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Kurt Langbein / Christian Skalnik / Inge Smolek: Bioterror. Die gefährlichsten Waffen der Welt.

Mit dem 11. September und den darauf folgenden bis heute mysteriösen Milzbrandattacken in den USA kehrte eine Waffengattung ins öffentliche Bewusstsein zurück, von der viele Experten befürchten, das sie zu d e m Kampfmittel des 21. Jahrhunderts avancieren könnte: Die biologischen Waffen. Obwohl ihr Einsatz weltweit geächtet ist, könnten biologische und auch chemische Kampfstoffe sich insbesondere für Terroristen zum Mittel ihrer Wahl entwickeln: Denn sie sind billig und unauffällig in der Herstellung, aber verheerend in der Wirkung. Ein neues Buch aus der Deutschen Verlags-Anstalt rekapituliert nun nicht nur die Geschichte der B-Waffen, sondern gibt auch Auskunft darüber, welche Staaten derzeit solche Waffen besitzen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ihres Einsatzes ist und wie man sich - falls überhaupt - im Ernstfall schützen kann.

Rolf Clement |
    Die Tür des Konferenzraumes geht auf, und ein Sekretär geht rasch und ohne ein Wort zum Sitzplatz des Präsidenten. Er übergibt ihm eine Nachricht. Der Präsident wird merklich blass. "Soeben sind in den Redaktionen von New York Times, Washington Post und USA Today gleich lautende anonyme Briefe abgegeben worden. In diesen Schreiben werden wir ultimativ aufgefordert, binnen spätestens einer Woche alle unsere Streitkräfte aus Saudi-Arabien abzuziehen und alle Kriegsschiffe aus dem Persischen Golf zurückzurufen. Sollten diese Bedingungen nicht erfüllt werden, heißt es, werde eine neue Anschlagswelle die USA überziehen. Erwähnt werden neben Pocken ausdrücklich auch Angriffe mit Anthrax und Lungenpest. Jedem Brief war außerdem ein genetischer Fingerabdruck des Pockenerregers, der bei den jetzigen Anschlägen verwendet wurde, beigefügt. Experten haben den genetischen Fingerabdruck überprüft und bestätigt.

    Mit diesem Szenario endete im Juni vergangenen Jahres eine Übung auf der Andrews-Luftwaffenbasis in der Nähe Washingtons. Gespielt wurde ein Anschlag mit biologischen Waffen, der im Staat Oklahoma verübt wurde und sich dann in der beschriebenen Form auszuweiten drohte. Die Ratlosigkeit der Akteure wird im Buch "Bioterror", das die Wissenschaftsjournalistin Inge Smolek und die Geschäftsführer des Wiener Redaktionsbüros Kurt Langbein und Christian Skalnik verfasst haben, überdeutlich. Ergebnis dieser Übung: Es gibt keinerlei Verfahren und keine Erfahrungen, wie sich verantwortliche Politiker in solchen Lagen verhalten sollen. Das Buch der drei Autoren ist beeindruckend. Es verbindet praktische Hinweise und Erwägungen mit historischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es ist ein Nachschlagewerk über die Wirkungsweise biologischer Kampfstoffe, ein Buch mit Hinweisen für deren mögliche Bekämpfung und mit Adressen, bei denen Hinweise zu erhalten sind. Ein Fazit der Arbeit:

    Es gibt keine Form der Kriegsführung, die sich besser dazu eignet, einen hoch überlegenen Gegner wirksam zu treffen, nichts, was sich besser verstecken ließe, nichts, was billiger zu produzieren wäre, und nichts, wo man mit einem vergleichsweise bescheidenen Einsatz von Mitteln eine derartige Massenvernichtung von Menschenleben auslösen kann.

    Die Geschichte der Bio-Waffen zeigt, dass viele Staaten immer wieder versucht haben, die Technologie für diese Waffenart zu erhalten. Schon zwischen dem 8. und dem 3. Jahrhundert vor Christus wurden biologische Waffen eingesetzt - mit Schlangen- oder Leichengift verseuchte Pfeile. Immer wieder wurden Bio-Waffen-Programme aufgelegt. Aber im großen Stil wurden B-Waffen nicht eingesetzt. Hier liegt eine Nachlässigkeit in dem Buch: Es wird genau beschrieben, wer alles an Bio-Waffen arbeitete, aber es wird nicht in letzter Klarheit deutlich gemacht, dass sie als Massenvernichtungswaffen nicht eingesetzt wurden, dass vor allem demokratische Staaten sie überhaupt nicht eingesetzt haben. Offensichtlich schrecken solche Staaten vor dem Einsatz dieser Waffen zurück - die Auswirkungen auf die Menschen sind so schrecklich, dass dies keiner verantworten will.

    Im 20. Jahrhundert war der terroristische oder kriminelle Einsatz von Biowaffen ein Randphänomen. In einer Studie der National Defense University wurden 180 Fälle von Biowaffenaktivitäten von Terroristen und Kriminellen im 20. Jahrhundert bis Februar 2001 dokumentiert. Die große Mehrheit davon waren Drohungen oder Scherze, 137 Fälle, oder es blieb beim bloßen Interesse für Krankheitserreger, 10 Fälle. In nur 33 Fällen verfügten die Täter nachweislich über biologischen Agenzien, in 21 davon brachten sie die Keime tatsächlich zum Einsatz.

