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Kunstvolle Reliefs als Werbung für die Stadt

Die Fassaden des Bremer Rathauses sind mit beinahe lebensgroßen Reliefs verziert. Die Figuren von Frauen in fließenden Gewändern zeigen Tugenden wie Klugheit und Eintracht, Fleiß und Keuschheit. Schon vor 400 Jahren wussten kluge Köpfe wie sie die Herrschenden umschmeicheln.

Von Günter Beyer |
    Die Hansestadt Bremen besitzt eigentlich drei Rathäuser aus drei Jahrhunderten. Aber die drei Gebäude sind so harmonisch zu einem Ganzen zusammengefügt, dass kein architektonischer Missklang entsteht. Das älteste ist das gotische Rathaus von 1410, ein etwas klotziger, kastenförmiger Bau. Dann die davor gesetzte, fein gegliederte Renaissance-Fassade mit ihren Giebeln, Vorsprüngen und Erkern von 1612. Und schließlich, das so genannte "Neue Rathaus" von 1913, ein zurückhaltender Anbau im Stil des Historismus.

    Heute soll es ausschließlich um die vier Jahrhunderte alte Renaissance-Fassade gehen. Um ihren vielgestaltigen, üppigen Schmuck mit allegorischen Bildwerken aus kunstvoll bearbeitetem Sandstein.

    "Können Sie da in dieses erste Dreieck gucken oberhalb der Säule, ein bisschen geht der Blick nach rechts, da sehen Sie eine Darstellung der Philosophie, wenn die Straßenbahn es wieder möglich macht, ja genau, Philosophie!"

    Stadtführer Wolfgang Schmidt hat sich gegenüber der repräsentativen Schokoladenseite in Position gebracht. Eigentlich ist Bremens "gute Stube" - der Marktplatz - ja verkehrsberuhigt. Aber auf die Straßenbahnen, die ständig an den elf Bögen der Rathausfassade vorbeirumpeln und Neugierigen die Sicht nehmen, muss man schon Acht geben. Die Dreiecke zwischen den Bögen und dem darüber liegenden Fries sind besonders gut einzusehen - eine ideale Präsentationsfläche für Figuren.

    "Jetzt müssten wir vielleicht mal ´n Blick hier auf die schöne Rathausfassade werfen. Sie sehen da eine Vielzahl von so genannten "Zwickel-Bildern". Ein Zwickel-Bild hat eine dreieckige Form, und passend in dieses Dreieck, sehen Sie eine Vielzahl von jungen, auch schönen Frauen, die für die Tugenden standen."

    In der Tat! Beinahe lebensgroß als Reliefs in Stein gehauen, in fließende Gewänder gehüllt oder nackt, scheinen die Frauen das Rathaus regelrecht zu belagern. Kein Wunder bei einem Gebäude, zu dem Frauen noch heute keinen Zutritt haben, wenn die Herren drinnen ihre opulenten "Brudermahle" wie die traditionsreiche Schaffermahlzeit feiern! Vor 400 Jahren aber eroberten Frauen die besten Plätze: auf der Fassade.

    "Es gibt eine Vielzahl von Allegorien, das sind überwiegend, aber nicht ausschließlich, Frauengestalten. Es geht um die Tugenden. Und da gibt es doch eine schöne anschauliche Darstellung: Hier sehen Sie die Mäßigung, eine junge Frau, unter ihr liegt ein Mann, ein junger Mann, er steht für das Gegenteil, das nennt man die Völlerei."

    Die "Mäßigung" macht es richtig. Sie trägt zwei Krüge: einen gefüllt mit Wein, den anderen mit Wasser, die sie tugendhaft mischt. Der Mann unter ihr hat es falsch gemacht, kräftig gebechert, und erbricht nun seinen unverdünnten Wein. Ein pädagogisches Tugendprogramm läuft wie ein Jahrhunderte alter Comic Strip auf den Friesen der Fassade ab: Klugheit und Eintracht, Fleiß und Keuschheit.

    "Eine ausgestreckte Hand, eine junge Frau, und sie wirft mit Münzen um sich. Wo hat man das? Das ist natürlich die Freigebigkeit!"

    Humanistische Werte, gespeist aus Antike und Christentum, sind also in dieser Hansestadt zu Hause! Aber auch Tiere spielen im Sehnsuchtsort der Bremer Stadtmusikanten eine wichtige Rolle - und gelangen als Wegbegleiter der Menschen prompt an die Fassade.

    "Ein Mädchen, ein wehendes Gewand, in der ausgestreckten Hand ein Huhn oder eine Gluckhenne, ein Nest darunter mit vielen Küken. Das ist die Sage der Bremer Gluckhenne: Flüchtlinge kamen die Weser runter, suchten eine neue Bleibe und fanden hier in der Abendsonne die Gluckhenne, und beschließen zu bleiben, und so soll die Siedlung oberhalb der Weser entstanden sein."

    Imagewerbung, schon damals, könnte man denken. Aber hinter dem Bildprogramm auf der Fassade stand eine ganz bestimmte Absicht.

    "Man hatte einen gewissen politischen Anspruch, nämlich, vom Kaiser die Reichsfreiheit zu erhalten, und das tut man auch mit Architektur."

    Landesdenkmalpfleger Georg Skalecki kümmert sich schon von Amts wegen um das Bauerbe Bremens.

    "Man gestaltet eine Fassade mit einem politischen Programm, und biedert sich damit auch quasi etwas am Kaiserhof an und drückt mit Selbstbewusstsein aus: Hier ist eine große wichtige Handelsstadt, die möchte gerne freie Reichsstadt werden. Und das ganze Programm dieser Fassade deutet das alles immer an, welche herausragenden moralischen Werte in dieser Stadt vertreten werden."

    Ach, es ist so viel zu entdecken und zu rätseln an dieser über und über tätowierten, farbig gefassten Fassade - die vier Jahreszeiten, die vier Elemente, die sieben Künste der Antike, Tritonen, Masken und Engel. Alles in gutem Zustand, nachdem die Fassade vor Jahren lange unter einer großen Plane verschwunden war.

    "Sie ist erst vor einigen Jahren umfassend restauriert worden, aber sehr sorgfältig, sehr zurückhaltend. Und wir hatten damals festgestellt, dass leichte Rissbildungen im Sandstein festzustellen sind. Also wir haben mit einem Kalkmörtel, der ganz auf historischen Rezepturen basiert, haben wir Risse verfüllt, das war feinste Restauratorenarbeit, und ich denke, dass wir jetzt für einige Jahre die Fassade in einem guten Zustand haben."