Gestern Abend fand der jähe Absturz des linken Hessen-Projektes sein einstweiliges Ende. Seitdem läuft die Legendenbildung auf Hochtouren.
Und zu einer Legende gehört bekanntlich viererlei: Erstens: eine verblasene Mission, zweitens eine knirschende historische Parallele, drittens die Elegie von der verpassten Chance sowie viertens eine möglichst hochkonspirativ unterfütterte Sündenbocktheorie:
Letztere liefert uns Jutta Roitsch in den "Blättern für deutsche und internationale Politik". Voilà:
Wolfgang Clements klarer Aufruf im Namen der Energieindustrie gegen die Wahl Ypsilantis war der Versuch eines einflussreichen, konservativen Mediums - gemeint ist die "Welt am Sonntag"! - die SPD und ihre potenziellen Wählerinnen und Wähler mit einem "Zeugen aus den eigenen Reihen" noch einmal gründlich zu verunsichern. Der Versuch verfing. Vieles spricht dafür, dass er die hessische SPD jene Stimmen kostete, die ihr zum Wahlsieg fehlten.
Trotz des herben Rückschlags für ein linkes Projekt hat die globale Finanzkrise unzweifelhaft eine ideologische Renaissance gefördert.
Torben Lütjen begründet in der Zeitschrift "Universitas", warum ein postuliertes "Ende der Ideologien" schon immer eine schlichte Unmöglichkeit darstellte.
Hinter jeder politischen Handlung und Aussage verbergen sich letztlich Wertprämissen und moralische Urteile. Ohne Ideologien, die den politischen Entscheidungsrahmen setzen, wäre politisches Handeln daher gar nicht möglich.
Francis Fukuyama hatte noch zu Beginn der 90er Jahre mit dem Sieg des liberalen Kapitalismus im Wettstreit der Systeme auch ein "Ende der Geschichte" heraufziehen sehen. Torben Lütjen hält dies im Nachhinein
für ein Paradebeispiel eines historischen Treppenwitzes, der die naive Selbstüberschätzung des Westens nach 1989 illustriert.
Geschichtsphilosophisch zuspitzend, setzt sich auch Slavoj Zizek in "Lettre International" von Fukuyamas "Ende der Geschichte" ab:
Es scheint, als habe die Utopie Fukuyamas aus den 90ern zweimal sterben müssen. Der Zusammenbruch der liberaldemokratischen politischen Utopie am 11. September 2001 betraf nicht die ökonomische Utopie des globalen Marktkapitalismus; wenn die Finanzkrise 2008 eine historische Bedeutung hat, dann als Zeichen für das Ende der ökonomischen Seite von Fukuyamas Utopie.
Während Zizek den furchterregend-komischen Doppelcharakter der Finanzkrise hervorhebt, träufelt ein anderer Philosoph - Peter Sloterdijk - in "Cicero" Hohn und Spott über die "bleichen Unpersonen" der Krise.
Was heute Krise heißt, ist die Weltverschwörung der Spießer. Die vorgeblich heftigste Wirtschaftskrise der jüngeren Geschichte: Sie ist die spießigste und muffigste Angelegenheit, die sich seit Menschengedenken zugetragen hat. Die Art und Weise, wie regierende Hausmeister im Dunkeln Megamilliarden hin- und herschieben, ist eine Beleidigung für jede Intelligenz. Demgegenüber waren der Schwarze Freitag und die Weltwirtschaftskrise nach 1929 ein Shakespeare-Drama.
Die Finanzkrise sei eine Vertrauenskrise, Vertrauen müsse zurückerobert werden, kann man allerorten hören und lesen. Doch wie soll ausgerechnet der Staat wieder Vertrauen herstellen, wenn ihm selbst über Jahre jedes Vertrauen von ökonomischen Experten entzogen wurde. Dieser Frage geht Richard Münch in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" nach:
Der Staat und erst recht die Staatengemeinschaft befinden sich in einer tiefen Vertrauenskrise. Deshalb wird es nicht so einfach sein, mit staatlichen Bürgschaften, verstaatlichten Banken und zwischenstaatlichen Abkommen zur Regulierung des Finanzmarktes nachhaltig Vertrauen in die Zukunft zu erzeugen. Über Wirtschaft und Politik hinaus wird die Zerbrechlichkeit gesellschaftlicher Ordnung offensichtlich und allgegenwärtig."
Derweil mag Ute Frevert das V-Wort nicht mehr hören. Überall treibe der Vertrauensbegriff sein Unwesen, beklagt sie in der Zeitschrift "Merkur". Auch in unserer Verfassung führe er eine semantisch schillernde Existenz. So stellten etwa die "Vertrauensfrage" und das "Misstrauensvotum" hoch emotionale Begriffe dar, die auf persönliche Nahbeziehungen verwiesen.
Was haben sie in einer Verfassung zu suchen,
die das Verhältnis zwischen den politischen Kräften und Institutionen regelt? Nirgendwo sonst tauchen im Grundgesetz oder in der Weimarer Verfassung ähnlich emotionale Begriffe auf.
Wer ungeschminkt um Vertrauen wirbt, weckt eher das Misstrauen der Bürger, konstatiert Ute Frevert und beruft sich dabei auf einen Ausspruch unseres weisen, gerade 90 gewordenen Ex-Kanzlers, mit dem wir unseren heutigen Streifzug beschließen wollen:
Ein Politiker, der sich bemüht, Vertrauen zu schaffen, der ist falsch gewickelt. Wenn er anfängt, sich darum zu bemühen, dann läuft das möglicherweise auf Opportunismus hinaus.
Blätter für deutsche und internationale Politik, 1/09
Universitas, 12/08
Lettre International, Nr. 83
Cicero, 1/09
Merkur, 1/09
Norbert Seitz war das mit seinem allmonatlichen Blick in politische Zeitschriften.
