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Kursiv: Abrechnung mit Dick Cheney

Die Ortsbezeichnungen Abu Ghraib und Guantanamo sind zum Synonym für einen staatlich sanktionierten Moral- und Werteverlust geworden. Das ist das Thema des Buches "The Dark Side" - die dunkle Seite - von Jane Mayer, die dem US-amerikanischen Publikum als Autorin der renommierten Zeitschrift "The New Yorker" bekannt ist. "The Dark Side" führt Klage über die Folterskandale und die Erosion der Rechtsstandards; und es ist eine Abrechnung mit Dick Cheney, dem amerikanischen Vizepräsidenten, den Jane Mayer persönlich für diese Verfehlungen verantwortlich macht

Von Gregor Peter Schmitz |
    Immerhin kann im Rückblick niemand sagen, Bushs Leute seien nicht offen gewesen. Am Anfang ihres beeindruckenden Buches "The Dark Side" beschreibt Jane Mayer einen Fernsehauftritt von US-Vizepräsident Dick Cheney kurz nach den Attacken am 11. September. Cheney blickt düster drein, er spricht mit leiser, aber entschlossener Stimme: "Wir werden auf der dunklen Seite operieren müssen. Vieles davon muss im Verborgenen, ohne jede Diskussion ausgeführt werden." Wie dunkel diese Seite wurde, zeichnet Mayer auf 392 Seiten detailliert nach. Die Reporterin der Zeitschrift "New Yorker" entwirft das Bild einer US-Regierung, die durch die Anschläge am 11. September 2001 völlig aus der Bahn geworfen wurde. Der Terror-Bedrohung hatten nur wenige Mitglieder des Bush-Teams Aufmerksamkeit geschenkt. Mayer erinnert daran, wie viele Chancen vergeben worden waren, die Anschläge schon im Vorfeld zu vereiteln. US-Sicherheitsbehörden und Weißes Haus ignorierten klare Warnzeichen - und Präsident Bush unterbrach nach einem Geheimdienst-Briefing am 6. August 2001 über einen bevorstehenden Bin Laden-Angriff in den USA noch nicht einmal seinen Ranch-Urlaub in Texas. Dieser deprimierende Rückblick in Mayers Buch steht im krassen Gegensatz zu den fieberhaften Reaktionen der US-Regierungsmannschaft unmittelbar nach dem Terror-Tag - insbesondere des Teams um Cheney. Das wollte die Vorherrschaft des Weißen Hauses über alle andere Regierungsbehörden schon lange ausbauen, und sah nun gar keine Grenzen mehr. "Informationen über Terrorverdächtige um jeden Preis", galt als neue Regierungs-Marschroute. Auf welche Weise die gewonnen wurden, spielte bald keine Rolle mehr. So beginnt die Reise auf die "dark side". Vieles davon ist schon von anderen Journalisten aufgedeckt worden. Doch noch niemand hat so deutlich wie Mayer in ihrer tour de force herausgearbeitet, wie sich der Kampf gegen den Terror allmählich in einen Kampf gegen amerikanische Werte verwandelte - und weitere schlimme Kreise zog. Ein Beispiel: Die juristisch höchst fragwürdige "Auslagerung" von Terror-Verdächtigen in die Folterkammern arabischer US-Verbündeter. Dort geben die bereitwillig Auskunft, um weiteren Qualen zu entgehen. Doch:

    "Es gab einen Gefangenen namens Ibim Sheikh Alibbi. Er wurde nach Ägypten zur "speziellen Befragung" - oder wie immer man das nennen will - gebracht. Und als er da war, hat er den Ermittlern genau erzählt, was sie hören wollten. Sie wollten hören, dass Irak mit El Kaida zusammen arbeitet. Und er sagte: Natürlich, ständig. Diese Informationen fanden ihren Weg in die Reden von Präsident Bush, in den Auftritt von Colin Powell vor den Vereinten Nationen. Sie wurden Beweisstück Nummer 1, warum wir in den Irak einmarschieren mussten. Und ein Jahr später hat er alles zurückgenommen."
    Das unterminiert das Argument der Bush-Regierung, harte Verhöre seien zwar bedauerlich, aber wegen ihrer Effizienz nun einmal unersetzlich. Mayer zitiert zahlreiche Studien und Statistiken, wie unzuverlässig und ungenügend Informationen aus Folter-Vernehmungen sind. Vor allem aber: Wie "unamerikanisch". Ihren Schock über diese Entwicklung bündelt Mayer in der Beschreibung der Gefangenenlager in Guantanamo und Abu Ghraib - von wo schließlich die Fotos über misshandelte und erniedrigte Insassen um die Welt gingen. Die waren hilflos Lärmterror, Wasserfolter, sadistischen Wächtern und Verhör-Agenten ausgesetzt - die sich von brutalen Fernsehserien inspirieren ließen oder von dubiosen CIA-Trainingsprogrammen aus der Hochzeit des Kalten Krieges. So brutal und dubios, dass selbst abgebrühte FBI-Mitarbeiter sich erschrocken abwandten. "Wir tun so etwas nicht", zitiert Mayer sie. "Unsere Feinde tun so etwas." Etliche von ihnen weigerten sich schließlich, weiter mitzumachen. Diesen stillen Helden - gefangen zwischen der Loyalität zu Land und Regierung und heftigen Gewissensbissen - setzt Mayer in ihrem Buch eine Art Denkmal. Sie zeichnet nach, wie kritische Stimmen im Weißen Haus, in Ministerien und Geheimdienste wenigstens ein paar Mal den Terror-Hardlinern um Cheney und Co. erfolgreich Paroli boten:

    "Während der Recherche über das Buch habe ich viele fantastische Leute getroffen. Militärs, FBI-Mitarbeiter, Anwälte in der Bush-Regierung. Leute, die gesagt haben: Wir müssen das nicht machen. Sie haben versucht, für die gute Sache zu kämpfen - und ihre Geschichten sind nun auch in ihrem Buch."

    Doch von Dauer waren deren Siege meist nicht. Mayers Fazit ist ernüchternd: Die Antwort der Bush-Regierung auf die Enthüllung der Abu Ghraib-Schandtaten etwa war nicht das Ende solcher Praktiken - sondern eher deren bessere Verschleierung. Eher ernüchternd waren auch die Reaktionen auf Mayers Buch. Breite Debatten löste es nicht mehr aus. Anscheinend hat sich die amerikanische Öffentlichkeit schon an Enthüllungen über Unrechtstaten dieser Regierung gewöhnt - die Öffentlichkeit will das wohl alles gar nicht mehr so genau wissen. Und so ist auch keine Reue bei den Verantwortlichen an der Spitze zu erwarten. Bei einem Auftritt im "National Press Club" zog Dick Cheney vor kurzem das zufriedene Fazit, man sei halt nicht unbedingt populär, wenn man das Richtige tue. Es ist nicht viel heller geworden auf der "dark side".

    In unserer Rubrik Kursiv war das heute ein Blick in eine amerikanische Neuerscheinung: Gregor Peter Schmitz rezensierte das Buch von Jane Mayer: The Dark Side. Es ist im Verlag Doubleday erschienen, hat 400 Seiten und kostet Euro 17,95.