Freitag, 02. Juni 2023

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Kunstwille und Kinderstück

Robert Wilsons Peter Pan habe nicht Faszination und Kraft: Es herrsche viel unmotiviert choreografierte Beweglichkeit auf der Bühne und Wilson beweise sich wieder einmal als ein Meister eingefrorener, allzu oft leerer Bilder, meint Hartmut Krug.

Von Hartmut Krug | 19.04.2013

    Mit magischem Bedeutungsspiel im leeren Raum beginnt es. Glühbirnen an langen Schnüren und eine Leuchtkugel in der Hand des kleinen Mädchens, das im weißen Unschuldskleid mit dem Lied vom schwarzen Engel über die Bühne tanzt, schaffen dekorative Licht- und Schatteneffekte.

    Dann steigt Peter Pan auf der Suche nach seinem Schatten durchs Fenster ins Schlafzimmer der Familie Darling, - und schon sind wir im allzu vertrauten Wilson-Kunstland. In ihm sind alle kalkweiß geschminkte Puppen mit schwarz gerahmten aufgerissenen Augen, die in einem Bewegungskorsett künstlicher Spreizungen und abgezirkelter Bewegungen zappeln. Immer wieder erstarren sie in effektvollen Gruppenbildern vor einem monochromen Hintergrund, der seine Farbe unentwegt und unmotiviert wechselt.

    Das alles ist ein Theater der Dekoration. Herrlich die Schwarz-Weiß-Kostüme der Familie Darling, lustig die kunstvollen roten Haarkreationen der verlorenen Jungen und schön anzuschauen die schwarze steife Schar von Kapitän Hook. Auch ausgestellte Komik gibt es: Die Eltern, die ihre Kinder zu Bett bringen, inszenieren ein höchst komisches Ballett, bei dem die Krawatte des Vaters und die drei als Hunde kostümierten Kindermädchen, die ihre Schützlinge an langen Leinen ins Bett zerren, entscheidende Rollen spielen. Doch dann lockt Peter Pan die Kinder, Wendy und ihre Brüder, heraus nach Neverland. Dort sehnen sich die verlorenen Jungen nach einer Mutter:

    James Matthew Barries Geschichte vom Jungen, der nicht erwachsen werden will, ist nicht nur in zahlreichen Hollywoodverfilmungen erzählt worden, sondern in Berlin schon mit Horst Buchholz im Schillertheater und mit Ute Lemper im Theater des Westens auf die Bühne gebracht worden. Robert Wilsons Inszenierung hält sich nicht sonderlich mit Psychologie auf. Auch das sogenannte Peter-Pan-Syndrom, das Jugendlichen mit Bindungsängsten und einer Ablehnung von Verantwortung zugeschrieben wird, macht er nicht groß zum Thema.

    Wilson reproduziert nur einfach seine bekannten Theatermittel und macht Kunst-Theater. In ihm geht es mehr um Formen und weniger um Interpretation. In Wilsons Fantasiewelt der bunten Unschuld sind die Einsamkeit der Kinder ebenso nur Effekte wie die Gewalttätigkeit von Kapitän Hook oder des ihn mit glühenden Augen und aufgerissenem Maul verfolgenden allerliebsten Krokodils.

    Leider wirkt der hochgewachsene Sabin Tambrea als Peter Pan in dieser Unterhaltungsshow in keinem Moment wie ein Kind, sondern erscheint in seiner dunklen Lederjacke allenfalls wie eine starre Michael-Jackson-Anspielung. Dabei steht er meist steif herum und versucht kaum zu spielen. Er ist einfach nur da und zeigt mit einem breiten Grinsen unentwegt seine Zähne. Der eigentlich flugfähige Peter Pan wird bei Tambrea zu einem mephistophelisches Standbild.

    Ins Zentrum rückt so die Fee Tinkerbell, ein Zwitterwesen, das mit seinen Zauberstab und fast sadistischem Gelächter Stromstöße verteilt und dem Publikum witzige Körperartistik bietet.

    In Wilsons Inszenierung, die zur überfüllten Premiere einen großen Anteil amerikanischer Zuschauer ins Parkett zog, wird deutsch geredet und englisch gesungen. Zu einer Musik des Geschwister-Duos CocoRosie, die mit ihrer eklektizistisch ausmalenden Klang-Buntheit die Inszenierung fast zu einem Musical machen. Da wechseln Entrückungssounds mit Schlagwerkgewitter, die an Tom Waits und Lou Reed erinnern, und es klingelt und klingklangt den ganzen Abend.

    Robert Wilson beweist sich wieder einmal als ein Meister eingefrorener, wenn auch allzu oft der leeren Bilder. So, wenn die Nixen wie Königinnen der Nacht hoch in den Raum gestellt werden oder wenn die fliegenden Kinder auf Wolkenstellagen herein geschoben werden. Doch dass der düstere Peter Pan hier einmal sagt und singt, "zu sterben wird ein schrecklich großes Abenteuer sein", ist weniger Frage als unvermutet gesetztes Fazit:

    Die Faszination und Kraft früherer Wilson-Abende besitzt sein schrecklich routinierter Peter Pan trotz mancher wunderbarer Momente allerdings nicht. Weil man die leere Künstlichkeit von Wilsons gespreizten Figuren allzu gut kennt und weil viel unmotiviert choreographierte Beweglichkeit auf der Bühne herrscht. So werden die zweieinhalb Stunden des bunten Abends doch recht lang. Der Abend aber gehörte den Robert-Wilson-Fans, die den Regisseur herzlich feierten.