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Kurt Beck: Ein Sozialdemokrat. Die Autobiografie

Eigentlich wollte Kurt Beck seine Autobiographie als Parteivorsitzender in der Parteizentrale der SPD präsentieren, und zwar gemeinsam mit Gerhard Schröder. So war es geplant bis zum 7. September Wer immer das Drehbuch des 7. September schrieb - fest steht: Beck ist weg, zutiefst gedemütigt und enttäuscht vom Verhalten mancher Genossen - von "Wolfsrudeln" in der Politik.

Rezension von Susanne Höll | 29.09.2008
    So kam er nicht umhin, seiner Autobiographie ein aktuelles Kapitel anzufügen, auf das er wohl nur zu gern verzichtet hätte.

    Das Buch des früheren SPD-Parteichefs Kurt Beck trägt den Titel: "Ein Sozialdemokrat" und wird als Autobiographie angekündigt. Das ist irreführend. Denn das, was Kurt Beck dort aufgeschrieben hat, ist keine Lebensbeschreibung im klassischen Sinn. Es ist, wenn man so will, die Chronologie eines gewaltigen Missverständnisses, die dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten die bislang größte Niederlage seines politischen Lebens eingebracht hat und der Sozialdemokratie den sechsten Vorsitzenden in neun Jahren. Es ist die Geschichte eines Politikers, der ausgezogen war, die verunsicherte und zerstrittene SPD zu einen, ihr den Stolz und das Selbstbewusstsein einer Volkspartei zurückzugeben, scheiterte, und bis heute überzeugt ist, fast alles richtig gemacht zu haben. Zugleich sieht sich Beck als Opfer einer Verschwörung innerparteilicher Gegner mit Hauptstadtjournalisten. So schreibt er über die chaotische SPD-Klausurtagung am Schwielowsee, die mit der Benennung Frank Walter Steinmeiers als Kanzlerkandidaten und Becks Rücktritt als Parteivorsitzender endete:

    "Es war also klar, die gezielten Angriffe auf mich und meine Arbeit würden nicht nur fortgesetzt, es kam nun der Verdacht eines Bruchs der Vertraulichkeit hinzu, den ich gegen das unmittelbare Umfeld der Beteiligten hege. ( ... ) Recherchen bei Medienverantwortlichen ergaben, dass sie mit ( ... ) Falschinformationen gezielt versorgt worden waren. Man ging so weit zu behaupten, dass Steinmeier und Müntefering nun das Kommando übernehmen und den Parteivorsitzenden nur dulden. Das zwang mich zur Auseinandersetzung mit der Frage, ob ich das Amt noch mit dem Ziel, die Partei zu einen, ausüben könne. Ich bin nach einer sehr nüchternen Überlegung zu dem Schluss gekommen, dass das nicht mehr möglich sein würde."

    Wer auch immer Beck und die SPD in den letzten Monaten und Jahren beobachtet hat, muss zu dem Schluss kommen: Das ist die Bilanz eines zuletzt tief gekränkten Menschen, der um seine Würde und sein Ansehen kämpft.

    Beck wusste im Spätsommer zwar, dass nicht er, sondern sein Stellvertreter, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier der SPD-Kanzlerkandidat sein würde, schließlich hatten die beiden, wie man inzwischen weiß, dies im August vereinbart. Dass er aber auch nicht mehr an der Spitze der Partei stehen würde, ahnte Beck im August noch nicht. Als er nach dem denkwürdigen Treffen der SPD-Spitze am Schwielow-See Anfang September zurücktrat, musste das druckfertige Buch eilig geändert werden. Man liest es ihm an. Die Einleitung ist über weite Passagen hin neu gefasst, auf einigen Seiten wurde aus der Gegenwart Vergangenheit. Das Buch hat dadurch nicht gewonnen. Es ist ein Gemisch aus aufschlussreichen, wenngleich bekannten Kindheits- und Jugenderinnerungen, länglichen Beschreibungen der rheinland-pfälzischen Landespolitik und Becks Visionen über die Zukunft Europas und die Bürgergesellschaft, die man so oder so ähnlich auf Parteitagen und SPD-Veranstaltungen vernommen hat. Wer sich Aufschluss über die Details seines Rückzuges oder die Spannungen in der Parteispitze erhofft, wird enttäuscht.

    Kein Wort über die Konflikte, die bei nicht wenigen in der SPD-Führung zuletzt die Zweifel an Becks Führungsfähigkeit weckten oder verstärkten. Dazu gehören der Zank über die Bahnprivatisierung sowie die bis heute unverständliche Entscheidung Becks, trotz großer Bedenken mit Gesine Schwan eine Gegenkandidatin zu Bundespräsident Horst Köhler aufzustellen. Nur einen politischen Fehler rechnet er sich selbst zu, seine Ende Februar kurz vor der Hamburger Wahl und, wie er nun meint, zur Unzeit bekannt gewordenen Überlegungen zum Umgang mit der Linkspartei.