    Heute ist das Wissen um die Herstellung biologischer Waffen weit verbreitet. Da machen die Autoren die Eitelkeit der an solchen Programmen beteiligten Wissenschaftler dafür verantwortlich, die durch zahlreiche Veröffentlichungen dieses Wissen für Jedermann erreichbar gemacht haben. Hinzu kommt, dass der Verbleib von Wissenschaftlern, die z.B. am russischen Bio-Waffen-Programm mitgearbeitet haben, nicht genau nachgezeichnet werden kann. Rund 2.000 russische Wissenschaftler sind seit dem Stop des russischen Programms durch den damaligen Präsidenten Jelzin arbeitslos geworden. Sind sie jetzt in islamischen Staaten? Auch die USA haben immer wieder an Bio-Waffen geforscht. Der Irak hatte solche Waffen. Die bestehenden, allerdings sehr löchrigen Rüstungskontrollabkommen lassen das Forschen an Abwehrmechanismen gegen Bio-Waffen zu, aber die Abgrenzung zwischen Abwehr- und Angriffsforschung ist kaum auszumachen. Das macht Kontrollen schwer. Hinzu kommt, dass auch zivile pharmazeutische Firmen Substanzen, die auch für Kampfstoffe gebraucht werden können, nutzen. Der Nachweis, ob eine Firma nun an Arzneimittel oder an Waffen arbeitet, ist kaum zu führen. Wenn nun bei Rüstungskontrollabkommen solche Firmen in die Überprüfungsregelungen mit einbezogen werden müssen, befürchten sie, dass durch solche Überprüfungsmaßnahmen Industriespionage betrieben werden könnte. Um an die für Bio-Waffen nötige Substanzen zu kommen, braucht man Zertifikate aus wissenschaftlichen Instituten. Die Bio-Waffe ist billig:

    In einer Studie berechneten die Vereinten Nationen, wie viel der Angriff auf ein besiedeltes Gebiet mit den verschiedenen Waffengattungen kostet. Als teuerste Variante erwies sich dabei die Attacke mit einer konventionellen Armee: 2.000 US-Dollar pro erobertem Quadratmeter. Auf den Plätzen rangieren mit 800 Dollar die Atomwaffen und mit 600 Dollar die chemischen Waffen. Im Vergleich dazu ist die biologische Kriegsführung mit einem Aufwand von einem Dollar pro Quadratkilometer geradezu erschreckend günstig.

    Bio-Waffen sind so gut wie nicht erkennbar. Kein Satellit kann sie aufspüren, und wenn die Werkstätten dennoch entdeckt werden, muss man sie nur rechtzeitig gründlich säubern, um die Spuren zu verwischen. Hat man die Keime, sind sie mit einem handelsüblichen Sprühgerät leicht zu verbreiten. Die Wirkung ist damit gesichert.

    So wurden durch die Briefe mit einem Pulver aus Anthrax-Sporen, die nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 verschickt wurden, fünf Menschen getötet und sechs infiziert, die aber überlebten. Eine hypothetische Attacke mit 50 Kilo Anthrax-Pulver, das über einem dichtbesiedelten Gebiet mit einer Million Einwohnern verteilt wird, hätte hingegen nach einer WHO-Schätzung 95.000 Tote zur Folge. Im ersten Fall handelt es sich um perfide Anschläge auf Einzelpersonen, im zweiten Fall um einen Massenvernichtungsangriff in militärischem Maßstab.

    Aber - wie gesagt - zu solchen Attacken kam es noch nie. Zwölf Substanzen werden genau vorgestellt - Wirkungsweise, Diagnose, Behandlungsmöglichkeiten, Therapie. Fatal ist, dass im Bereich der zivilen Verteidigung nach dem Ende der Blockkonfrontation nahezu alles abgebaut wurde. Heute kennt kaum jemand mehr die Wirkungsweise z.B. von Pocken, da diese Krankheit ausgestorben ist. Folglich wird in der Vorsorge nicht ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehen. Auch an Krankenhausbetten fehlt es. Und die Autoren weisen auf einen weiteren Umstand hin:

    Da die Betroffenen eines Bioanschlags erst mehrere Tage nach der Ansteckung erkranken, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu ganz unterschiedlichen Zeiten in ganz unterschiedlichen Kliniken behandelt werden, relativ groß. Für die Gesundheitsbehörden ist es in solchen Fällen gar nicht leicht, den Ernst der Lage rechzeitig zu erkennen. Die zweite Herausforderung für die Ärzte besteht darin, Krankheiten klinisch richtig zu diagnostizieren, von denen sie zuletzt bestenfalls an der Universität gehört haben.

    Schutz gibt es im Vorhinein wenig. Die US-Soldaten, die im Golfkrieg eingesetzt waren, leiden in großer Zahl am sog. Golfkriegs-Syndrom. Das ist wohl dadurch entstanden, dass die Soldaten sich aus Furcht vor B-Waffen-Einsatz durch den Irak, der über solche Waffen verfügte, umfangreichen, aber noch wenig erprobten Impfungen unterziehen mussten. Das Ergebnis waren Krankheiten, die bis heute andauern und die Soldaten gezeichnet haben. Aber das Buch beschreibt auch, dass es schon Möglichkeiten gibt, sich gegen B-Waffen zu schützen oder nach einem Einsatz geheilt zu werden. Es ist eine anschauliche, gut geschriebene Darstellung der Gefahren und der Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Es ist kein Buch der Panikmache, sondern eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema Bioterror. Wer beides, Risiken und Möglichkeiten, ihrer Herr zu werden, richtig liest und entsprechend gewichtet, liest das Buch mit Gewinn - und wird bewusster und doch angstfrei.

    Rolf Clement über: Kurt Langbein / Christian Skalnik / Inge Smolek: Bioterror. Die gefährlichsten Waffen der Welt. Deutsche Verlags-Anstalt München, 220 Seiten, Euro 18,90.