Die verwerfliche Rolle des Rechtsprofessors Carl Schmitt im NS-Staat, wo er als "Kronjurist der Nazis" den totalitären Führerstaat und die Säuberung des deutschen Rechts vom "jüdischen Geist" legitimiert hatte, machte eine adäquate Beschäftigung mit seinem wissenschaftlichen Werk lange unmöglich. Carl Schmitt war in der intellektuellen Welt der Bundesrepublik ein Tabu. Anlässlich seines Todes 1985 kommentierte der Politologe Kurt Sontheimer:
Wem die liberale, das heißt, die freiheitliche Demokratie am Herzen liegt, der braucht Carl Schmitt nicht.
Diese Pauschalablehnung ist mittlerweile vielfach einer differenzierteren Einstellung gewichen. Mit dem zeitweiligen Nationalsozialisten Carl Schmitt wird nicht zugleich schon sein ganzes wissenschaftliches Werk zurückgewiesen. Einige politische Theoretiker wie Hannah Arendt oder Jürgen Habermas hatten eine differenzierende Beurteilung von Person und Werk Carl Schmitts schon vor langer Zeit vorgenommen und seine wissenschaftlichen Arbeiten entsprechend rezipiert - nicht zuletzt seine grundlegende Schrift über den "Begriff des Politischen". In dem schmalen Band, erstmals 1927 erschienen, entwickelt Carl Schmitt seine zentrale These, wonach der Freund-Feind-Gegensatz das entscheidende Charakteristikum des Politischen sei:
Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Sie gibt eine Begriffsbestimmung im Sinne eines Kriteriums, nicht als erschöpfende Definition oder Inhaltsangabe.
Mit dem Freund-Feind-Kriterium setzt sich Carl Schmitt von älteren Definitionen ab, die das Politische weitgehend mit dem Staatlichen gleichsetzen, was laut Schmitt für die moderne Welt überholt ist. Dass er den Feindbegriff in seiner Schrift unzureichend ausgeführt hat, konzidiert Schmitt im Vorwort zur Neuausgabe von 1963, vor allem fehle noch eine Unterscheidung der verschiedenen Arten des politischen Feindes. Schmitt hat das dann in anderen Veröffentlichungen nachgeholt, etwa in der "Theorie des Partisanen". Aber auch schon in seiner Schrift zum "Begriff des Politischen" schreibt er:
Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch hässlich zu sein. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes ist.
Der politische Feind ist mehr als nur Gegner, er ist "der zu Hassende", wie Carl Schmitt das Wort "Feind" etymologisch herleitet. Der politische Feind ist nicht der private, persönliche Feind, inimicus, sondern der öffentliche Feind, hostis.
Je glaubens- und wertemäßig fanatischer eine politische Feindschaft angelegt ist, umso radikaler und unversöhnlicher wird sie ausgetragen, unter Umständen in einem "totalen Krieg", wie Schmitt sagt, der keine Versöhnung und keinen Friedensschluss mehr kennt, sondern nur die Demütigung oder Vernichtung des Feindes. Am Ende des Ersten Weltkriegs empfanden viele Deutsche das sogenannte "Diktat von Versailles" so. Schmitt schreibt dazu in einem Aufsatz von 1938 als Anhang zum "Begriff des Politischen":
Die Beendigung eines solchen Krieges war notwendigerweise (...) kein 'Friedensvertrag' im völkerrechtlichen Sinne, sondern ein Verdammungsurteil der Sieger über den Besiegten.
Mit solch starken Worten wollte Carl Schmitt im Krisenjahr 1938 gewiss nicht nur analysieren, sondern auch polarisieren, er wollte mit Blick auf Versailles den Feind benennen. An solchen Stellen zeigt sich der scharfsinnige wissenschaftliche Analytiker Carl Schmitt eben auch als chauvinistischer Scharfmacher im Dienst seiner nationalsozialistischen Herren.
Und dennoch: Wer Carl Schmitt mit kritischem Unterscheidungsvermögen liest, dem eröffnen seine Schriften, besonders sein methodischer Freund-Feind-Ansatz, einen wesentlichen Zugang zum Verständnis politischer Bewegkräfte, Revolutionen und Kriege – auch wenn das ziemlich ernüchternd ist.
