Als die dänische Tageszeitung Jyllands-Posten am 30. September 2005 zwölf Karikaturen des Propheten Mohammed abdruckt, ahnen die verantwortlichen Redakteure, dass Ungemach kommen wird. Im Grunde aber bleibt es dann doch überraschend ruhig: Muslimische Bürger fühlen sich verletzt, hier und da kommt es zu Protesten, andere Tageszeitungen verurteilen das Vorgehen von Jyllands-Posten. Schon bald aber zieht die mediale Karawane weiter – auch weil neue Themen und Auseinadersetzungen die integrationspolitische Debatte besetzen.
Vier Monate später aber sind die Karikaturen auf der Tagesordnung zurück – und dieses Mal nimmt die ganze Welt Notiz. In den Tagen des Zorns, wie die massiven Proteste im Nahen Osten getauft werden, durchlebt Dänemark die größte außenpolitische Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.
"Es ist nicht so, wie viele Leute heute denken, dass die muslimischen Proteste spontan entstanden, als die Menschen mit den Karikaturen konfrontiert wurden. Viele Leute, die an den gewaltsamen Demonstrationen teilnahmen, hatten die Karikaturen nicht einmal gesehen."
Wie konnte es soweit kommen? Wie konnte aus der Veröffentlichung einer Zeitung aus der dänischen Provinz mit viermonatiger Verspätung ein arabischer Flächenbrand, ja eine weltweite Krise werden? Natürlich ist die Antwort, die Jytte Klausen auf diese Frage gibt, alles andere als eindimensional. In der Zeit von der Veröffentlichung bis zu den Protesten im Nahen Osten gibt es viele Akteure, die die Karikaturen für eigene Zwecke instrumentalisieren: Dänische Imame reisen in den Nahen Osten und machen Stimmung gegen die dänische Regierung; Botschafter islamischer Staaten, darunter die Türkei, setzen den dänischen Ministerpräsidenten und heutigen NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen unter Druck, was dieser – wiederum aus innenpolitischen Rücksichten – geflissentlich ignoriert. Das alles gehört zum Verlauf des Karikaturenstreits dazu. Wesentlicher aber, so Klausen, ist etwas anderes:
"Die ägyptische Regierung verfolgte eigene Interessen und schmiedete internationale Allianzen. Ein Teenager, der fühlt, dass ein Freund ihn nicht mehr wertschätzt, mag kurzfristig vorgeben, der beste Freund des größten Feindes dieses Freundes zu sein. In dieser Art und Weise erinnerte Ägypten die USA und die Europäer daran, welche Risiken eine Veränderung beinhalten würde."
Mit Veränderung bezieht sich Klausen auf das Gebot der Demokratisierung des Nahen Ostens, das zu diesem Zeitpunkt vor allem vom amerikanischen Präsidenten George Bush vertreten wird. Gerade an Ägypten, wo im November 2005 Parlamentswahlen stattfinden, soll ein Exempel statuiert werden. In einer außenpolitischen Grundsatzrede hatte US-Präsident Bush zuvor geäußert:
"Die große und stolze Nation Ägyptens hat den Weg zum Frieden im Nahen Osten vorgegeben. Jetzt sollte es auch den Weg zur Demokratie im Nahen Osten aufzeigen. Ihre Anhänger im Nahen Osten wissen, dass die Demokratie nicht perfekt ist, sie ist nicht der Weg nach Utopia. Aber die Demokratie ist der einzige Weg zu nationalem Erfolg und Würde."
Kurzum, der politische Druck auf Hosni Mubarak wie überhaupt die nahöstlichen Regime wurde größer. Und just in dieser Situation, so Jytte Klausen, kommen die Karikaturen wie gerufen. Mit ihrer Hilfe lassen sich die Massen mobilisieren. Die Machthaber können gegenüber dem Westen demonstrieren, was passieren würde, wenn es sie nicht gäbe, um derlei Aufruhr einzudämmen. Wie es eine ranghohe Vertreterin des ägyptischen Außenministeriums in Klausens Buch formuliert, sollte mithilfe des kleinen, für die Region unbedeutenden Dänemark ein Exempel statuiert werden:
98 Prozent der Ägypter hassen die USA. Ab und an können wir gegen den Willen der Menschen regieren, aber nicht immer. Natürlich würden wir eine solche Mobilisierung niemals den USA direkt antun. Wir sind Verbündete. Aber wer, bitte schön, ist Dänemark?
Gesagt, getan. Das von Jyllands-Posten erwartete Ungemach bricht herein, wenn auch verspätet und aus einer ganz anderen Richtung. Die Arabische Liga, wie die Organisation der Islamischen Konferenz, werden aktiviert. Ein Handelsboykott dänischer Produkte wird beschlossen. Staatliche Medien dürfen die Karikaturen ebenso thematisieren wie die Geistlichen in ihren Freitagsgebeten. Was am Ende aussieht, wie der spontane Protest der Massen, ist in Wirklichkeit ein doppeltes Spiel und staatlich gesteuert. Dänemark nur Mittel zu einem ganz anderen Zweck, nämlich den Westen von seinem Flirt mit der Demokratie im Nahen Osten abzubringen und an den Wert der dortigen, zwar autoritären, dafür verlässlichen Partner zu erinnern. Nein, keine Geschichte aus tausendundeiner Nacht. Sondern das Ergebnis von Jytte Klausens wohldokumentierter Studie, die jedoch einem Märchen in Sachen Spannung in nichts nachsteht.
