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Kunstraub in Südafrika

Zanele Muholi gilt als eine der wichtigsten Künstlerinnen in Südafrika. Sie setzt sich für die Rechte schwarzer Lesben ein – gerade mit ihrer dokumentarischen fotografischen Arbeit. Kurz vor ihrer Abreise zur Documenta in Kassel wurde fünf Jahre ihre Arbeit gestohlen.

Von Kerstin Poppendieck | 05.06.2012
    Der Einbruch war geplant. 20 Festplatten, Laptops und Kameras gestohlen. Fünf Jahre ihrer Arbeit einfach weg. Die südafrikanische Fotografin Zanele Muholi glaubt, dass ihre Sachen geplant gestohlen wurden, denn andere Wertgegenstände wie Fernseher, Schmuck und Stereoanlage sind noch da.

    "Hier habe ich meine Festplatten aufbewahrt. Aber man hätte sie nie gesehen, dafür musste man genau wissen, wo sie versteckt sind. Einige hab ich in Mützen oder T-Shirts gesteckt und dann ganz nach hinten ins Fach gelegt. Wenn man hier vor dem Schrank steht, hätte man das niemals gesehen. Hier gibt es nichts Besonderes oder Teures. Ich lebe ein sehr einfaches Leben. Alles was ich besessen habe, waren meine Aufnahmen."

    Die 39-jährige Zanele Muholi arbeitete für ein schwul-lesbisches Magazin und gründete eine Organisation, die für die Rechte von Homosexuellen kämpft. Schwarze Lesben leben gefährlich im südlichen Afrika. Regelmäßig werden sie Opfer sogenannter korrigierender Vergewaltigung, um sie dadurch "zu heilen" und heterosexuell zu machen. Seit mehreren Jahren hat Zanele Muholi die Gerichtsverhandlungen dazu fotografiert. Außerdem war sie im vergangenen Jahr in Malawi, kurz nachdem ein schwules Paar aus dem Gefängnis entlassen wurde, das ursprünglich zu lebenslanger Haft verurteilt war. Und sie war auch in Uganda dabei, als der Grabstein für David Kato enthüllt wurde, Ugandas berühmtester Schwulenaktivist, der zu Tode gesteinigt wurde. All diese Aufnahmen sind gestohlen. Am Schrank in ihrem Schlafzimmer kann man noch die Reste des Schwarzpulvers sehen, mit dem die Polizisten die Fingerabdrücke genommen haben.

    "Ich bin eher eine Aktivistin als eine Künstlerin. Ich nutze Kunst, um politische Themen zur Sprache zu bringen. Und ich nutze Räume, die man eher mit Künstlern verbindet, um meine Botschaften zu verbreiten, wie Galerien zum Beispiel. Fotografie ist eine Unterkategorie von Kunst, deshalb gehen Menschen immer davon aus, dass ich eine Künstlerin bin. Aber ich sehe mich eher als visuelle Aktivistin."

    Zanele Muholi wuchs in der Hochphase der Apartheid in Südafrika auf. Ihr Vater stammt aus Malawi, ihre Mutter war Zulu. Nach dem Abitur zog sie nach Johannesburg und absolvierte eine Ausbildung zur Fotografin. Als schwarze Lesbe wurde sie selbst mehrfach diskriminiert. Doch anstatt sich zu verstecken, hat Zanele Muholi gekämpft. Es bedeutet ihr sehr viel, in diesem Jahr zum ersten Mal bei der documenta dabei zu sein.

    "Ich war sehr glücklich, denn nicht jeder bekommt die Chance. Das ist einmalig. Ich hatte mich darauf gefreut, dass die Menschen in Deutschland sehen würden, was hier in Südafrika passiert. Ich sage immer, es ist nicht Zanele, die bei der documenta ausstellt, sondern jedes einzelne Porträt, das dort zu sehen sein wird, repräsentiert viele andere Menschen in Südafrika, die man nicht sieht. Ich war wirklich glücklich darüber, aber jetzt weiß ich nicht mehr, wie ich mich fühlen soll."

    Zanele Muholi sitzt in ihrem spärlich eingerichteten Wohnzimmer in Kapstadt. Zwei Couches, ein Tisch mit zwei Klappstühlen, an der Wand ein Fernseher, das war´s. In diesem Zimmer entstehen die meisten ihrer Porträtaufnahmen, denn es ist gleichzeitig ihr Studio. Wie sich ihre Protagonisten vor der Kamera darstellen wollen, überlässt sie komplett ihnen. Zanele Muholi hat es sich zum Ziel gesetzt, das Leben von schwarzen Lesben zu dokumentieren.

    "Die Menschen, die ich fotografiere, sind keine Models. Meine Arbeiten sind tiefgründige Bilder der Menschen und ihrer Existenz. Dieses Spiel zwischen der Kamera und den Menschen und zwischen mir und den Menschen ist für mich das Reizvolle. Für mich haben diese Menschen vor der Kamera mehr Macht als ich. Ich sage ihnen nur, schaut in die Kamera, spielt mit dem Objektiv, verführt es. Ihr macht letztendlich das Bild, ich drücke nur den Knopf."

    Vielleicht ist es genau das, was ihre Bilder so intensiv und intim macht. Es gibt selten Accessoires, die ablenken. Im Mittelpunkt ihrer Fotos stehen die Frauen.

    "Die Aufnahmen sind in Simbabwe, Uganda, Botswana und Südafrika entstanden. Die meisten der Menschen sind entweder Opfer von Hass-Kriminalität oder Aktivisten, die ihr Leben riskieren. Die meisten sind jung, Mitte zwanzig, denn sie sind die Hauptzielgruppe von Hass-Kriminalität, vor allem hier in Südafrika. Diese Bilder werden bei der documenta zum ersten Mal gezeigt."

    Die Arbeiten für ihre Ausstellung bei der documenta waren zum Zeitpunkt des Einbruchs glücklicherweise bereits in der Produktion, sodass sie wie geplant in Kassel ausstellen wird. Obwohl Zanele Muholi gerade verzweifelt und traurig ist, freut sie sich auf Kassel. Wahrgenommen zu werden, respektiert und miteinbezogen, bedeutet ihr sehr viel. Sie wird eine Fortsetzung ihrer Serie "Phasen&Gesichter" zeigen, mit der sie 2006 angefangen hat. 60 neue großformatige Porträtaufnahmen.