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Kurzes Intermezzo: Conrad geht

Manchmal kommen die Dinge eben anders, als man es sich vorgestellt hat. So kommentiert Gerhard Zeiler diese dramatische Vollbremsung. Konkreter wurde der Chef der RTL-Holding nicht. Also darf eifrig spekuliert werden: Wie nur kann es kommen, dass zwei Medien-Profis schon im Vorfeld ihrer Zusammenarbeit derart gravierend aneinander vorbeireden, dass sie nach 100 Tagen die Notbremse ziehen?

Von Rüdiger Heimlich |
    Ist das denkbar? Sollte Marc Conrad seine grundsätzlichen Vorstellungen über das neue RTL-Programm nicht deutlich erklärt haben? Schon lange vor seiner Berufung als Retter von RTL hat er eine "neue Ernsthaftigkeit" vom Kommerzfernsehens gefordert. Dass die Menschen in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit eben auch von RTL Orientierung und Werte statt Halli-Galli erwarten; dass Serien und Filme sich stärker der sozialen Lebenswelt der Menschen zuwenden müssen.

    Marc Conrad ließ also nicht Vision und Orientierung vermissen. Und Gerhard Zeiler muss auch klar gewesen sein, dass die Neuausrichtung des Sender- und Programmprofils Zeit braucht.

    Abwegig erscheint auch ein anderes Szenario, dass nämlich die Werbebranche zunehmend Druck auf Bertelsmann ausgeübt habe. Das ist eine hübsche Verschwörungstheorie. Man kann sich die Schlagzeilen von "Spiegel" und "Focus" bereits vorstellen: Die geheime Macht der Werbebranche. Procter und Gamble stürzen RTL-Chef. Bertelsmann geht vor Henkel, Oettker und der Autoindustrie in die Knie. Nein, das erscheint denn doch etwa zu dramatisch.

    Da gibt es ein drittes und wahrscheinlicheres Rücktritts-Szenario: Marc Conrad nahm seine Führungsaufgaben nicht so wahr, wie das die Bertelsmann-Controller mit dem Blick auf Vierteljahres-Bilanzen gewohnt sind. Conrad sorgte für das, was Betriebswirtschaftler wohl "kreatives Chaos" nennen, eine Atmosphäre, in dem Programmmacher beginnen, inhaltlich zu denken - und Vertriebs- und Vermarktungsstrategien zunächst einmal vernachlässigen.

    Dann allerdings wäre Marc Conrad tatsächlich der falsche Mann gewesen. Denn Programme werden nicht mehr von ihren Inhalten her gedacht. Sie sind längst mehr als zielgruppenspezifische Rahmenhandlungen zur Platzierung von Werbespots. Das Programm von morgen ist ein kommerzieller Multiplex mit unzähligen digitalen Schnittstellen für interaktive Verwertungsketten. Fernsehprogramme werden für Senderfamilien, für Pay-TV-Kanäle, DVD und Spielkonsolen entwickelt. Das Fernsehen von morgen ist eine Eier legende Wollmilchsau, eine Mischung aus Glücksrad, Klingelton und internetfähiger Verkaufsrampe, auf der die Augen rollenden Animierdamen des Homeshopping uns jederzeit fröhlich zu den Call-Center-Kollegen weiterleiten.

    Vielleicht war sich Marc Conrad dieser Tiefendimension des Kommerzfernsehens nicht so bewusst, wie sich das Gerhard Zeiler wünschte. Vielleicht wollte der Prozent Marc Conrad eben auch als RTL-Chef einfach nur gutes Fernsehen machen.

    Für Marc Conrad rückt nun Anke Schäferkordt auf. Sie soll Gerhard Zeiler nun den Rücken freihalten für das Programm. Er hat viel Zeit verloren und wohl auch einiges Geld. Nach dieser Notbremsung steckt RTL tiefer in der Orientierungskrise als zuvor. Denn die Mitarbeiter haben die Hoffnung verloren, dass ein begabter und engagierter Programmmacher allein die Probleme des Senders lösen könnte. Das hatten sie sich wohl anders vorgestellt.