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Kursiv: Zum 90. Geburtstag der Alpenrepublik

Die Republik Österreich feiert ihren 90. Geburtstag mit einer Ausstellung. Bis zum 11. April werden dort die Gründungsjahre der Republik, der Austrofaschismus, die Waldheim-Affäre und der EU-Beitritt beleuchtet. Stefan Karner und Lorenz Mikoletzky haben zur Ausstellung einen Sammelband herausgegeben, der weit über das hinausgeht, was ein normaler Katalog bieten kann.

Von Mariele Schulze-Bernd |
    Österreichs Umgang mit der eigenen Geschichte ist bis heute von der Suche nach dem Selbst, nach der eigenen Identität geprägt. Vermutlich findet die Alpenrepublik deshalb so schwer
    einen Konsens über die Vergangenheit. Im Band von Karner und Mikoletzky werden auch bisher weitgehend totgeschwiegene Aspekte der österreichischen Geschichte ungeschminkt dargestellt. Denn die Autoren der 54 zum großen Teil sehr ausführlichen Beiträge bilden ein breites Spektrum der österreichischen Geschichtswissenschaft ab. Gegen die wissenschaftliche Substanz dieser Beiträge fallen einige eher feuilletonistische Beschreibungen, beispielsweise der Medienlandschaft deutlich ab. Bedauerlich ist das Fehlen eines Registers, das den schnellen Zugriff auf Einzelheiten möglich machte.

    Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf der Gründungsphase der Republik, der Konstituierung der Länder und der Darstellung der Minderheitenprobleme und Religionsgemeinschaften. Am 12. November 1918, dem Tag nach der Abdankung Kaiser Karls, wurde auf der Rampe des Parlamentes feierlich die Republik ausgerufen. Der Hauch des revolutionären Überschwanges liegt über diesem Datum. Das macht es den Bürgerlichen verhasst, den Sozialdemokraten umso lieber.

    Die Auseinandersetzung darüber währt bis heute und ist exemplarisch für die Spaltung der österreichischen Gesellschaft in politische Lager. So feiert das Umfeld der Österreichischen Volkspartei lieber den Leopoldstag am 15. November, unter anderem mit einer Männerwallfahrt nach Mariazell. Die Sozialdemokraten dagegen legten 2008 ostentativ die Eröffnung der Republik-Ausstellung auf den 12. November, um damit dem Streit um den wahren Gründungstag der Republik ein Ende zu machen. Zur Debatte stehen nämlich auch der 21. Oktober, an dem die deutschsprachigen Reichsratsabgeordneten eine "provisorische Nationalversammlung" konstituierten, oder der 30. Oktober, an dem der Staatsrat eingesetzt wurde. Beide Daten werden auf konservativer Seite gern als Alternative zum 12. November genannt, um zu verhindern, dass mit der Ersten Republik einer "Roten Republik" gedacht wird.
    Nach dem Ersten Weltkrieg stand Österreich unter dem tiefen Schock des Verlusts der Monarchie sowie der Landesteile Südtirol, Böhmen und Mähren. Die amputierte Republik suchte Zuflucht im Wunsch nach dem Anschluss an Deutschland. Die gerade konstituierte Nationalversammlung fasste diesen Beschluss einstimmig; denn ein Kleinstaat Österreich galt als nicht lebensfähig. Der erste Name der Republik lautete Deutsch-Österreich. Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges verhinderten jedoch, dass die Absicht einer Vereinigung Österreichs mit Deutschland je Realität wurde.

    Auf die Bürgerkriegswirren der zwanziger Jahre folgte der Austrofaschismus. Seine wichtigsten Vertreter, der am 25. Juli 1934 ermordete Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und sein Nachfolger Kurt Schuschnigg, waren Gegner des Anschlusses. Mit Hitlers Nationalsozialisten hatten sie nicht viel gemein. Doch die Anschlusssehnsüchte ebenso wie der tief in Österreich verwurzelte Antisemitismus machten es Hitler leicht, "seine Heimat Österreich heim ins Reich zu holen".
    Nach dem Zweiten Weltkrieg verständigten sich die Westalliierten schnell darauf, Österreich als Opfer zu definieren, um so den sowjetischen Einfluss zurückzudrängen.

    Erst aus Anlass der Waldheim-Affäre 1991 wurden Versäumnisse im Umgang mit der NS-Vergangenheit Österreichs thematisiert. Damals übernahm die Regierung Verantwortung für die Taten von Österreichern, die zu einer Zeit begangen wurden, als Österreich als Staat nicht existierte. Erst im Laufe der 90er-Jahre wurde mit einer detaillierten Aufarbeitung der Verfolgungsgeschichte begonnen und die Opfer medizinischer Versuche und Homosexuelle als Opfer der Verfolgung anerkannt. So wundert es nicht, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit die Wahlkämpfe der Rechtsparteien in der Alpenrepublik bestimmen.

    Die politische Geschichte Österreichs mündet im Beitritt zur Europäischen Union. 1995 hat ein neuer Abschnitt begonnen, der für die Alpenrepublik auch die Chance in sich birgt, eine gewandelte Identität zu finden.

    Mariele Schulze Berndt über das Buch "Österreich. 90 Jahre Republik". Der Beitragsband ist beim Studienverlag erschienen, hat 636 Seiten und kostet 29,90 Euro.