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Kunstprojekt Berliner Mauer
Berlin soll wieder eine Mauer bekommen

Das Projekt eines temporären Mauerbaus rund um das Kronprinzenpalais in Berlin ist umstritten. Im Rahmen eines Performance-Projekts des russischen Regisseurs Ilya Khrzhanovsky könnten bald Impressionen eines totalitären Staates erlebbar werden.

Von Susanne Burkhardt | 28.08.2018
    Ein Wegweiser mit der Aufschrift "Dau" führt in den Schinkel Pavillon, wo im Rahmen einer Pressekonferenz das Mauer- und Kunstprojekts "DAU Freiheit" vorgestellt wird.
    Vorstellung des Mauer- und Kunstprojekts "DAU Freiheit" (dpa / Jörg Carstensen)
    Die Idee ist nicht ganz neu: Schon das Castorf-Team und Chris Dercon wollten das geheime Mauer-Großprojekt an die Volksbühne holen und überhoben sich organisatorisch wie finanziell. Denn der russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky ist jemand, der in großen Maßstäben denkt: Das belegt sein "DAU"-Projekt, dass es jetzt doch nach Berlin schaffen könnte: Drei Jahre lang drehte Khrzhanovsky in einem nachgebauten Filmset im ukrainischen Charkov mit Hunderten Freiwilligen unter den Bedingungen eines totalitären Systems, Szenen aus dem Leben des russischen Physikers, Nobelpreisträgers und Sex-Gurus Lev Landau, Spitzname DAU. Anfangs nach Drehbuch, später dann frei. 700 Stunden Filmmaterial entstanden: 13 Spielfilme und diverse Serien. Dass man so etwas nicht einfach auf einem Festival versendet, erscheint Unterstützern des Projektes wie Regisseur Tom Tykwer geradezu selbstverständlich:
    "Das ist ein Projekt, das in allen Aspekten immer wieder versucht, einen innovativen Weg zu finden, wie man Kunst begegnen kann, wie Kunst dem Menschen begegnen kann, wie das zusammen wirken kann."
    Tykwer saß heute für den abwesenden Regisseur auf dem Podium, denn:
    "Ilya ist jemand, der eine klare Position hat, die auch dieses Projekt mitverkörpert, dass er sagt, wenn ich mich hinsetze, entsteht sofort auch dieser Kult, dass einer da das Mastermind ist, bei einem Projekt, das so viele Stimmen hat, und so viele Perspektiven und so viele Künstler vereinigt hat, dass er sich immer nur in der Rolle fühlt, dass er diesen Künstlern den Raum und die Möglichkeit gibt."
    Visum kann beantragt werden für zwei Stunden, einen Tag oder den ganzen Monat
    Dieser innovative Weg der Kunst-Mensch-Begegnung des bescheidenen Masterminds, sieht dann innerhalb der Mauern die mehrere wichtige Gebäude von Berlins historischer Mitte umschließen, unter anderem die Staatsoper oder das Kronprinzenpalais: Man beantragt ein Visum, gibt sein Smartphone ab und erhält ein neues Gerät, das einen auf einen Parcours schickt: In Filmvorführungen, wissenschaftliche Konferenzen, Konzerte oder intime Gespräche. Mit etwas Glück trifft man dabei auf die Arbeiten von so großen Künstlern wie Marina Abramovic, Banksy, Romeo Castellucci oder Teodor Currentzis.
    "Das ist eigentlich die große Idee, dass diese Welt, die wir kreieren, eine Welt ist, die außerhalb der Realität steht und die einen Raum öffnet, Dinge in sich selber zu sehen, die über das hinausgehen können, was im normalen Alltag möglich ist", erläutert Produzentin und Khrzhanovsky-Vertraute Susanne Marian.
    Kirsten Niehuus vom Medienboard Berlin-Brandenburg ist begeistert. Sie hätte das Projekt gern unterstützt, nur betreibe ihr Medienboard leider keine Kunst-Förderung. Und hier handele es sich eindeutig um ein Kunstprojekt: "Wenn Film sich in das Leben erweitert, ich glaube, das ist die größtvorstellbare Form von Immersion."
    Keine Disney-DDR als Reenactment
    Und weil grösstvorstellbare Formen von Immersion, also dem Eintauchen in eine künstlerische Welt, das Steckenpferd des Leiters der Berliner Festspiele ist, sind die natürlich mit von der Partie. DAU findet als Gastspiel statt. Sehr kurzfristig sei man eingestiegen, so Intendant Thomas Oberender:
    "Dass die Mauer wiederaufgebaut wird, ist ja nicht gleichzusetzen, dass man versucht Disney-DDR wieder aufzubauen. Es ist nicht die Idee, die Zustände hinter der Mauer in der DDR zu rekonstruierten, kein Reenactment."
    Kein Reenactment also, aber warum sollte man sich freiwillig in die Simulation eines totalitären Systems begeben unter der Überschrift FREIHEIT?
    "Zumindest für dieses Landen des DAU-Projekts ist der Versuch einen Erfahrungsraum zu kreieren, der darauf beruht, dass für Sie sehr individualisierte Reisen kuratiert werden durch etwas, was wir alle kennen, dieses Device. Das ist der moderne Totalitarismus. Das ist die Überwachung, das ist, was unser Leben abhört und steuert."
    6,6 Millionen Euro kostet dieses totalitäre Erfahrungsexperiment. Geld, das die in London ansässige gemeinnützige Stiftung Phänomen bereitstellt. Dahinter steckt der St. Petersburger Multimillionär Sergey Adoniew. Eine umtriebige Unternehmerpersönlichkeit mit, laut Tagesspiegel-Recherche, inzwischen bulgarischer Staatsbürgerschaft. Noch fehlen die Genehmigungen des Stadtbezirks Mitte für den Mauerbau. Doch sollte die Beton-Mauer wie geplant kommen, darf am Ende die von Künstlern bemalte Seite durch "Mauerspechte" zerstört werden. Ein schönes Reenactment für die Busladungen, die zur Freude des Stadtmarketings nach Berlin kommen werden, um einmal totalitäres aber ungefährliches Gruseln zu erleben.