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Kurdische Angriffe sind "Wasser auf die Mühlen der Nationalisten"

Der neu entflammte Konflikt zwischen der Kurdenorganisation PKK und der türkischen Regierung könnte zu einem Erstarken der türkischen Nationalisten führen, meint der Politikwissenschaftler Cemal Karakas. Die EU könne moderierend einwirken - wenn die Türkei dies zulässt.

Cemal Karakas im Gespräch mit Detlev Karg |
    Bettina Klein: UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon hat gestern Abend den blutigen Angriff kurdischer Kämpfer auf die türkische Armee verurteilt. Es sei eindeutig inakzeptabel, dass irakisches Territorium genutzt werde, um Angriffe jenseits der Grenze gegen benachbarte Länder zu führen, so Ban. Beim schwersten Angriff der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK seit Jahren haben kurdische Kämpfer im Südosten der Türkei mindestens 24 türkische Soldaten und Polizisten getötet. Die türkischen Streitkräfte reagierten wiederum mit Bombenangriffen auf vermutete PKK-Lager jenseits der Grenze wiederum im Norden des Irak, eine Region, die vergleichsweise ruhig erschien und in den vergangenen Jahren ein wenig im Schatten der dramatischen Entwicklungen im Gesamtirak gestanden hat.
    Was hat der Angriff der PKK in dieser Heftigkeit nach Jahren relativer Ruhe zu bedeuten? Darüber hat mein Kollege Detlev Karg gestern Abend mit dem Wissenschaftler und Türkeiexperten Cemal Karakas von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung gesprochen.

    Cemal Karakas: Das ist quasi, dass man ein Zeichen setzen will. Ich meine, es gibt ja diese Debatte, inwieweit die PKK tatsächlich für einen unabhängigen Kurdenstaat kämpft oder nicht, und die PKK selber ist ja keine homogene Organisation für sich. Es gibt dort natürlich auch einen militanten Flügel, dann gibt es noch einen moderaten Flügel, es gibt Kontakte zur legalen Partei BDP, und dort gab es auch immer wieder Kritik von der PKK an der BDP, inwieweit sie die Interessen der Kurden tatsächlich auch politisch durchsetzen konnte. Und jetzt dieser Gewaltakt soll dann auch die türkische Regierung quasi noch stärker in diesen Konflikt involvieren, um aufzuzeigen, man darf ja nicht vergessen, dass die AKP bei den letzten Parlamentswahlen (das ist einige Monate jetzt her) die zweitstärkste Kraft war hinter der BDP und in einigen kurdischen Kommunen sogar die stärkste Kraft war. Das heißt, durch diese Anschläge ist die türkische Regierung jetzt noch mehr gezwungen, als Exekutive jetzt in diesem Konflikt aktiv zu werden, und das ist auch so eine Art Taktik der PKK (aber das verfolgt sie schon seit fünf oder sechs Jahren), durch eine stärkere Involvierung der AKP-Regierung eben ihre Rolle, die Rolle der AKP-Regierung, die sich ja für Reformen, für eine Stärkung der Rechte der Kurden ausspricht, diese zu diskreditieren. Da will man quasi die eigene Partei, die BDP, noch besser positionieren.
    Es gab natürlich auch immer wieder Waffenruhen, einseitige Waffenruhen von der PKK, und das ist dann auch ein Vorwurf der PKK oder der kurdischen Seite gewesen, dass man diese Waffenruhen auf türkischer Seite nicht genutzt hat, tatsächlich in dieser Frage, in der Kurdenfrage aktiv zu werden und Lösungsvorschläge zum Beispiel in einer Richtung Autonomie zu präsentieren.

    Detlev Karg: Ist das das Ziel, die autonome Region im Südosten der Türkei, oder will die PKK tatsächlich mehr? Hätte sie eigentlich die Kraft für einen kurdischen Staat, denn die Kurden leben ja in mehreren Staaten in dieser Region, im Nordirak, in Syrien und zum Teil ja auch auf iranischem Staatsterritorium?

    Karakas: Ja. Also da ist auch die PKK selber gespalten. Aber wenn man jetzt auf die Mehrheit der Kurden, die in der Türkei leben, schaut, wollen sie tatsächlich keinen eigenen Staat mehr, sondern eine Autonomie, die auch wirklich eine Autonomie ist, so wie zum Beispiel die Südtiroler sie in Italien genießen, das heißt mit weitgehenden Selbstverwaltungsrechten, was die Stärkung der kulturellen Identität angeht, oder auch lokale fiskalische Rechte, also Steuern zu erheben. Das Gegenargument auf türkischer Seite ist dann immer der Verweis auf das Kosovo. Da sagt man, ja, da gab es zuerst auch nur eine Autonomie und dann hat man gesehen, dass durch zusätzliche Anschläge dann auch tatsächlich Kosovo es geschafft hat, sich vom serbischen Staat zu lösen, und das sind dann immer die Horrorszenarien in der Türkei, die dann gemalt werden, dass das, dass die Autonomie tatsächlich der erste Schritt wäre, die Türkei in ihrer territorialen Integrität zu gefährden und tatsächlich da einen eigenen Staat zu erschaffen. Aber ich persönlich halte diese Ängste für übertrieben.