Jytte Klausen: "The Cartoons that shook the world". Yale University Press, 240 Seiten, ca. 25 Euro. ISBN: 978-0-300-12472-9
Vier Monate später aber sind die Karikaturen auf der Tagesordnung zurück – und dieses Mal nimmt die ganze Welt Notiz. In den Tagen des Zorns, wie die massiven Proteste im Nahen Osten getauft werden, durchlebt Dänemark die größte außenpolitische Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.
"Es ist nicht so, wie viele Leute heute denken, dass die muslimischen Proteste spontan entstanden, als die Menschen mit den Karikaturen konfrontiert wurden. Viele Leute, die an den gewaltsamen Demonstrationen teilnahmen, hatten die Karikaturen nicht einmal gesehen."
Wie konnte es soweit kommen? Wie konnte aus der Veröffentlichung einer Zeitung aus der dänischen Provinz mit viermonatiger Verspätung ein arabischer Flächenbrand, ja eine weltweite Krise werden? Natürlich ist die Antwort, die Jytte Klausen auf diese Frage gibt, alles andere als eindimensional. In der Zeit von der Veröffentlichung bis zu den Protesten im Nahen Osten gibt es viele Akteure, die die Karikaturen für eigene Zwecke instrumentalisieren: Dänische Imame reisen in den Nahen Osten und machen Stimmung gegen die dänische Regierung; Botschafter islamischer Staaten, darunter die Türkei, setzen den dänischen Ministerpräsidenten und heutigen NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen unter Druck, was dieser – wiederum aus innenpolitischen Rücksichten – geflissentlich ignoriert. Das alles gehört zum Verlauf des Karikaturenstreits dazu. Wesentlicher aber, so Klausen, ist etwas anderes:
"Die ägyptische Regierung verfolgte eigene Interessen und schmiedete internationale Allianzen. Ein Teenager, der fühlt, dass ein Freund ihn nicht mehr wertschätzt, mag kurzfristig vorgeben, der beste Freund des größten Feindes dieses Freundes zu sein. In dieser Art und Weise erinnerte Ägypten die USA und die Europäer daran, welche Risiken eine Veränderung beinhalten würde."
Mit Veränderung bezieht sich Klausen auf das Gebot der Demokratisierung des Nahen Ostens, das zu diesem Zeitpunkt vor allem vom amerikanischen Präsidenten George Bush vertreten wird. Gerade an Ägypten, wo im November 2005 Parlamentswahlen stattfinden, soll ein Exempel statuiert werden. In einer außenpolitischen Grundsatzrede hatte US-Präsident Bush zuvor geäußert:
"Die große und stolze Nation Ägyptens hat den Weg zum Frieden im Nahen Osten vorgegeben. Jetzt sollte es auch den Weg zur Demokratie im Nahen Osten aufzeigen. Ihre Anhänger im Nahen Osten wissen, dass die Demokratie nicht perfekt ist, sie ist nicht der Weg nach Utopia. Aber die Demokratie ist der einzige Weg zu nationalem Erfolg und Würde."
Kurzum, der politische Druck auf Hosni Mubarak wie überhaupt die nahöstlichen Regime wurde größer. Und just in dieser Situation, so Jytte Klausen, kommen die Karikaturen wie gerufen. Mit ihrer Hilfe lassen sich die Massen mobilisieren. Die Machthaber können gegenüber dem Westen demonstrieren, was passieren würde, wenn es sie nicht gäbe, um derlei Aufruhr einzudämmen. Wie es eine ranghohe Vertreterin des ägyptischen Außenministeriums in Klausens Buch formuliert, sollte mithilfe des kleinen, für die Region unbedeutenden Dänemark ein Exempel statuiert werden:
98 Prozent der Ägypter hassen die USA. Ab und an können wir gegen den Willen der Menschen regieren, aber nicht immer. Natürlich würden wir eine solche Mobilisierung niemals den USA direkt antun. Wir sind Verbündete. Aber wer, bitte schön, ist Dänemark?
Gesagt, getan. Das von Jyllands-Posten erwartete Ungemach bricht herein, wenn auch verspätet und aus einer ganz anderen Richtung. Die Arabische Liga, wie die Organisation der Islamischen Konferenz, werden aktiviert. Ein Handelsboykott dänischer Produkte wird beschlossen. Staatliche Medien dürfen die Karikaturen ebenso thematisieren wie die Geistlichen in ihren Freitagsgebeten. Was am Ende aussieht, wie der spontane Protest der Massen, ist in Wirklichkeit ein doppeltes Spiel und staatlich gesteuert. Dänemark nur Mittel zu einem ganz anderen Zweck, nämlich den Westen von seinem Flirt mit der Demokratie im Nahen Osten abzubringen und an den Wert der dortigen, zwar autoritären, dafür verlässlichen Partner zu erinnern. Nein, keine Geschichte aus tausendundeiner Nacht. Sondern das Ergebnis von Jytte Klausens wohldokumentierter Studie, die jedoch einem Märchen in Sachen Spannung in nichts nachsteht.
Jytte Klausen: "The Cartoons that shook the world". Yale University Press, 240 Seiten, ca. 25 Euro. ISBN: 978-0-300-12472-9