Missionarismus, Fanatismus und "Grandiositätsgefühle" wurden dieser Tage der zweimal vor die Wand gelaufenen hessischen SPD-Vorsitzenden Andrea Ypsilanti attestiert. Die "Ségolène von Rüsselsheim", wie sie in Erinnerung an eine nicht ganz so glanzlos gescheiterte französische Präsidentschaftskandidatin genannt wird, wollte mit einer arithmetischen Tolerierungsmehrheit von nur einer einzigen Stimme die ganze Welt verändern. Mit dem "Debakel von Wiesbaden" wurden aber nicht nur parteiinterne Widersprüche offen gelegt. Die Sozialdemokraten haben zudem ihren Lieblingspartner,die Grünen, verjagt.
In der Zeitschrift "Vorgänge" schreibt Christoph Egle, dass die Ökopartei jenseits eines rechnerisch gar nicht mehr möglichen rot-grünen Bündnisses über eine größere potenzielle Verhandlungsmacht verfügt als die beiden anderen Oppositionsparteien. Also bietet sich für die Grünen eine "Strategie der doppelten Öffnung" an:
Sie könnte generell gegenüber Union und FDP, auf Landesebene aber auch gegenüber der Linkspartei koalitionsbereit sein. Auf diese Weise könnten die Grünen sowohl ihre Chancen auf eine Regierungsbeteiligung maximieren, als auch die innerparteilichen Konflikte und Wahlrisiken einer koalitionspolitischen Neuausrichtung minimieren.
Offenbar ist solches Kaffeesatzlesen eine reizvolle Beschäftigung in einer Zeit, da sich die hiesige Parteienlandschaft auf "niederländische Verhältnisse" zu zu bewegen scheint. Dort hat der Wähler kaum noch Einfluss auf den ausschweifenden Koalitionspoker hinterher.
In der Zeitschrift "Kommune" fragt Willfried Maier, warum die Grünen in einer "Schnittmengen-Koalition" mit der SPD immer schlechter abschneiden würden als in einer "Komplementärkoalition" mit der CDU wie in Hamburg oder in einigen Kommunen. Im Bund jedoch sähe das Standing der Grünen in einer Dreier-Jamaika-Koalition ganz anders aus:
Darin würde die CDU die Stabilitätsdividende kassieren und die Grünen mit der FDP sich um die Richtung der Erneuerung streiten, was keine komfortable Lage ist. Das kann öffentliche Aufmerksamkeit für die eigenen Themen und Meinungen bringen, aber leicht auch als ständige Überspannung der Grünen wahrgenommen werden, die am weitesten vom "Mainstream" einer solchen Koalition entfernt wären.
In der Alternative mit Sozialdemokraten und Linkspartei wäre die Situation für die Grünen allerdings kaum besser. Sie stünden als Mehrheitsbeschaffer im Schatten einer sozialpolitischen Zerreißprobe zwischen den beiden linken Partnern.
Doch zurück zur SPD. Zwischen den "Chaostagen am Schwielowsee" im September und dem "Debakel von Wiesbaden" schätzte Albrecht von Lucke von den "Blättern für deutsche und internationale Politik" die Machtverhältnisse noch wie folgt ein:
Nun hat die Parteirechte wieder das Sagen. Doch daraus ihren Sieg zu schließen, führt in die Irre. Die Dominanz der Parteirechten an der Spitze korrespondiert nämlich keineswegs mit einer Vorherrschaft an der Basis. Hier dominiert nach wie vor ein linkes Bauchgefühl, das gerade dabei war, sich von den Zumutungen der Schröder-Periode zu erholen.
Trotz allen Katzenjammers gilt dies sicher auch noch nach dem hessischen Desaster. Weshalb der zurückgekehrte Vorsitzende Müntefering seinen dortigen Parteifreunden nicht ohne Grund empfahl, jetzt nicht "Kleinholz zu machen".
Eine abschreckende Kostprobe für den innerparteilichen Umgang mit Abweichlern liefert unterdessen die "Neue Gesellschaft". Dort bediente man sich zu Becks Abgang der geschmacklosen Fäkalsprache Herbert Wehners. Von "kommunikativer Inkontinenz" und "Diarrhoe im öffentlichen Raum" ist dort die Rede:
Schlimmer noch:
Die Art, wie ein halbes Dutzend der Führungspersonen der Partei im zweiten Glied die Nominierung des neuen Hoffnungsduos kommentierte, lässt fürchten, dass die Hauptursache des Leids der Partei, das eklatante Schließmuskelsyndrom, anscheinend nicht unter Kontrolle zu bringen ist.
Tiefer kann man intellektuell wohl kaum sinken.
Halten wir uns also abschließend lieber an Ralf Dahrendorf und seinen gesellschaftspolitischen Essay in der Zeitschrift "Universitas". Er entwickelt darin Leitlinien einer fortwährenden "reichen, freien und guten Gesellschaft" - und rät zu einem neuen Gleichgewicht von Eigenleistung und Gemeinverpflichtung, einer stärkeren Verbindung von Wirtschaft und Kommune, einer Ausdehnung des freiwilligen Sektors neben Staat und Wirtschaft sowie einer Vermeidung von weiterem sozialen Ausschluss.
Kritiker, die dabei wieder nur neoliberales Gras wachsen hören, warnt der soziologische Nestor vor einem "neuen Autoritarismus":
Manche sind bereit, politische Freiheiten zu opfern, um wirtschaftliche und soziale Ziele zu erreichen. Es breitet sich sogar der Glaube aus, dass nur die Einschränkung der Freiheit Veränderung möglich macht. Die Aufgabe heißt:
Die Blockierung des Wandels aufzulösen, ohne Willkür an ihre Stelle zu setzen, im globalen Markt zu bestehen ohne allen sozialen Zusammenhang zu zerstören.