    Karg: Sie sprachen es ja vorhin an: Mit der BDP sitzen ja auch kurdische gemäßigte Vertreter im türkischen Parlament und in den Regionalparlamenten. Die werden jetzt diskreditiert Schritt für Schritt mit ihrer moderaten Politik?

    Karakas: Es ist in der Tat so, wie Sie es gesagt haben, dass gerade dieser Angriff oder tatsächlich jeder Terroranschlag die BDP aus nationalistischer Sicht in ein sehr schlechtes Licht rückt, weil es sehr enge Beziehungen gibt zwischen der BDP und der PKK. Man weiß nicht genau, ist es tatsächlich ein verlängerter politischer Arm der PKK, oder ist das tatsächlich eine eigenständige Gruppe, so wie die BDP von sich auch behauptet, die kein Gegenentwurf zur PKK ist, aber tatsächlich auch versucht, über einen politisch moderaten Weg, über das parlamentarische System, die Rechte der Kurden zu stärken. Aber man darf eine Sache nicht vergessen. Die stärkste Geistesbewegung in der Türkei ist der türkische Nationalismus, und jede Frage, was eine Ausweitung von Minderheitenrechten angeht, sei es jetzt für die Kurden, oder für die christliche Minderheit, kratzt eben an diesem Dogma, an diesem Nationalgefühl und erzeugt sofort Reflexe nach dem Schüren von Ängsten, was die territoriale Zersplitterung der Türkei angeht. Das ist eine große Sorge, hier werden Verweise auf die Geschichte der Türkei, auf die Vergangenheit gemacht. Man darf nicht vergessen, dass direkt nach dem Ersten Weltkrieg die Türkei ja besetzt war von den Siegermächten, christlichen Siegermächten wohl gemerkt, und da gibt es immer noch diese Angst, dass das Ausland irgendwie – und da war ja jetzt auch der Vorwurf an die deutschen Stiftungen ja wieder einmal virulent vor zwei, drei Wochen -, dass irgendwie ausländische Kräfte, die Deutschen oder auch die USA im Nordirak, dass die versuchen, eben die Türkei in ihren Grundfesten zu erschüttern und das Land zu teilen. Aber ich finde solche Überlegungen etwas abwegig.

    Karg: Vielleicht noch eine Frage, etwas ausgeweitet das Ganze. Bedroht dieser Gewaltausbruch auch die Innenpolitik, also Stichwort Liberalisierung, das was die EU verlangt, eine Fortentwicklung der Demokratie? Was sagen Sie?

    Karakas: Dieser Anschlag ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Nationalisten und auch der Gegner einer weiteren Liberalisierung oder Annäherung an die Kurden. Es gab ja vor zwei Jahren die Losung der AKP-Regierung, dass man sich gegenüber den Kurden öffnet. Das resultierte dann in einer Stärkung kultureller Rechte. Das ist jetzt natürlich sehr kontraproduktiv gewesen, insgesamt die Anschläge in den letzten zwei Jahren, weil eben auch die AKP-Regierung – das sollte man ruhig mal auch hier erwähnen -, es gibt keine Partei, die in den letzten vier Jahrzehnten so viel für die Kurden in der Türkei gemacht hat. Das ist ja das Ironische an der Sache, dass gerade die Partei, die sich so stark für die Kurden eingesetzt hat, jetzt quasi so massiv indirekt angegriffen wird durch diese Anschläge und jetzt unter Zugzwang gerät, und das wird sich jetzt zeigen, wie weit sie ihre Liberalisierungspolitik wieder zurückfährt, um auch die nationalistischen Stimmen in ihren eigenen Lagern zu bedienen. Also das wäre eine sehr bedenkliche Entwicklung und man kann jetzt hoffen, dass die EU-Kommission oder die Europäische Union als Ganzes versucht, in diesem Konflikt etwas moderierend einzuwirken. Aber dann lautet immer die Gegenantwort von türkischer Seite, ja was wollt ihr denn aus Brüssel, ihr wollt uns ja noch nicht mal als Vollmitglied in der EU haben, aber mischt euch dann ein in unsere internen Angelegenheiten. Das ist dann immer so ein bisschen eine heikle Sache.

    Klein: Der Türkeiexperte Cemal Karakas von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung.

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    Kommentar: Zur Eskalation im Kurdenkonflikt in der Türkei

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