Carl Schmitt: "Der Begriff des Politischen". Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1991. 124 Seiten. 14,00 Euro
Wem die liberale, das heißt, die freiheitliche Demokratie am Herzen liegt, der braucht Carl Schmitt nicht.
Diese Pauschalablehnung ist mittlerweile vielfach einer differenzierteren Einstellung gewichen. Mit dem zeitweiligen Nationalsozialisten Carl Schmitt wird nicht zugleich schon sein ganzes wissenschaftliches Werk zurückgewiesen. Einige politische Theoretiker wie Hannah Arendt oder Jürgen Habermas hatten eine differenzierende Beurteilung von Person und Werk Carl Schmitts schon vor langer Zeit vorgenommen und seine wissenschaftlichen Arbeiten entsprechend rezipiert - nicht zuletzt seine grundlegende Schrift über den "Begriff des Politischen". In dem schmalen Band, erstmals 1927 erschienen, entwickelt Carl Schmitt seine zentrale These, wonach der Freund-Feind-Gegensatz das entscheidende Charakteristikum des Politischen sei:
Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Sie gibt eine Begriffsbestimmung im Sinne eines Kriteriums, nicht als erschöpfende Definition oder Inhaltsangabe.
Mit dem Freund-Feind-Kriterium setzt sich Carl Schmitt von älteren Definitionen ab, die das Politische weitgehend mit dem Staatlichen gleichsetzen, was laut Schmitt für die moderne Welt überholt ist. Dass er den Feindbegriff in seiner Schrift unzureichend ausgeführt hat, konzidiert Schmitt im Vorwort zur Neuausgabe von 1963, vor allem fehle noch eine Unterscheidung der verschiedenen Arten des politischen Feindes. Schmitt hat das dann in anderen Veröffentlichungen nachgeholt, etwa in der "Theorie des Partisanen". Aber auch schon in seiner Schrift zum "Begriff des Politischen" schreibt er:
Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch hässlich zu sein. Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, dass er in einem besonders intensiven Sinne existentiell etwas anderes und Fremdes ist.
Der politische Feind ist mehr als nur Gegner, er ist "der zu Hassende", wie Carl Schmitt das Wort "Feind" etymologisch herleitet. Der politische Feind ist nicht der private, persönliche Feind, inimicus, sondern der öffentliche Feind, hostis.
Je glaubens- und wertemäßig fanatischer eine politische Feindschaft angelegt ist, umso radikaler und unversöhnlicher wird sie ausgetragen, unter Umständen in einem "totalen Krieg", wie Schmitt sagt, der keine Versöhnung und keinen Friedensschluss mehr kennt, sondern nur die Demütigung oder Vernichtung des Feindes. Am Ende des Ersten Weltkriegs empfanden viele Deutsche das sogenannte "Diktat von Versailles" so. Schmitt schreibt dazu in einem Aufsatz von 1938 als Anhang zum "Begriff des Politischen":
Die Beendigung eines solchen Krieges war notwendigerweise (...) kein 'Friedensvertrag' im völkerrechtlichen Sinne, sondern ein Verdammungsurteil der Sieger über den Besiegten.
Mit solch starken Worten wollte Carl Schmitt im Krisenjahr 1938 gewiss nicht nur analysieren, sondern auch polarisieren, er wollte mit Blick auf Versailles den Feind benennen. An solchen Stellen zeigt sich der scharfsinnige wissenschaftliche Analytiker Carl Schmitt eben auch als chauvinistischer Scharfmacher im Dienst seiner nationalsozialistischen Herren.
Und dennoch: Wer Carl Schmitt mit kritischem Unterscheidungsvermögen liest, dem eröffnen seine Schriften, besonders sein methodischer Freund-Feind-Ansatz, einen wesentlichen Zugang zum Verständnis politischer Bewegkräfte, Revolutionen und Kriege – auch wenn das ziemlich ernüchternd ist.
Carl Schmitt: "Der Begriff des Politischen". Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1991. 124 Seiten. 14,00 Euro