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Kursiv: Kinder der Schande

Ihre Väter waren deutsche Wehrmachtssoldaten, ihre Mütter Französinnen. Sie selbst nennen sich "Kriegskinder". Und für den französischen Historiker Fabrice Virgili sind sie die letzten Opfer des Zweiten Weltkriegs. Aufgewachsen in Frankreich, aber unter dem Eindruck, nicht erwünscht, schlimmer noch, ein Kind der Schande zu sein.

Von Suzanne Krause |
    Februar 2009: Fabrice Virgilis Buch "Naître ennemi" wird gerade gedruckt, als die Bundesregierung den selbsternannten "Kriegskindern" in Frankreich die deutsche Staatsangehörigkeit anbietet. Ein symbolischer Schadensersatz für die mindestens 200.000 Menschen, die im Zweiten Weltkrieg westlich des Rheins geboren wurden, mit einer französischen Mutter und einem Wehrmachtssoldaten als Vater. Um Rehabilitierung geht es auch dem Historiker Fabrice Virgili in "Naître ennemi", "Als Feind geboren". Viele "Kriegskinder", heute allesamt im Rentenalter, leiden ihr ganzes bisheriges Leben unter dem Eindruck, ein sogenanntes "Kind der Schande" zu sein. Virgili hält dagegen: häufig war es einfach so, dass aus Erbfeinden Liebende wurden, allem vorgeschriebenen Patriotismus zum Trotz.

    "Mein Werk setzt an bei den Vorurteilen, die Deutsche und Franzosen, Männer und Frauen im Kopf haben. Natürlich alles Stereotype. Bei den einrückenden deutschen Soldaten gilt die Pariserin als verführerisch, geschminkt, leichtlebig. Die Französinnen sehen die deutschen Soldaten als die Sieger, während die eigenen Landsmänner den Krieg verloren haben. Ein typischer Deutscher ist für sie groß, schön, blond, mit blauen Augen."

    Den rund zwei Millionen Franzosen, die als Kriegsgefangene oder im Arbeitsdienst ins deutsche Reich kommen, eilt der Ruf als Verführer und talentierte Liebhaber voraus. Ihnen selbst erscheint es so, als ob man im Feindesland wesentlich freizügiger mit Sexualität umgehe als in der Heimat. Virgili zitiert aus privaten Briefen und Gesprächen mit Zeitzeugen ebenso wie aus behördlichen Verordnungen. Auch einem Leser ohne Vorbildung vermittelt sich ein sehr plastisches Bild der alltäglichen Beziehungen zwischen Männern und Frauen an den beiden Heimatfronten. In Deutschland und in Frankreich. Mögen auch die Regierungen in Berlin und in Vichy ihren Bürgern ein striktes Fraternisierungsverbot verordnen: Im tagtäglichen Leben ist dies kaum umsetzbar. Weder in Deutschland noch in Frankreich:

    In zahlreichen Privatwohnungen im besetzten Teil Frankreichs wurden Zimmer beschlagnahmt, um deutsche Soldaten unterzubringen. Wie groß war die Zahl derjenigen, die auf einem Bauernhof einzogen, in einem Haus, einer Wohnung, in der schon eine französische Familie lebte? Wir wissen es nicht, aber diese sehr eigene Unterbringungsweise wird zum Sinnbild der Besatzung. Kaum irgendwo anders wird die Anwesenheit des Feindes stärker spürbar als im eigenen Badezimmer.

    Das Nazi-Regime wie auch die Vichy-Regierung bemühen sich, die Folgen der "Kollaboration auf Gefühlsebene" einzugrenzen. Marschall Pétain erlässt beispielsweise neue Regeln für anonyme Entbindungen: um den vermeintlichen "Fehltritt" einer Französin mit einem Besatzer zu kaschieren. Die Nazis wiederum versuchen, der Kinder habhaft zu werden, die Wehrmachtssoldaten im Ausland gezeugt haben. Allerdings ohne Erfolg.

    "In Deutschland und in Frankreich wird die Frage der Verantwortung von Vater Staat, die Treue der Soldatenfrauen zu überwachen, ähnlich gehandhabt. Da die Männer im Krieg sind, muss der Staat das männliche Familienoberhaupt ersetzen. Das wird ausdrücklich erbeten, sei es von den Generalstäben, von den Soldaten oder auch von Seiten der Kriegsgefangenen. Es gibt Briefe, in denen französische Gefangenen die Vichy-Behörden bitten, die Ehefrau zuhause zu überwachen."

    Mit dem Bemühen um Schadensbegrenzung sind die Behörden eher überfordert, zeigt Virgili auf. Am härtesten gehen die Nachbarn, die eigene Familie mit den sogenannten "Vaterlandsverräterinnen" um. Zu Lasten von deren Sprösslingen, die ihre Abstammung ein Leben lang schamvoll verschweigen. Fabrice Virgilis wissenschaftliche Arbeit hat dabei geholfen, das Tabu zu brechen. Schon 2002 wirkt er an einer Fernsehdokumentation mit, in der französische Kinder der Wehrmachtssoldaten erstmals zu Wort kommen. Daraufhin brechen zahllose Schicksalsgenossen ihr Schweigen und der gesellschaftliche Blick auf die ehemaligen "Kinder der Schande" wandelt sich. Virgilis jetzt erschienenes Buch "Naître ennemi" geht noch einen Schritt weiter: Es dokumentiert erstmals sehr lebendig und umfassend den historisch-politischen Kontext der Geschichte der "Kriegskinder". Und zwar auf beiden Rheinseiten. Auf 376 Seiten wird ein verdrängtes Kapitel Alltagsgeschichte in den deutsch-französischen Beziehungen sichtbar.

    Manche "Kriegskinder" denken heute, dass es auch auf politischer Ebene eine Wiedergutmachung brauche, dass beide Staaten, Deutschland und Frankreich, eine Geste machen sollten. Diese Wiedergutmachung würde allen das schenken, was mancher von einem Vater, den er nie wiederfand oder von einer Mutter, die keine Trostworte hatte, nicht erhielt.

    Die Bundesregierung hat diesen Wunsch vor wenigen Wochen erfüllt.

    Suzanne Krause über das Buch "Als Feind geboren - die Kinder der deutsch-französischen Paare, die im 2. Weltkrieg zur Welt kamen" von Fabrice Virgili. Erschienen im Ed Payot Verlag, es kostet 25 Euro.