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Kurzweilige Gespräche mit dem Dichter Adolf Endler

Er verfasste "Papiere aus dem Seesack eines Hundertjährigen", fühlte sich, um hier nur einen weiteren seiner äußerst kuriosen Buchtitel zu nennen, wie "Tarzan am Prenzlauer Berg", nannte sich mal zackig Bubi Blazezak, mal sportlich Bobbi "Bumke" Bergermann – doch alle Kraftmeierei half nicht – Adolf, genannt Eddi Endler, wurde nur 78 Jahre alt.

Von Hajo Steinert | 20.09.2010
    In sein Tagebuch schrieb er als junger Mann: "Wenn es mir gelingt älter als dreißig Jahre alt zu werden, dann werde ich ein bedeutender Dramatiker – Dies mit achtzig nachlesen!" Die Achtzig hat er nicht erreicht. Dramen hat er nicht geschrieben, wohl aber erlebt, als protestierender Heißsporn wider die SED-Kulturpolitik, die ihn 1979 rausschmiss aus dem Schriftstellerverband. Dem Tod vor achtzig ein Schnippchen zu schlagen – das wäre der Gipfel gewesen, der Gipfel seiner Selbstironie. Endler im Originalton:

    "Ein fadenscheiniges Protestvergißmeinnicht; fiepend;/und mit grinsend verblühender Pfote -/Die besonderer Note."

    Endler war vieles, der erste und letzte lebende Dadaist in der DDR, ein Surrealist vom Zuschnitt eines André Breton, ein Humorist der ganz schwarzen Art, ein Parodist, ein Meister der bissigen Persiflage, der es vor allem auf die Staatsdichter des sozialistischen Realismus abgesehen hatte, ein leidenschaftlicher Lyriker vom Schlage eines Peter Rühmkorf, zur Schule gegangen bei Georg Maurer am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig, Bändchen von Alfred Jarry, dem Vagabunden Peter Hille, aber auch von Bert Brecht im Tornister sowie Manuskripte von Heinz Czechowski, Rainer und Sarah Kirsch, - Adolf Endler war als Kritiker und Herausgeber der legendären Lyrik-Anthologie "In diesem besseren Lande" aus dem Jahre 1965 der Propagandist der Sächsischen Dichterschule. Eines wurde er allerdings nicht, nicht mit dreißig, auch nicht mit siebzig, trotz seiner bühnenwirksamen Auftritte am Lesepult (immer im Sitzen): ein Dramatiker. Dergleichen Kraftanstrengungen überließ er seinen zähneknirschenden Weggefährten Volker Braun und Heiner Müller, Endler stand eher auf Karneval.

    "Ratzen Sie mir, bittescheen, einen ganz kleinen Schlockerschlüh mit doppelter Pulpe"

    Endler wurde 1930 in der Karnevalsstadt Düsseldorf geboren, dort hat er, wie man in dem bei Wallstein erschienen Interviewbuch "Dies Sirren" nachlesen kann, das Lachen gelernt, abseits von den Trümmern des Krieges und jenseits vom strengen Regiment des Vaters zu Hause. Ein hochinteressantes, biografisch wie literaturgeschichtlich aufschlussreiches Interview, das Renatus Deckert mit Adolf Endler geführt hat. Endler selbst konnte das Ergebnis kurz vor seinem Tod am 2. September 2009 noch lesen und zum Druck freigeben.

    Das Interview liest sich deshalb so gut, weil der Fragensteller sich auf kurze Stichworte beschränkt und so den Schriftsteller zu etwas bringt, was er in seiner zick-zackigen Prosa geradezu verabscheute: das lineare Erzählen. Wir lernen Endler als lesehungrigen Schüler kennen, Zeitschriften-Junkie. Seine Begeisterung für Brecht und Benn, Heine und Kafka. Endler: der Mauerspringer von Ost und nach West, Endler als Zeitzeuge eines Jahrzehnts, in dem jeder den Krieg noch in den Knochen hatte, aber keiner darüber reden wollte, und zu wenige darüber schrieben.

    Er selbst verfasste trotzig echte Trümmerlyrik. Endler, der junge Kommunist, dem fürderhin der reale Sozialismus viel antat, aber nicht das Lachen austrieb. Der Untergangsunlustige schrieb Gedichte aus dem "Pudding der Apolalypse". Auch dies ein Titel, wie ihn nur er finden konnte. Endler, mit dem alle befreundet sein wollten, der seine Freunde aber genau aussuchte, ganz gleich ob in Leipzig oder Berlin, wo er ab 1990 mit Unterbrechung einiger Jahre in Leipzig wieder wohnte. Endler: das Vorbild von Schriftstellern wie Katja Lange-Müller und Peter Wawerzinek. Auch sie werden da sein, wenn am kommenden Mittwochabend in der Berliner Akademie der Künste Freunde an Adolf Endler erinnern.

    Adolf Endler: Das Sirren - Gespräche mit Renatus Deckert.
    Wallstein Verlag. 191 Seiten. 19 Euro