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Kunstnarbe mit Countdown

Medizin. - Ein Loch in der Herzscheidewand zählt zu den häufigsten angeborenen Herzfehlern. Heute werden ernste Defekte bereits im Kindesalter operativ verschlossen. Jetzt verwendeten dazu Göttinger Ärzte weltweit erstmals ein selbstauflösendes Implantat.

Von Elke Drewes |
    Anita Wordell hat seit ihrer Geburt ein Loch im Herzen. Das machte ihr aber erst vor kurzem Probleme.

    "Ich merkte in diesem Jahr, dass ich bei Belastungen, Treppenstufen und Anhöhen, die ich gelaufen bin: da bekam ich Atemnot."

    Um einer Überlastung der Lungen und einer Herzinsuffizienz vorzubeugen, entschied sich die 55jährige, das etwa 1,5 Zentimeter große Loch in der Vorhofscheidewand schließen zu lassen: mit einem neuartigen, sich auflösenden Implantat, das am Herzzentrum der Göttinger Universitätsmedizin erstmalig in Deutschland angewandt wird.

    "Ich möchte nicht so gerne einen Fremdkörper im Herzen haben und dadurch habe ich mich für diese Methode entschieden."

    Das Implantat sieht aus wie ein winziger Schirm mit einem Durchmesser von zwei bis drei Zentimeter. Es besteht aus einem Drahtgestell aus Edelstahl und zwei quadratischen Membranen. Die überlappen sich und sind übereinander gespannt wie ein Doppelschirm. Dieser Doppelschirm deckt das Loch in der Scheidewand von zwei Seiten ab: von der linken und von der rechten Vorhofseite. Mit einem Katheterschlauch wird der zusammengefaltete Doppelschirm über eine Vene in der Leiste hoch zum Herzen geschoben: zuerst in den linken Herzvorhof. Dort wird der erste Schirm aus der Schleuse gedrückt und öffnet sich über dem Loch. Dann wird die Katheterschleuse durch das Loch zurückgezogen in die rechte Vorhofkammer. Dort öffnet sich der zweite Schirm.

    "Das Besondere an diesem Implantat ist, dass es in seiner Bespannung ein selbstauflösendes Material enthält, ein Collagen."

    Collagene – das sind Strukturproteine, deren Fasern besonders reißfest sind und in Knorpel und Sehnen vorkommen. Christian Jux, Oberarzt der Kinderkardiologie am Herzzentrum der Göttinger Uniklinik, hat diese neue Schirmbespannung mit entwickelt. Sie besteht aus hochgradig gereinigter Dünndarmschleimhaut vom Schwein. Innerhalb von sechs Monaten wächst Gefäßgewebe über den Schirm, der somit seine Stützfunktion verliert. Körpereigene Fresszellen und Enzyme bauen die Schirmbespannung innerhalb von zwei Jahren vollständig ab. Nur das Schirmgerüst aus Edelstahl bleibt erhalten.

    "Die Vorteile liegen zum einen darin, dass der Reiz durch permanente Fremdmaterialen, Kunststoffe und Metalle vermieden wird. Wir haben bei Explantaten gesehen, also bei Menschen, wo man diese Schirme aus verschiedenen Gründen wieder raus nehmen musste, dass es noch Jahre oder auch Jahrzehnte nach dem Eingriff im Bereich des Schirms noch Fremdkörper- und Entzündungsreaktionen gibt. Und die wollen wir langfristig vermeiden."

    Diese Entzündungsreaktionen sind zwar mikroskopisch sichtbar, ziehen aber keine Symptome nach sich. Wie sie sich langfristig- über Jahrzehnte hinweg- auswirken, weiß man allerdings nicht.
    Die Zulassungsstudie an 57 erwachsenen Patienten in England hat gezeigt: Das Implantat war bei 96 Prozent der Patienten nach sechs Monaten vollständig eingeheilt. Schon in den ersten vier Wochen nach dem Eingriff haben sich Blutzellen und Proteine über den Schirm gelegt und das Loch bei 92 Prozent der Patienten vollständig abgedeckt.

    "Das sind Raten, die herkömmliche Implantate erst nach einem halben oder einem Jahr erzielen. Und gerade für Schlaganfallpatienten, die früh und vollständig geschützt sein sollen, ist das ein wichtiges Ergebnis."

    So ein abbaubares Implantat ist durchaus wünschenswert, sagt Oberarzt Peter Ewert. Er leitet das Herzkatheterlabor der Abteilung für angeborene Herzfehler am Deutschen Herzzentrum Berlin. Aber, dadurch, dass es vom Körper abbaubar ist, hat das neue Implantat noch nicht die Nase vorn.

    "Dieses Schirmsystem ist so angelegt, dass es nur bis zu einer gewissen Lochgröße angewendet werden kann. Und es gibt Systeme, die rund sind, die selbstzentrierend sind, so dass man mit ihnen Löcher bis 38 Millimeter Durchmesser verschließen kann. Was man mit dem neuen bioresorbierbaren Material, mit diesem Schirmsystem, nicht erreichen kann."

    Andere Verschlusssysteme, aus Drähten und Polyester, werden auch von körpereigenen Zellen überwuchert. Sie können nicht nur größere Löcher besser abdecken, sie brauchen auch weniger Spannweite, um kleinere Löcher zu verschließen.

    "Man muss die Schirmgröße nur ein kleines bisschen größer wählen als das Loch ist und kann das Loch dann mit einer hohen Verschlussrate gut verschließen und braucht relativ kleine Einführsysteme. Argumente, die bei der Behandlung von kleinen Kindern nicht außer Acht gelassen werden sollen."

    Das neue Verschlusssystem mit abbaubarer Schirmbespannung ist also ein weiteres Modell mit Vor- und Nachteilen, die genau abzuwägen sind. Ob es tatsächlich besser verträglich ist und Löcher im Herzvorhof dauerhaft verschließt, müssen Langzeitbeobachtungen zeigen.