, verdanken die Kölner zu einem guten Teil ihr berühmtes Wahrzeichen, den Dom.

    "Boisserée hat die entscheidenden Weichen gestellt. Und dass der Dom so früh weitergebaut wurde, ist ganz sicherlich ihm zu verdanken."

    Arnold Wolff, Kölner Dombaumeister im Ruhestand, hat zum 225. Geburtstag von Sulpiz Boisserée dessen Briefwechsel mit den maßgeblichen Architekten, darunter Karl Friedrich Schinkel, herausgebracht.

    Warum war der Bau des Kölner Doms nach 1530 eigentlich zum Stillstand gekommen?

    "Man hatte kein Geld mehr. Die Reformatoren haben den Glauben daran, dass man durch gute Werke sich den Himmel erkaufen kann, zerstört. Da musste der Dombau aufhören."

    Boisserée warb mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln für die Vollendung der Ruine. Er kam am 2. August 1783 als zehntes Kind einer wohlhabenden Kölner Kaufmannsfamilie zur Welt. Drei Jahre später wurde sein Bruder Melchior geboren. Sulpiz dazu in seiner Autobiographie:

    "Von meiner frühesten Kindheit an habe ich mit diesem Bruder fast unzertrennlich gelebt"

    Vater und Mutter sterben früh. Die kluge Großmutter Brentano gibt den Enkeln eine gute Erziehung. Sulpiz wird mit 15 in ein renommiertes Hamburger Handelshaus geschickt, Melchior kommt in ein Pensionat.

    Köln war nach der Eroberung der Rheinlande durch Napoleon eine französische Provinzstadt geworden, "verödet" nennt sie Sulpiz. Kirchen und Klöster wurden aufgelöst und viele Kunstschätze nach Paris abtransportiert. 1803 brechen Sulpiz, Melchior und der gemeinsame Freund Johann Baptist Bertram zu einer Bildungsreise nach Paris auf. Ziel ist das "Musée Napoléon" und besonders die Grundstock für die Alte Pinakothek. Die drei wohnen bei Friedrich Schlegel und bleiben lange. Zurück in Köln entdecken sie bei einem Spaziergang unter allerlei Plunder ein mittelalterliches Kreuzigungsbild, auf dem, so Sulpiz, "die Heiligenscheine von Ferne golden leuchteten." Sie kaufen das Tafelbild und schleppen es, um Aufsehen und Spott zu vermeiden, durch eine Hintertüre ins Elternhaus. Sulpiz notierte später:

    "Die alte Großmutter erschien an der Türe. Und nachdem sie das Gemälde eine Weile betrachtet hatte, sagte sie zu dem etwas verschämten neuen Besitzer: "Da hast du ein rührendes Bild gekauft, da hast du wohl daran getan." Es war der Segensspruch zu dem Anfang einer folgenreichen Zukunft."

    Pausenlos sieht man die Freunde nun unterwegs, vereint, getrennt, auf der Suche nach Bildern, kaufend, tauschend. Schon nach wenigen Jahren hatten sie eine kostbare Gemäldesammlung des 14., 15. und 16. Jahrhunderts zusammengebracht, darunter Meisterwerke von Jan von Eyck, Roger van der Weyden, Martin Schongauer oder Stefan Lochner.

    Diese "deutsche Kunst" aber war in den Augen der damaligen Kritik, die wie Goethe ganz auf den "klassischen", italienischen Kanon eingestellt war, überhaupt nichts wert. Sulpiz wusste nur eins - er musste Goethe überzeugen:

    "Er brauchte eine Autorität, die ihm den Weg öffnete. Und Goethe war der Richtige."

    So Arnold Wolff.

    Die Boisserées waren 1810 nach Heidelberg umgezogen, wo sie auch ihre Sammlung präsentierten. Zunehmend in Geldnöte geraten, verhandeln sie hier mit Fürsten, Ministern, Adel und Intellektuellen wegen des Verkaufs der Sammlung. Goethe kam tatsächlich nach Heidelberg, im Jahr darauf noch einmal. Er studierte die Bilder, Abende lang. Und ließ sich von deren elementarer Wirklichkeitsfülle beeindrucken. Vor dem Dreikönigs-Altar Jan van Eycks soll er gesagt haben:

    "Da habe ich nun in meinem Leben viele Verse gemacht, darunter sind ein paar gute und viele mittelmäßige. Da macht der Eyck ein solches Bild, das mehr wert ist als alles, was ich gemacht habe."

    Erworben hat er die Sammlung schließlich der Bayern-König Ludwig I. als Grundstock für die Alte Pinakothek. In München fanden die Boisserées endlich eine sichere finanzielle Basis. Sulpiz konnte seine Dauer-Verlobte Mathilde Rapp heiraten und eine lange Italienreise antreten. Dann nahm ihn sein gewaltiges "Tafelwerk" über dem Kölner Dom wieder in Beschlag. 1842 konnte er - die Boisserées lebten nun wieder am Rhein, in Bonn - die Grundsteinlegung für die Vollendung des Doms mitfeiern. Sulpiz starb 1854 und liegt, neben seinem geliebten Bruder Melchior, auf dem Alten Bonner Friedhof begraben.