Böhm Chapel: für das Radio ein dankbarer Ort. Wenn man in der Mitte des Kunstkirchen-Schiffs von Rafael Jablonka steht, hört man sich plötzlich selbst doppelt bis dreifach. Und die Decke des hexagonalen Gewölbes ist vertäfelt mit rund Tausend kleinen, nussbaum-braunen Quadraten: Visuell hat das eine flirrende, mandala-hafte Qualität. Hier hämmert nun eine sonore Bassdrum aus dem Lautsprecher. Wolfgang Voigt:

"Sie kommt in den sakralen Raum und macht das, was sie kann, nämlich ihren Job. Sie geht zum Dienst und macht da auch keine Verhandlungen und auch keine Kompromisse."

Stumpf ist Trumpf - der Sound erinnert an das Klangbild, das aus einem getunten Auto dröhnt, das an der Ampel neben einem zum Halten kommt. Zusammengeschaltet mit der Bassdrum ist ein Flashlight, das, im selben Takt pulsierend, eine Leinwand mitten im Raum indirekt illuminiert. Zu sehen ist – als Schattenspiel - ein Baum. Und zwar, wenn man wieder hinter die Mitte des Raums geht, also hinter die Projektionsleinwand: Ein Jungbaum, samt Wurzeln dem Boden entrissen, ein toter Baum, sagen die Künstler, der so installiert ist, dass er im Raum zu schweben scheint. Albert Oehlen:

"Wir haben uns einfach in die Mitte von diesem schönen Raum gestellt und dann – ich weiß nicht, ob man es sakral oder wie man es nennen soll. Ja. Eigentlich kommt das ins Spiel, weil diese Bassdrum natürlich auch an eine Kirchenglocke erinnern kann."

Das eigentliche Glockenspiel von Böhm Chapel, das heute nicht zu hören ist, ist übrigens einer Melodie von Phillip Glass nachempfunden. Sind wir nicht eigentlich immer noch in einer Kirche? Obwohl St. Ursula seit rund zehn Jahren entweiht ist und zur Kunstkirche umgetauft wurde - diese Frage stellten sich auch die Künstler und wundern sich selbst:

"Dass all diese Meinungen und Blickwinkel möglich sind, also dass die beteiligten Dinge, Elemente, Objekte in einem im ursprünglichen Sinn sakralen Raum eine Wirkung entfalten können, ohne von sich aus sakral zu sein. Wir haben ja ein Flashlight, also ganz und gar Unchristliches. Alles andere entfaltet sich im sakralen Raum. Das liegt am Raum!"

Und die Assoziationsketten können lang werden. Ein möglicher Strang: Baum 3 ist ein Menetekel. Das Pulsierende des entwurzelten Jungbaums steht ganz plakativ für die Natur, die anmahnt: Akku bald leer.

Und um die Ecke gedacht hat die Projektionskonstruktion auch etwas vom berühmten Höhlengleichnis des Philosophen Platon: Die zweidimensionale Projektion ist nicht identisch mit dem realen Baum in 3-D hinter der Leinwand. Alles, was wir wahrnehmen, könnte ein Trugbild sein. Schließlich sind am echten Baum seltsame und perfekt gerade Lattenkonstruktionen angebracht, die wir, wenn wir nur die Projektion sehen, nicht dechiffrieren können.

- Albert Oehlen: "Also die einzige Aussage, die wir machen, ist: das Gerade gegen das Ungerade. Weitergehende Interpretationen sind dann anderen überlassen."
- Wolfgang Voigt: "Und erwünscht!"

Die Bassdrum dieses extremen Minimal-Techno könnte für den Herzschlag des Lebens stehen und wird – ein Kunsttrend – bio-luminisziert: Es gibt Organisches, Lebendiges, das Strom erzeugt und leuchtet, wie etwa Tiefseefische oder sogenannte OLED, leuchtendes und per 3-D Drucker entstehendes Gewebe. Sodass gar nicht mehr klar ist, was Natur ist und was menschgemachte Natur, sprich: Technik. Auch möglich, sagen die Künstler.

Oder will Baum 3, das Nachfolgemodell von Baum 1 und Baum 2, die Albert Oehlen in Galerien in Berlin und New York installiert hatte, gar so etwas wie Kunst-Religion entweihen? Dieses Phänomen der ausgesprochenen Szene, dass sich da manche – von außen betrachtet – mit VIP-Allüren umgeben und die Katze im Sack zu bedeutender Kunst erklären? Auch damit scheint Baum 3 zu spielen, an diesem Ort, der Böhm Chapel, die unbedingt einen Besuch wert ist.