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Kunststoffe aus der Natur

Chemie. - Erdöl ist der Rohstoff Nummer eins für Chemieprodukte. Doch der Preisanstieg der letzten Jahre macht deutlich, dass das schwarze Gold zur Neige geht. Wie lange es noch reicht, darüber streiten die Experten. Für die Chemie ist aber jetzt schon sicher, dass nachwachsende Rohstoffe in Zukunft eine größere Rolle spielen müssen. Auch deshalb, weil bei ihrer Verwendung kein fossil gebundenes Kohlendioxid frei wird. Kunststoffe auf der Basis biologischer Rohstoffe, das war das Thema einer europäischen Tagung, die heute in Brüssel zu Ende geht.

Von Hellmuth Nordwig |
    Verpackungsfolien für Lebensmittel, das ist die wichtigste Anwendung von Bio-Kunststoffen. Stärke und Zellulose dienen als nachwachsende Rohstoffe für diese Materialien und die werden in unseren Breiten vor allem aus Mais und Weizen hergestellt. Diese biotechnologisch erzeugten Verpackungsmaterialien sind zwar vereinzelt in den Regalen der Supermärkte zu finden, doch die Hersteller sind noch zurückhaltend, was ihren Einsatz angeht. Wim Soetaert, Professor an der Universität Gent in Belgien begründet das damit,

    "dass diese industrielle Biotechnologie noch nicht erwachsen ist. Das ist eine Technologie, die in der Anfangsphase steht und entsprechend noch nicht die Effektivität der klassischen petrochemischen Technologie hat. Das ist ein Problem, und daran müssen wir arbeiten."

    Das gilt vor allem für den Weg vom Mais- oder Weizenschrot hin zu den Grundbausteinen für Kunststoffe. Die Erdölchemie betreibt dafür Raffinerien. In ihnen werden die Bestandteile des Erdöls durch Erhitzen und hohen Druck voneinander getrennt und können dann weiter verarbeitet werden. Eine Bio-Raffinerie, die nachwachsende Rohstoffe nutzbar macht, müsste ganz anders arbeiten.

    "Wir nennen die Technologie die industrielle Biotechnologie. Das ist die Anwendung von Mikroorganismen in so genannten Fermentationsprozessen. Und auch die Biokatalyse, die Anwendung von Enzymen. Das sind Biokatalysatoren, um diese nachwachsenden Rohstoffe umzusetzen zu dem, was wir alles brauchen."

    In einem dieser Verfahren zerlegen Enzyme die Stärke des Weizens zu einem Zucker, und Bakterien vergären diesen dann zu Milchsäure. Sie dient als Grundbaustein für einen durchsichtigen Kunststoff, die Polymilchsäure. Daraus können ebenfalls Folien hergestellt werden, und auch Fasern für Textilien. Optimal geeignet ist dieses Material aber nicht - es zersetzt sich schon bei 50 Grad, darf also weder in die Mikrowelle noch bei heißer Temperatur gewaschen werden. Forscher wie Wim Soetaert suchen deshalb nach Bio-Kunststoffen mit anderen Eigenschaften. Einer davon kann zum Beispiel nur hergestellt werden, wenn man Kohlendioxid zusetzt. So ist das Treibhausgas wenigstens für kurze Zeit in Form dieses Kunststoffs gebunden.

    "Polybutylensuccinat, das noch nicht auf dem Markt ist, aber mit Sicherheit in den nächsten Jahren auf den Markt kommen wird. Es ist ein ganz normaler Kunststoff, sieht aus wie andere Kunststoffe, hat aber den Vorteil, dass es bioabbaubar ist. Sie können es einfach auf den Komposthaufen werfen, und dann wird es wieder zu CO2 umgesetzt."

    Bestimmte Bakterien können nicht nur die Grundbausteine eines Kunststoffs erzeugen, sondern sie stellen ihn direkt her. Den Einzellern dient das harzähnliche Material mit dem Kürzel PHB als Energiespeicher. Löst man die Zellen nach der Fermentation auf, so erhält man ein weißes Pulver, das sich zu einem Kunststoff weiter verarbeiten lässt. Silvio Ortega von der brasilianischen Firma PHB Industrial:

    "Dieser Kunststoff lässt sich vor allem im so genannten Spritzguss verarbeiten. Die Materialeigenschaften sind denen von Polypropylen ziemlich ähnlich, das zum Beispiel für die Gehäuse von Mobiltelefonen verwendet wird. Dieser herkömmliche Kunststoff schmilzt bei 220 Grad, PHB dagegen bereits bei 165 Grad. Wenn wir PHB verarbeiten, können wir also Energie sparen."

    Im zuckerreichen Brasilien soll im kommenden Jahr die erste Produktionsanlage entstehen, eine weitere wird in den USA gebaut. Dort, im Bundesstaat Nebraska, steht auch die größte Fabrik eines Bio-Kunststoffs: 140.000 Tonnen Polymilchsäure können dort jährlich aus Mais hergestellt werden. Weltweit liegt die Kapazität derzeit insgesamt bei rund 500.000 Tonnen pro Jahr. Doch das ist nicht einmal ein Prozent des Bedarfs. Kunststoffe aus Erdöl werden also noch lange Zeit unseren Alltag beherrschen.