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Frankreichs Maginot-Linie gegen den Islam

Die strikte Trennung von Religion und Staat ist ein wichtiger Grundsatz der Französischen Republik. Viele Muslime sehen darin allerdings zunehmend ein Instrument der religiösen Diskriminierung. In diese Debatte hat sich nun der preisgekrönte Journalist Claude Askolovitch eingemischt.

Von Hans Woller | 02.12.2013
    Das Buch ist ein Pamphlet, eine Mischung aus Essay und Reportage, die, vehement wie selten zuvor das in Frankreich quasi konstitutionelle und von allen als unabänderlich hoch gehaltene Prinzip des Laizismus infrage stellt – als zu rigide, als ein in seinen Auswirkungen letztlich konservatives Konzept, das für eine französische Bevölkerung, in der mehr als sechs Millionen Menschen Wurzeln im islamischen Kulturraum haben, nicht mehr tauglich ist. Für Askolovitch hat Frankreich 2003 mit dem Kopftuchverbot in Schulen einen Kulturkampf gegen den Islam eröffnet, ihn mit dem Burkaverbot im öffentlichen Raum fortgesetzt und das einst generöse Konzept des Laizismus dazu missbraucht, so wörtlich, eine Maginot-Linie, also eine Art Festungswall, gegen den Islam zu errichten. Der Autor:
    "Ich sehe ein reales Frankreich, das sich selbst nicht mehr mag und nicht mag, was es gerade wird. Und dem man seit Jahren erzählt, dass das, zu dem es wird – nämlich eine multikulturelle Gesellschaft mit einer starken Präsenz des Islam - etwas Verabscheuungswürdiges ist. Ich sage nicht, dass die gegenwärtige Situation einfach ist. Sie ist es nicht. Aber zu glauben, dass man per Gesetz Menschen dazu zwingen kann, das Kopftuch und den muslimischen Teil ihrer Kultur abzulegen, hat dazu geführt, dass wir an die Wand gefahren sind und nicht mehr fähig sind, miteinander zu sprechen."
    Askolovitch hat sich für dieses Buch unter Franzosen muslimischen Glaubens gemischt aus der Generation der 20- bis 50-jährigen Bürger, die sozial erfolgreich sind: Unternehmer, leitende Angestellte mit Hochschulabschluss, gebildet, modern und kompetent. Die grün, sozialistisch oder konservativ gewählt haben, die aber im Alltag damit leben müssen, dass sie von ihrem eigenen Land gegängelt, bevormundet und nicht geduldet werden als Muslime, die ihren Glauben praktizieren wollen. Der Autor schreibt:
    "Die Franzosen hüllen sich in den Schein der Republik, der Gleichheit und des Laizismus, dieses unselige Wort, das für einen Teil der Bevölkerung heute Zwang bedeutet und eine mumifizierte ideologische Zwangsjacke geworden ist. Währenddessen wächst trotz allem ein muslimisches Frankreich heran, das lebendig und gedemütigt zugleich ist."
    Claude Askolovitch steht in der aktuellen französischen Islamdebatte und in einem Klima, in dem 75 Prozent der Franzosen ein negatives Bild vom Islam haben, mit seinem Buch relativ allein da. Die Leitartikler fast aller großen Wochenzeitungen haben ihn heftig kritisiert, ihm unter anderem vorgeworfen, er würde der Nationalen Front unter die Arme greifen und Verrat am Prinzip des Laizismus begehen. Der Philosoph Alain Finkielkraut, der seit Jahren vor dem Islam warnt, zuletzt aber offen kritisiert wurde, ins reaktionäre Lager abgeglitten zu sein mit seinem Buch "Die unglückliche Identität", wirft Askolovitch Blauäugigkeit vor:
    "Frankreich, das ist die Nation, ein tagtägliches Plebiszit seiner Bürger und eine reichhaltige Überlieferung von Erinnerungen. Man will in Gemeinschaft leben, um etwas fortzuführen. Alle aufeinanderfolgenden Generationen von Migranten haben Frankreich bisher so akzeptiert. Früher hätte nie ein Einwanderer den Satz aussprechen können, den jetzt ein Verantwortlicher einer Organisation gegen Islamfeindlichkeit gesagt hat, nämlich: Niemand hat das Recht, für uns zu definieren, was die französische Identität ist. Dieser Satz hat etwas Unfassbares und heißt letztlich, Frankreich muss heute auf Assimilation oder Integration verzichten. Das wäre ganz klar eine Wende."
    Claude Askolovitchs Buch hat auch eine sehr persönliche Note, die eine Art kulturelle Verbundenheit zu den "Cousins", wie er die Muslime nennt, spüren lässt, etwa mit Erinnerungen an seine Eltern, die vor 40 Jahren für den Bau der Synagoge in Narbonne Geld sammelten, wie es heute Muslime in Frankreichs Vorstädten für den Bau ihrer Moscheen tun. Nur, dass die Eltern damals nicht misstrauisch beäugt wurden, ebenso, wie heute auch die orthodoxesten Talmud-Schulen in Frankreich mit Betriebsgenehmigungen keinerlei Probleme haben, ganz im Gegensatz zu Koranschulen.
    "Diese ganze Diskussion um Identität, Laizismus und die Republik – zu sagen: Französisch sein, das ist so und nicht anders - war ja anfangs voller guter Absichten. Aber mit dem Laizismus, dessen Charakter sich verändert hat, ärgern wir heute systematisch die muslimischen Mitbürger, die Republikaner sein wollen, sozial integriert sein und arbeiten wollen, ohne aber das verleugnen zu müssen, was sie in ihrem Innersten sind. Seit 25 Jahren, seit der ersten Affäre um das Kopftuch, ist Frankreich auf diesem Identitätstrip. Und seit 25 Jahren wird in diesem Zusammenhang jeder kleine Vorfall hochgespielt, generalisiert und problematisiert, als ob es der Anfang vom Ende der Republik wäre."
    "Die Ungeliebten" liest sich auch wie ein Appell an ein verängstigtes Land, das seiner Vergangenheit nachweint und sich immer stärker auf sich selbst zurückzieht, doch endlich einmal in den Spiegel zu schauen und wahrzunehmen, wie sich die französische Gesellschaft verändert hat – und einzusehen, dass Frankreich heute eben auch muslimisch ist, und zwar unwiderruflich