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Kursiv: Blick in die politischen Zeitschriften

In der rechtskonservativen Zeitschrift "Gegengift" befragt die Redaktion Autoren zum Duell zwischen Papst und Kanzlerin. Kein Zweifel, das rechte Milieu begehrt auf, die Antworten geraten demgemäß zu einem wahren Merkel-Bashing. So zum Beispiel auch bei Schriftsteller Eckhard Henscheid:

Von Norbert Seitz |
    Die Kanzlerin Merkel hat vom Pontifex wie vom Vatikan wie von der Christenheit wie von überhaupt allem null Ahnung, mahnt aber gleichwohl televisionär den Papst, er solle von seiner Judenverfolgung beziehungsweise jedenfalls Holocaustleugung abrücken - derer Ratzinger sich freilich überhaupt nicht schuldig gemacht hat.

    Starker Tobak, denn Tatsache bleibt, dass die katholische Kirche in dieser Angelegenheit derzeit mehr Mitglieder verliert als die Union wegen der Papst-Stellungnahme ihrer Vorsitzenden. Die Auffassung, dass ein Holocaust-Leugner auf einer Kanzel nichts verloren habe, ist weiß Gott mehrheitsfähiger als die Kritik am angeblich unziemlichen Benehmen einer deutschen Bundeskanzlerin gegenüber dem Heiligen Vater.

    Der aktuelle Konflikt trifft die katholische Kirche zu denkbar ungünstiger Zeit. So weist Karl Gabriel in seinem Überblick auf "Europas religiöse Landschaft" in der Zeitschrift "Die Politische Meinung" auf zwei Besorgnis erregende Entwicklungslinien hin:

    Zu einem auf eine Individualisierung der Religiosität, die sich in einer Grauzone zwischen Religionslosigkeit und einer gleichgültigen Halbdistanz zur Kirche bewegt. Hier findet Religion nur noch weitgehend privat als "Patchwork" statt, subjektiv und erlebnisbezogen, in neuen Bewegungen von Psychokulten und Therapien.

    Die Spannung zwischen moderner Gesellschaft und Religion spiegelt sich freilich ebenso in einem Prozess fortschreitender Entkirchlichung. Sie drückt sich aus

    im Verblassen des für die kirchlichen Überzeugungen konstitutiven Glaubens an einen persönlichen Gott wie im Abrücken vom kirchlich formulierten Glauben an ein Leben nach dem Tod. Denselben Trend zeigt die Dimension kirchlich-ritueller Praxis an: Der regelmäßige Gottesdienstbesuch ist rückläufig, eine regelmäßige Gebetspraxis wird seltener und kirchliche Verhaltensnormen finden signifikant weniger Gehorsam.
    Es geht also derzeit hoch her im konservativen Lager, denn auch die massiven staatlichen Eingriffe beim Aufstellen sogenannter Schutzschirme für notleidende Kreditinstitute bereiten jenen Marktwirtschaftsliberalen in der Partei erhebliche Kopfschmerzen, die in den viel zu groß geratenen Schuhen von Friedrich Merz daherkommen.

    In seinem Essay "Leerstelle Konservatismus" in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" sieht Albrecht von Lucke dagegen in der Krise des Kapitalismus die Chance,

    dass heute kein Widerspruch zwischen linkem und konservativem Denken bestehen muss, sondern das progressive Ziel der Vergrößerung der Gerechtigkeit nur durch das konservative der Bewahrung der menschlichen Lebensgrundlagen erreichbar ist. Die Anschlussfähigkeit von linken und konservativen Ideen ist damit erneut offensichtlich geworden.
    Gut gemeint und romantisch formuliert, aber angesichts des Höhenflugs der FDP ein wenig unrealistisch, da der Union ihr unternehmerisches Wählerpotenzial abhanden zu kommen droht.

    Dagegen hat die Merkel-Partei derzeit an der rechten Flanke keinen Aderlass zu befürchten. Denn der Höhenflug der NPD scheint gestoppt. Marc Brandstetter gibt ebenfalls in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" Entwarnung. Beim Selbstzerfleischungsprozess der Neonazis gehe es

    im Kern um ideologische und strategische Differenzen: Will man eine gutbürgerliche "Kümmerer-Partei" mit Parlamentssitzen sein oder die revolutionär-antikapitalistische Speerspitze einer außerparlamentarischen Bewegung. Zudem drohen ihr hausgemachte, existenzgefährdende Haushaltsprobleme, substanzielle Mitgliederverluste und die Rückkehr ins wahlpolitische "Null-Komma-Ghetto".
    Doch längerfristig gebannt ist die Gefahr damit noch lange nicht, wie Karin Priester in der Zeitschrift "Vorgänge" im Fazit ihrer soziologischen Untersuchung befürchtet:

    Wo sich die Volksparteien zur gut ausgebildeten, neuen sozialen Mitte hin orientieren, entsteht unter Handwerkern, Kleingewerbetreibenden und proletarisierten Niedriglohnberufen ein Vakuum, in das, zumindest teilweise, der Rechtsextremismus als soziale Protestbewegung eindringt.


    - Gegengift. Zeitschrift für Politik und Kultur.
    15. Februar 2009.

    - Die Politische Meinung, Nr. 470, Januar 2009.
    Blätter für deutsche und internationale Politik,
    2`09.

    - Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik. Nr 184, Januar 2009.