Und zu einer Legende gehört bekanntlich viererlei: Erstens: eine verblasene Mission, zweitens eine knirschende historische Parallele, drittens die Elegie von der verpassten Chance sowie viertens eine möglichst hochkonspirativ unterfütterte Sündenbocktheorie:
Letztere liefert uns Jutta Roitsch in den "Blättern für deutsche und internationale Politik". Voilà:
Wolfgang Clements klarer Aufruf im Namen der Energieindustrie gegen die Wahl Ypsilantis war der Versuch eines einflussreichen, konservativen Mediums - gemeint ist die "Welt am Sonntag"! - die SPD und ihre potenziellen Wählerinnen und Wähler mit einem "Zeugen aus den eigenen Reihen" noch einmal gründlich zu verunsichern. Der Versuch verfing. Vieles spricht dafür, dass er die hessische SPD jene Stimmen kostete, die ihr zum Wahlsieg fehlten.
Trotz des herben Rückschlags für ein linkes Projekt hat die globale Finanzkrise unzweifelhaft eine ideologische Renaissance gefördert.
Torben Lütjen begründet in der Zeitschrift "Universitas", warum ein postuliertes "Ende der Ideologien" schon immer eine schlichte Unmöglichkeit darstellte.
Hinter jeder politischen Handlung und Aussage verbergen sich letztlich Wertprämissen und moralische Urteile. Ohne Ideologien, die den politischen Entscheidungsrahmen setzen, wäre politisches Handeln daher gar nicht möglich.
Francis Fukuyama hatte noch zu Beginn der 90er Jahre mit dem Sieg des liberalen Kapitalismus im Wettstreit der Systeme auch ein "Ende der Geschichte" heraufziehen sehen. Torben Lütjen hält dies im Nachhinein
für ein Paradebeispiel eines historischen Treppenwitzes, der die naive Selbstüberschätzung des Westens nach 1989 illustriert.
Geschichtsphilosophisch zuspitzend, setzt sich auch Slavoj Zizek in "Lettre International" von Fukuyamas "Ende der Geschichte" ab:
Es scheint, als habe die Utopie Fukuyamas aus den 90ern zweimal sterben müssen. Der Zusammenbruch der liberaldemokratischen politischen Utopie am 11. September 2001 betraf nicht die ökonomische Utopie des globalen Marktkapitalismus; wenn die Finanzkrise 2008 eine historische Bedeutung hat, dann als Zeichen für das Ende der ökonomischen Seite von Fukuyamas Utopie.
Während Zizek den furchterregend-komischen Doppelcharakter der Finanzkrise hervorhebt, träufelt ein anderer Philosoph - Peter Sloterdijk - in "Cicero" Hohn und Spott über die "bleichen Unpersonen" der Krise.
Was heute Krise heißt, ist die Weltverschwörung der Spießer. Die vorgeblich heftigste Wirtschaftskrise der jüngeren Geschichte: Sie ist die spießigste und muffigste Angelegenheit, die sich seit Menschengedenken zugetragen hat. Die Art und Weise, wie regierende Hausmeister im Dunkeln Megamilliarden hin- und herschieben, ist eine Beleidigung für jede Intelligenz. Demgegenüber waren der Schwarze Freitag und die Weltwirtschaftskrise nach 1929 ein Shakespeare-Drama.
Die Finanzkrise sei eine Vertrauenskrise, Vertrauen müsse zurückerobert werden, kann man allerorten hören und lesen. Doch wie soll ausgerechnet der Staat wieder Vertrauen herstellen, wenn ihm selbst über Jahre jedes Vertrauen von ökonomischen Experten entzogen wurde. Dieser Frage geht Richard Münch in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" nach:
Der Staat und erst recht die Staatengemeinschaft befinden sich in einer tiefen Vertrauenskrise. Deshalb wird es nicht so einfach sein, mit staatlichen Bürgschaften, verstaatlichten Banken und zwischenstaatlichen Abkommen zur Regulierung des Finanzmarktes nachhaltig Vertrauen in die Zukunft zu erzeugen. Über Wirtschaft und Politik hinaus wird die Zerbrechlichkeit gesellschaftlicher Ordnung offensichtlich und allgegenwärtig."
Derweil mag Ute Frevert das V-Wort nicht mehr hören. Überall treibe der Vertrauensbegriff sein Unwesen, beklagt sie in der Zeitschrift "Merkur". Auch in unserer Verfassung führe er eine semantisch schillernde Existenz. So stellten etwa die "Vertrauensfrage" und das "Misstrauensvotum" hoch emotionale Begriffe dar, die auf persönliche Nahbeziehungen verwiesen.
Was haben sie in einer Verfassung zu suchen,
die das Verhältnis zwischen den politischen Kräften und Institutionen regelt? Nirgendwo sonst tauchen im Grundgesetz oder in der Weimarer Verfassung ähnlich emotionale Begriffe auf.
Wer ungeschminkt um Vertrauen wirbt, weckt eher das Misstrauen der Bürger, konstatiert Ute Frevert und beruft sich dabei auf einen Ausspruch unseres weisen, gerade 90 gewordenen Ex-Kanzlers, mit dem wir unseren heutigen Streifzug beschließen wollen:
Ein Politiker, der sich bemüht, Vertrauen zu schaffen, der ist falsch gewickelt. Wenn er anfängt, sich darum zu bemühen, dann läuft das möglicherweise auf Opportunismus hinaus.
Blätter für deutsche und internationale Politik, 1/09
Universitas, 12/08
Lettre International, Nr. 83
Cicero, 1/09
Merkur, 1/09
Norbert Seitz war das mit seinem allmonatlichen Blick in politische Zeitschriften.