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Kunstkritiker: West hat alle auf die psychiatrische Couch geschickt

Seine Kunst wirkt oft unakademisch, interaktiv und ein wenig "hingewurstelt" und dennoch ist sie voller Tiefgang: Der Österreicher Franz West verband in seinen Werken Elemente des Wiener Aktionismus, der Psychoanalyse und der Kunstkritik.

Rudolf Schmitz im Gespräch mit Dina Netz | 26.07.2012
    Dina Netz: Und auch die Welt der Kunst hat einen großen Verlust zu beklagen, denn in der Nacht zu heute ist der österreichische Künstler Franz West gestorben. West, Jahrgang 1947, studierte in Wien an der Akademie der Bildenden Künste, und der Wiener Aktionismus von zum Beispiel Otto Mühl oder Hermann Nitsch hat sein Frühwerk auch geprägt. Berühmt wurde West mit seinen "Passstücken": Körperteilen aus Pappmaché, Polyester oder Gips, mit denen der Betrachter den eigenen Körper erweitern sollte. West wollte, dass seine Kunst körperlich erfahrbar ist, und so schuf er später auch Räume und Möbel. Skulpturen und Happenings prägten außerdem sein Werk, für das er vergangenes Jahr den "Goldenen Löwen für sein Lebenswerk" bei der Biennale von Venedig verliehen bekam.

    Der Kunstkritiker Rudolf Schmitz hat für verschiedene Katalogprojekte mit Franz West zusammengearbeitet. Frage an ihn: Franz West galt ja als großer Einzelgänger. Wie war denn die Zusammenarbeit?

    Rudolf Schmitz: Die Zusammenarbeit war in meinen Augen großartig, weil er war natürlich tatsächlich eine sehr skurrile Figur, aber äußerst liebenswürdig, fast ein wenig schüchtern, und er brauchte wie viele Künstler den Alkohol als Treibstoff für sein Leben und für sein Werk, und das hat ihn jetzt natürlich auch ums Leben gebracht.

    Netz: Kommen wir zur Kunst. Die Kunstwelt lag Franz West ja zu Füßen, obwohl er als Plastiker eigentlich so was wie der letzte Mohikaner war. Was machte denn den Reiz seiner Arbeit aus?

    Schmitz: Das Besondere war tatsächlich: Er ist ja durch die Schule des Wiener Aktionismus gegangen, wie Sie gesagt haben, aber im Prinzip wusste er, er muss als Künstler etwas anderes machen. Und er hat, wie ich finde, eigentlich dieses Sanatorium des Wiener Aktionismus gestaltet. Seine Skulpturen, die sehr oft mit Gipsbinden versehen sind, die sehen immer so etwas malade aus, vor allen Dingen auch die erwähnten "Passstücke", und er hat gesagt, wenn man Neurosen sehen könnte, dann, glaube ich, sähen sie so aus wie meine "Passstücke". Und das hat mich immer fasziniert an seiner Arbeit, dass er eigentlich sehr konventionelle Genre bedient hat, also Collage, Skulptur und so weiter, aber doch eine riesige Mentalität und Kunstgeschichte da reingepackt hat. Er hat eine internationale Karriere gemacht, aber immer war seinen Werken die Herkunft aus Wien anzumerken: also Bezug auf Psychoanalyse, Bezug auf Wiener Aktionismus, Bezug auf das Kränkliche, auf die Selbstbespiegelung und natürlich auf die diskutierenden und sich streitenden Künstlergemeinschaften.

    Netz: Franz West galt ja als Revolutionär der Kunst. Warum eigentlich? Was hat er verändert, erneuert, was andere vor ihm nicht getan hatten?

    Schmitz: Ich denke, der Punkt ist, dass seine Kunst im Wesentlichen eben auch interaktiv war. Einerseits sehr traditionelle Gattungen hat er bedient, aber die kamen eigentlich nicht ohne Mitwirkung des Betrachters aus. Die "Passstücke" habe ich schon erwähnt, die ein Betrachter nehmen sollte, oder eine Betrachterin, und damit agieren. Aber generell hatte ich das Gefühl, das sind alles ergänzungsbedürftige Stücke, die man hier sieht, da muss man sowohl seine Fantasie investieren, als auch eigentlich seine Empathie. Für mich war es sehr leicht, weil ich diese Sachen immer sehr, sehr sympathisch fand, weil die unakademisch wirkten, weil die hingewurstelt wirkten und weil die nie ganz fertig zu sein schienen, und die schielten immer so etwas auf die Empathie, auf die Anteilnahme des Betrachters, und das fand ich großartig.

    Netz: Würden Sie sagen, Franz West war so was wie der Erfinder der Performancekunst, wie wir sie ja heute sehr oft sehen?

    Schmitz: Ich ziehe eigentlich bei seinen Arbeiten immer eher die Parallele zur Literatur und zu Thomas Bernhard. Ich habe neulich "Wittgensteins Neffe" noch mal gelesen und diese kränklichen, aber in sich doch wieder großartigen Figuren, die auf sich selbst und auf den anderen so verwiesen sind und ohne das gar nicht leben können, also ohne tolle Gespräche, natürlich ohne Rauschmittel und ohne Begeisterung nicht leben können, das ist, glaube ich, diese Atmosphäre, die sein Werk auszeichnet, die seine Person bestimmt hat und die sie einfach, glaube ich, auch heute immer noch sehr, sehr lebendig macht.

    Netz: Franz West hat ja auch sehr witzige Aspekte in seiner Arbeit. Ich habe von einem Happening gelesen, das er 2003 vor dem Kunsthaus Bregenz gemacht hat, da hat er das Publikum mit Schlamm bewerfen lassen. Wie viel Komik enthielten denn die Arbeiten von Franz West?

    Schmitz: Die waren sehr, sehr selbstironisch. Er hat zum Beispiel sehr früh einen Maserati gekauft und hatte aber überhaupt keinen Führerschein. Er musste sich also dauernd kutschieren lassen und er hat das eigentlich so als Symbol des sozialen Aufstiegs gesehen, sozusagen als selbstbezogenes Passstück, könnte man sagen. Diesen Maserati, den hat er dann später auch in seinen Arbeiten malträtiert, hat Farbe drübergegossen und so weiter. Also er hat beides immer getan: Er war jemand, der sagte, okay, ich bin weit gekommen und das zeige ich jetzt auch, und gleichzeitig hat er immer wieder versucht, die Nähte aufzureißen, dem Ganzen was Krankes zu geben und eigentlich sich und uns und, finde ich, die ganze Kunstszene auf die psychiatrische Couch geschickt.

    Netz: Rudolf Schmitz zum Tod des österreichischen Künstlers Franz West.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.