    "Dass mir diese Aussage als Aufforderung ausgelegt wurde, die hessische SPD solle gegen alle Vorfestlegungen mit der Linkspartei eine Regierungsbildung herbeiführen, hat mir viel Ärger eingebracht. So wurde die Kehrtwende der hessischen SPD zu "meiner" Kehrtwende, und die Glaubwürdigkeitskrise wurde mir persönlich zugeschrieben."

    Worin genau sein Fehler liegt, schreibt Beck also nicht. Auch seine Gegner oder die, die er dafür hält, nennt er nicht beim Namen. Aber er erteilt seinen Parteikollegen Noten. Sein Vor-Vorgänger und designierter Nachfolger, sein großer Widersacher Franz Müntefering, erhält als Vizekanzler ein schwaches Prädikat. Ihm wirft Beck Unterwerfung unter die Bundeskanzlerin vor, weil er als SPD-Politiker nicht gewagt habe, über den Tellerrand der Koalitionsvereinbarung hinaus zu denken und zu handeln. Sein Stellvertreter Peer Steinbrück bekommt mittelprächtige Kopfnoten. Die Zusammenarbeit mit ihm sei "nüchtern, aber durchaus in weiten Teilen erträglich" gewesen, heißt es da. Über Steinmeier liest man weitestgehend Gutes. "Vorsichtig" nennt Beck den Außenminister. Diese Charakterisierung ist zutreffend, für einen Mann, der Bundeskanzler werden will, aber nicht unbedingt nur schmeichelhaft.

    Seine Gegner sieht Beck nach wie vor in namentlich nicht genannten "Büchsenspannern", unter denen man sich Mitarbeiter von SPD-Spitzenpolitikern vorzustellen hat, die Schlechtes über ihn erzählten.
    Dass diese so genannten Büchsenspanner nur das wiedergaben und wiedergeben, was ihre Chefs dachten und denken, aber nicht zu sagen wagten, kann oder mag Beck nicht eingestehen, zumindest nicht öffentlich. So muss man als Leser zu dem Schluss kommen, dass ein gestandener, erfahrener und erfolgreicher Ministerpräsident als Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat an ein paar feindseligen Mitarbeitern von Bundesministern scheiterte. Sollte das tatsächlich die historische Wahrheit sein, wäre Beck an der Spitze der SPD der falsche Mann am falschen Platz gewesen.

    Doch genau das bestreitet er selbst und erteilt sich mit Verweis auf seine Leistungen als Parteivorsitzender recht gute Zensuren. Er beschreibt sich als ehrliche Haut.

    "Das gehört zu den Krebsübeln der Politik in Berlin: Man holt sich einen guten Mann oder eine gute Frau und schwächt ihn oder sie sogleich. Dabei wird gern über Bande gespielt. Das ist weder meine Welt noch mein Politikstil. ( ... ) Es ist manchmal notwendig, Härte zu haben. Doch sollte die sich in direkten, sachlichen Auseinandersetzungen zeigen und nicht in der Form, dass man vorn miteinandergut Freund tut und nach hinten tritt. Diese Einstellung werde ich nicht aufgeben."

    Beck, der Maurersohn aus Steinfeld, musste in der kargen Nachkriegszeit früh in der Familie mithelfen, anpacken. Manches blieb ihm versagt, darunter das Abitur und ein Studium. Durch das ganze Buch zieht sich Becks Eindruck, er habe in Berlin nicht reüssiert, weil er so anders sei als die meisten übrigen Bundespolitiker. Er fühlt sich als Provinzler verspottet, gemobbt von Schnöseln aus der SPD und den Medien und hintergangen von Kollegen. Der Mann aus Mainz glaubte, mit seinem Votum für den Kanzlerkandidaten Steinmeier seine Position im Vorsitz gewahrt, wenn nicht gar gestärkt zu haben. Nicht wenige in der SPD-Spitze wollten ihn aber in die Position eines honorigen, wenngleich einflusslosen Ehrenpräsidenten drängen, der Steinmeier und Müntefering das Feld überlässt. Darüber wurde im Führungskreis aber offenkundig nie gesprochen. Wie gesagt, die Geschichte der Beck-SPD ist eine Geschichte der Missverständnisse, an der Beck Schaden nahm, aber mancher seiner Widersacher auch.

    Kurt Beck: Ein Sozialdemokrat. Die Autobiographie, Pendo Verlag, München 2008, 19,90 Euro