Zitierte Zeitschriften:
- Vorgänge, Heft 183;
- Kommune, 5/2008;
- Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/08;
- Neue Gesellschaft, Oktober 2008;
- Universitas, Oktober 2008:
In der Zeitschrift "Vorgänge" schreibt Christoph Egle, dass die Ökopartei jenseits eines rechnerisch gar nicht mehr möglichen rot-grünen Bündnisses über eine größere potenzielle Verhandlungsmacht verfügt als die beiden anderen Oppositionsparteien. Also bietet sich für die Grünen eine "Strategie der doppelten Öffnung" an:
Sie könnte generell gegenüber Union und FDP, auf Landesebene aber auch gegenüber der Linkspartei koalitionsbereit sein. Auf diese Weise könnten die Grünen sowohl ihre Chancen auf eine Regierungsbeteiligung maximieren, als auch die innerparteilichen Konflikte und Wahlrisiken einer koalitionspolitischen Neuausrichtung minimieren.
Offenbar ist solches Kaffeesatzlesen eine reizvolle Beschäftigung in einer Zeit, da sich die hiesige Parteienlandschaft auf "niederländische Verhältnisse" zu zu bewegen scheint. Dort hat der Wähler kaum noch Einfluss auf den ausschweifenden Koalitionspoker hinterher.
In der Zeitschrift "Kommune" fragt Willfried Maier, warum die Grünen in einer "Schnittmengen-Koalition" mit der SPD immer schlechter abschneiden würden als in einer "Komplementärkoalition" mit der CDU wie in Hamburg oder in einigen Kommunen. Im Bund jedoch sähe das Standing der Grünen in einer Dreier-Jamaika-Koalition ganz anders aus:
Darin würde die CDU die Stabilitätsdividende kassieren und die Grünen mit der FDP sich um die Richtung der Erneuerung streiten, was keine komfortable Lage ist. Das kann öffentliche Aufmerksamkeit für die eigenen Themen und Meinungen bringen, aber leicht auch als ständige Überspannung der Grünen wahrgenommen werden, die am weitesten vom "Mainstream" einer solchen Koalition entfernt wären.
In der Alternative mit Sozialdemokraten und Linkspartei wäre die Situation für die Grünen allerdings kaum besser. Sie stünden als Mehrheitsbeschaffer im Schatten einer sozialpolitischen Zerreißprobe zwischen den beiden linken Partnern.
Doch zurück zur SPD. Zwischen den "Chaostagen am Schwielowsee" im September und dem "Debakel von Wiesbaden" schätzte Albrecht von Lucke von den "Blättern für deutsche und internationale Politik" die Machtverhältnisse noch wie folgt ein:
Nun hat die Parteirechte wieder das Sagen. Doch daraus ihren Sieg zu schließen, führt in die Irre. Die Dominanz der Parteirechten an der Spitze korrespondiert nämlich keineswegs mit einer Vorherrschaft an der Basis. Hier dominiert nach wie vor ein linkes Bauchgefühl, das gerade dabei war, sich von den Zumutungen der Schröder-Periode zu erholen.
Trotz allen Katzenjammers gilt dies sicher auch noch nach dem hessischen Desaster. Weshalb der zurückgekehrte Vorsitzende Müntefering seinen dortigen Parteifreunden nicht ohne Grund empfahl, jetzt nicht "Kleinholz zu machen".
Eine abschreckende Kostprobe für den innerparteilichen Umgang mit Abweichlern liefert unterdessen die "Neue Gesellschaft". Dort bediente man sich zu Becks Abgang der geschmacklosen Fäkalsprache Herbert Wehners. Von "kommunikativer Inkontinenz" und "Diarrhoe im öffentlichen Raum" ist dort die Rede:
Schlimmer noch:
Die Art, wie ein halbes Dutzend der Führungspersonen der Partei im zweiten Glied die Nominierung des neuen Hoffnungsduos kommentierte, lässt fürchten, dass die Hauptursache des Leids der Partei, das eklatante Schließmuskelsyndrom, anscheinend nicht unter Kontrolle zu bringen ist.
Tiefer kann man intellektuell wohl kaum sinken.
Halten wir uns also abschließend lieber an Ralf Dahrendorf und seinen gesellschaftspolitischen Essay in der Zeitschrift "Universitas". Er entwickelt darin Leitlinien einer fortwährenden "reichen, freien und guten Gesellschaft" - und rät zu einem neuen Gleichgewicht von Eigenleistung und Gemeinverpflichtung, einer stärkeren Verbindung von Wirtschaft und Kommune, einer Ausdehnung des freiwilligen Sektors neben Staat und Wirtschaft sowie einer Vermeidung von weiterem sozialen Ausschluss.
Kritiker, die dabei wieder nur neoliberales Gras wachsen hören, warnt der soziologische Nestor vor einem "neuen Autoritarismus":
Manche sind bereit, politische Freiheiten zu opfern, um wirtschaftliche und soziale Ziele zu erreichen. Es breitet sich sogar der Glaube aus, dass nur die Einschränkung der Freiheit Veränderung möglich macht. Die Aufgabe heißt:
Die Blockierung des Wandels aufzulösen, ohne Willkür an ihre Stelle zu setzen, im globalen Markt zu bestehen ohne allen sozialen Zusammenhang zu zerstören.
Zitierte Zeitschriften:
- Vorgänge, Heft 183;
- Kommune, 5/2008;
- Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/08;
- Neue Gesellschaft, Oktober 2008;
- Universitas, Oktober 2008: